
Die Ausgangssperre hat die Straßen in den Städten sehr beruhigt. Das lockt viele Tierarten an, die sich in die Wälder zurückgezogen hatten.Bild: getty images / cuppyuppycake
Nachhaltigkeit
Wegen Corona sind die Straßen in vielen Ländern seit Wochen leer und werden von Wildtieren "erobert". Tierschützer freuen sich. Im Kampf gegen das Aussterben könnte das Virus offenbar einigen Arten helfen.
12.04.2020, 19:0113.04.2020, 10:22
Ein junger Puma streift durch Chiles Hauptstadt
Santiago, Wildschweine gehen auf den Luxus-Avenues in Barcelona
spazieren und Pfaue schlendern seelenruhig durch das Zentrum von
Madrid. Die strenge Ausgangssperre wirkt sich in Spanien allem Anschein nach auf
das Verhalten von Tieren aus, die sich sonst nur in den Wäldern, in
ländlichen Gebieten oder direkt am Wasser aufhalten.
Aber auch in
anderen Ländern scheinen Tiere die von den Menschen wegen des Virus
zuletzt verlassenen Räume zurückerobern zu wollen.
Im Netz gibt es immer mehr Videos von den "frechen" Wildtieren. Die
Experten glauben in Spanien nicht an Zufall. Sie sind vielmehr davon
überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen den Folgen der
Pandemie und dem Verhalten der Tiere gibt.
Dass die Städte in Spanien
seit Inkrafttreten der strikten Ausgangssperre am 15. März zum Teil
völlig leer seien, dass die Umwelt deutlich sauberer sei und es auch
viel weniger Verkehr gebe, habe "einen Balsameffekt für die
Tierwelt", meint Roberto Hartasánchez von der Stiftung zum Schutz von
Wildtieren, Fapas.
Ángel Sánchez vom Ehrenamtlichen Verband für
die Zählung des Iberischen Wolfs sagte der Zeitung "El País", es gebe
mehrere Berichte, wonach sich auch dieses Raubtier zuletzt verstärkt
in bewohnte Gebiete vorgewagt habe.
Sánchez weiter:
"Wir erwarten, dass die Wölfe bei der Fortpflanzung mehr Erfolg haben werden, weil sie nun weniger Störungen ausgesetzt sind."
Im andalusischen Almería hofft auch Emilio González
von der Umweltschutzorganisation Serbal, dass die neue Situation
einigen der vom Aussterben bedrohten oder der stark gefährdeten Arten – wie dem Habichtsadler oder der Europäischen Wildkatze – dabei
hilft, sich wieder besser vermehren zu können.
Nicht nur in Städten sind die positiven Corona-Folgen spürbar
"Auf dem Land sehen wir derzeit bei Raubvögeln, bei Mardern, ganz
allgemein bei Raubtieren und Pflanzenfressern mehr Pärchen als
früher", erzählt der Präsident der Organisation zur Rehabilitation
der Heimischen Fauna (Grefa), Ernesto Álvarez.
Der Experte stellt
fest, dass aufgrund der Ausgangssperre "alles verschwunden ist": "Die
vielen Wanderer und Radfahrer, die Sportler, die trainieren, die sind
alle plötzlich nicht mehr da." In der Region um Madrid gebe es zum
Beispiel "fünf oder sechs Pärchen von Habichtsadlern, die deshalb nun
viel bessere Aussichten haben".
Das sieht Gerardo Baguena ähnlich: "Es gibt zur Zeit keine
Bergsteiger, keine Gleitschirmflüge, keine Hubschrauber, nichts",
freut sich der Chef der spanischen Stiftung zum Erhalt des
Bartgeiers. Dieser Vogel, mit einer Spannweite von rund drei Metern
der größte Europas, ist vom Aussterben bedroht.
In Bayern versuchen
Naturschützer das Tier rund 100 Jahre nach dem völligen Verschwinden
dort wieder anzusiedeln. Nun hoffen Fachleute auf positive
Nebeneffekte der derzeitigen Situation. Baguena: "Wir schätzen, dass
die Zahl der Küken, die in den Zentralpyrenäen imstande sein werden,
auszufliegen, von 22 auf 30 klettern wird. Das wäre in 25-jähriger
Beobachtung ein Rekord."
