Nachhaltigkeit
Nah dran

Letzte Generation: So laufen die Blockaden gegen die Klimakrise in Berlin ab

Die Letzte Generation will, dass sich die Klimapolitik sofort verändert. Dafür wollen sie am Montag Berlin lahmlegen.
Die Letzte Generation will, dass sich die Klimapolitik sofort verändert. Dafür wollen sie am Montag Berlin lahmlegen.Bild: watson / miriam meyer
Nah dran

Letzte Generation: So laufen die Blockaden gegen die Klimakrise in Berlin ab

20.04.2023, 16:01
Mehr «Nachhaltigkeit»

Wie versteinert blickt Gunda den Polizist:innen entgegen, die sich vor ihr aufstellen. In ihrer getünchten Jeansjacke sitzt die 23-Jährige an diesem Mittwoch im Schneidersitz mitten auf der sonst stark befahrenen Köpenickerstraße in Berlin-Mitte. Die Hände hat sie zitternd im Schoß gefaltet. Nur wenige Meter hinter ihr kommt ein gelber Linienbus mit quietschenden Bremsen zum Stehen.

"Fliegt doch zurück nach Thailand", pöbelt ein Mann vom Gehweg zu ihr rüber, "mit eurer Ökodiktatur versaut ihr allen normalen Leuten den Tag!" Darauf reagiert Gunda nicht. Ihr Blick bleibt konzentriert auf die Straße vor ihr gerichtet , sie scheint das beginnende Verkehrschaos um sich herum auszublenden.

Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update! Hier findest du unseren Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne hier auch auf Instagram.

Drei Stunden zuvor.

Sonnenstrahlen fallen in den weiten Innenraum der Thomaskirche in Berlin-Kreuzberg. Hier hat sich Gunda seit dem frühen Morgen mit weiteren Klimaaktivist:innen, Journalist:innen und Fotograf:innen für den Auftakt der "Stilllegung Berlins" versammelt. Genau so, wie es die Letzte Generation für die kommenden Wochen angekündigt hatte.

Die Letzte Generation bereitet sich auf eine Reihe von Aktionen vor.
Die Letzte Generation bereitet sich auf eine Reihe von Aktionen vor.Bild: watson / miriam meyer

Schräg neben dem Altar steht Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation, und greift zum Mikrofon. "Entschuldigt die Verspätung, ich stand heute Morgen noch vor Gericht und war skeptisch, wann ich es hierher schaffe", beginnt sie ihre Rede.

"Es wird also niemand kommen und uns vor der Klimakatastrophe retten."
Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation

Ihre Worte hallen durch die Kirche. "Aber genauso skeptisch war ich auch vor einem Jahr, ob sich unser Protest überhaupt lohnt. Aber jetzt schaut euch um, was wir erreicht haben: Seit Januar 2022 kommt niemand in Deutschland drum herum, nicht mit der Klimakrise konfrontiert zu werden!"

Die Letzte Generation sieht ihren Widerstand als Pflicht

Applaus brandet auf, schwappt durch die Reihen mit den rund 150 Leuten, die sich an diesem Mittwoch hier versammelt haben.

Um selbst etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen.

Um nicht allein zu sein mit ihren Ängsten.

"Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander und das bereits jeden Tag – durch die Klimakrise und ihre Folgen", fährt Carla Hinrichs fort. Die Regierung habe keinen konkreten Plan, wie sie die Klimakrise lösen könne – was einem Verfassungsbruch entspreche, wie sie betont.

"Es wird also niemand kommen und uns vor der Klimakatastrophe retten. Dann ist es doch unsere Pflicht als Gesellschaft dieses Gegeneinander mit einem Gesellschaftsrat zu beenden und stattdessen einen konkreten Plan von der Regierung zu fordern."

In der Kirche haben sich zu Gunda inzwischen auch die 70-jährige Evelyn, Boris und Anja, eine junge Frau mit Baby vor der Brust, gesellt. Sie kennen sich, haben sich bislang aber nur online gesehen. Damit ist ihre Orts-Gruppe aus Süd-West-Deutschland komplett. "Ich wünsche mir echt keine Ökodiktatur, aber unser Demokratiesystem funktioniert einfach nicht mehr", teilt Boris direkt bei der Vorstellungsrunde mit.

"Wenn Politiker wiedergewählt werden wollen, finden da alle guten Vorhaben immer ein schnelles Ende", fügt Boris hinzu. Wie ein Großteil aller Klimaaktivist:innen hat er für die Protesttage eine lange Anreise in Kauf genommen: 780 Kilometer weit vom Bodensee bis nach Berlin ist die kleine Ortsgruppe für die Groß-Demonstration in der Hauptstadt gereist.

St.Thomas-Kirche, Berlin
Ihren Protestmarsch ins Regierungsviertel startete die Letzte Generation von der St. Thomas-Kirche aus. Bild: watson / miriam meyer

Viele wollen gegen ihre Existenz-Angst handeln

Es folgt ein kurzes Jura-Briefing: Welche Rechte hat man bei einem polizeilichen Verhör? Wie lange darf man maximal in einer Gefangenensammelstelle festgehalten werden? Der Gruppe ist wichtig, dass die Aktivist:innen über ihre Rechte Bescheid wissen.

Dann folgt ein Meditationstraining – um Panikattacken zu unterbinden. Zuletzt sollen alle vom eigenen Worst-Case-Szenario beim Protest erzählen. "Ich habe Angst, was diese Woche auf uns zukommt, ob uns ein rechter Mob aufmischt oder wie die Polizei mit mir umgeht", sagt Gunda. Für sie ist es der erste Protest in der Hauptstadt. Auch wenn sie eigentlich auf akuter Wohnungssuche ist, hat sie mehrere WG-Besichtigungen abgesagt, um hier zu sein.

"Ich habe eher Angst, meine Komfortzone, meinen Job aufzugeben, um mich hier komplett zu engagieren", sagt hingegen Boris. "Meiner Familie will ich eigentlich nicht aufbürden, dass ich sie nicht mehr finanziell unterstütze. Aber uns rennt mit der Klimakrise einfach die Zeit davon." Anja stimmt ihm zu und streicht ihrem schlafenden Baby behutsam über den Kopf. "Ich bin heute hier, weil ich einfach 'ne Zukunft für die Kleine haben will", sagt sie.

"Hast du keine Angst um euch?", fragt Gunda vorsichtig nach. "Nein, so friedlich wie die Leute sich hier verhalten nicht", entgegnet Anja. "Hier nehmen alle Rücksicht aufeinander." Bei vielen anderen Protesten hingegen würden Aktivist:innen Dinge anzünden, bei der Letzten Generation aber nicht. Hier gibt es Sitzblockaden. Alle sind friedlich.

Mit Protestmarsch statt nur Klebeaktionen Richtung Berlin-Mitte

Der Protestmarsch soll nun von der Kirche aus starten, jede Ortsgruppe schlägt eine unterschiedliche Route gen Regierungsviertel ein. "Es ist wichtiger, seine Energie heute nicht für Aggression aufzubringen, sondern lieber innezuhalten", erinnert Boris seine Gruppe nochmal. "Wir sind hergekommen, nicht um Individuen auf ihrem Weg von A nach B zu behindern, sondern um ein 'Weiter so' in der politischen Gesellschaft zu unterbrechen."

Der Protestmarsch der Letzten Generation startet in Berlin-Kreuzberg.
Der Protestmarsch der Letzten Generation startet in Berlin-Kreuzberg. Bild: watson / miriam meyer

Gesagt, getan.

Alle 150 Aktivist:innen laufen gemeinsam los. Nur eine Ampelschaltung von der Thomaskirche entfernt erreichen die ersten Aktivist:innen die Schillingbrücke.