Doch nicht nur in Spanien erobern Tiere die Städte
Auch in Wales, in Südamerika und in Asien werden Tiere, die sich
sonst nur äußerst selten in die von Menschen bewohnten Räume wagen,
offenbar immer mutiger und dreister.
In Chiles Hauptstadt Santiago
streifte zuletzt ein junger Puma durch die Straßen. Das Tier kam
offenbar auf der Suche nach Beute aus den nahe gelegenen Bergen
hinunter in die Stadt. Da kaum Menschen auf den Straßen waren, lief
der Puma bis in die Wohngebiete. Wie die Behörden mitteilten, wurde
das etwas mehr als ein Jahr alte Exemplar betäubt, untersucht und
später wieder ausgewildert.

Ein Puma in Santiago in Chil.eBild: www.imago-images.de / ANDRES PINA/ATON CHILE
Im Tel Aviver Stadtpark Hajarkon lebten nach einem Bericht der
Zeitung "Haaretz" schon vor der Corona-Krise zehn Schakal-Familien.
Doch seit auch in Israel weitgehende Ausgangsbeschränkungen gelten,
zeigten sich die Tiere vermehrt nun auch auf Parkwegen.
Auf den
leeren Straßen der Hauptstädte Indiens und Nepals, wo normalerweise
Millionen Menschen unterwegs sind, tummeln sich unterdessen besonders
viele Affen und Hunde.
Im Seebad Llandudno zogen wilde Kaschmir-Ziegen durch die fast
menschleeren Straßen. Die Tiere kamen jüngst von einem kleinen Berg
im Norden von Wales herunter und laufen seitdem immer wieder durch
den Ort an der Irischen See. Ihre Lieblingsspeise: die Hecken. Manche
Einwohner nennen die Ziegen "Vandalen", da sie nicht zum ersten Mal
durch die Stadt ziehen und unter anderem schon die neu gepflanzten
Bäume vor einer Schule vernichtet haben sollen.
In Venedig posteten Menschen Bilder und Videos von Kanälen, die
sauberer als sonst erscheinen und in die Fische zurückkehrten. "Die
Natur erobert ihren Raum zurück", schreiben Nutzer der Gruppe Venezia
Pulita (Sauberes Venedig). In Mailand sorgten Schwäne im "Navigli",
einem Kanalsystem, für Aufsehen.

Ein Schwan in Mailand. Bild: www.imago-images.de / Duilio Piaggesi
In Bogotá wurden Füchse gesichtet,
in San Francisco Kojoten, und im japanischen Nara eine ganze
Hirschherde, die aus einem Park ausgebrochen war:
Die Pandemie ist für viele Tiere allerdings gar nicht willkommen
Der World Wildlife Fund äußerte in Spanien die Sorge, dass die
Pandemie einem Besiedlungsprojekt für Gänsegeier in Segovia bei
Madrid erheblich schaden könnte. Der Grund: Alle Restaurants seien
geschlossen, der Aasfresser werde daher kaum Nahrung finden.
Wo weniger Menschen unterwegs sind, gibt es logischerweise weniger
Essensreste – die aber für einige Tiere lebensnotwendig sind. In der
thailändischen Provinz Lop Buri wurden zum Beispiel Affen gefilmt,
die sich besonders heftig um Essenreste stritten.
Hier die Szenen im Video:
Eine Passantin in der spanischen Urlaubshochburg Benidorm, die sonst
auch im Frühjahr überfüllt ist, erlebte auf einer leeren Straße eine
"Attacke", die an den Alfred-Hitchcock-Thriller "Die Vögel" von 1963
erinnerte. Die ältere Frau mit Einkaufs-Rolli wurde von einem Schwarm
weißer Tauben umflattert. Viele Spanier sagen, viele Vögel wirkten
zuletzt deutlich aggressiver. "Die Tauben haben Hunger", titelte die
Zeitung "La Vanguardia".
(vdv/dpa)