Und plötzlich geht alles ganz schnell: Polizeibeamte tauchen aus der Parallelstraße auf, laufen auf die Marschierenden zu, kreisen sie in Grüppchen ein. Gunda blickt gehetzt zu Boris, der den Polizist:innen im Zickzack versucht auszuweichen.

Doch er kommt nicht weit. Schon auf der Mitte der Brücke blockieren zwei Einsatzwagen den Durchgang. Abrupt setzen sich die ersten auf die Straße, werden aber sofort von Polizisten weggeschleift. Ein Aktivist schafft es, aufs Dach des einen Polizeiwagens zu klettern und klebt sich sofort fest.

"Sie wissen, dass sie mich in dieser Höhe nicht räumen dürfen", schreit er, als zwei Beamte sich auf ihn stürzen und seine Hände hinter seinem Rücken zusammennehmen. "Wir leisten friedlich Widerstand, während die Regierung uns mit voller Härte konfrontiert, weil wir unsere Lebensgrundlagen schützen wollen."

Straßenblockade durch die Letzte Generation
Die Polizei stoppt den Protestmarsch der Letzten Generation. Bild: watson / miriam meyer

Gunda dreht auf dem Absatz um. Zusammen mit Evelyn läuft sie zurück in die Köpenickerstraße, wo ein Lkw auf Aktivist:innen zurollt, die laut aufschreien. Erst als einer der Aktivisten mit der Hand flach gegen die Lkw-Schnauze schlägt, zieht der Fahrer laut fluchend die Bremse an.

Lkw rollt auf Aktivisten zu
Trotz Menschen auf der Straße rollt ein Lkw weiter auf die Aktivist:innen zu. Bild: watson / miriam meyer

Lieber abschleppen lassen, als aufgeben

Gerade einmal 350 Meter haben Gunda und die anderen aus ihrer Ortsgruppe zurücklegen können, bis ihr Protestmarsch von der Polizei gestoppt wird. "Na ja, der Stillstand ist das Ziel", sagt sie. Und den Verkehr haben sie gestoppt, immerhin.

Gunda und Evelyn setzen sich auf die Straße. Wenige Minuten später baut sich ein Polizist direkt vor ihnen auf und beginnt, die Strafsätze für ihre Blockade herunter zu rattern: "Sie behindern den Fließverkehr und damit die öffentliche Sicherheit unmittelbar. Begeben sie sich unmittelbar auf den Gehweg. Kommen sie dieser Aufforderung nicht nach, wird unmittelbarer Zwang in Form von Schieben und Drücken gegen Sie eingesetzt!"

Gunda bewegt sich nicht vom Fleck.

"Ich lass mich schieben", sagt sie, "man muss sich schon bemühen, mich hier wegzubekommen."

Gunda (Mitte) und andere Klimaaktivist:innen der Letzten Generation blockieren die Durchfahrt eines Linienbusses.
Gunda (Mitte) und andere Klimaaktivist:innen der Letzten Generation blockieren die Durchfahrt eines Linienbusses.Bild: watson / miriam meyer

Gunda weiß, dass sie maximal einen Tag in der Gefangenensammelstelle festgehalten werden darf. Und dieses Risiko nimmt sie in Kauf.

Auch Evelyn bewegt sich nicht. Leise versucht sie sich an der soeben erlernten Meditationsübung, um ihre Panik in Zaum zu halten. Einatmen. Ausatmen. Noch einmal.

Doch es nützt alles nichts.

Gunda und Evelyn werden von den Polizist:innen auf den Gehweg geschleift. Ihre Blockade ist vorbei. Zumindest für diesen Tag.

Dürre und Hitze: Wie San Francisco heimlich versucht, das Klima zu manipulieren

Hitzewellen, Dürren, Hurrikans und heftige Regenfälle: Die Klimakrise hat die Welt schon jetzt weltweit fest im Griff – Wetterextreme nehmen weiter zu, Temperaturen knacken einen Negativrekord nach dem anderen.

Zur Story