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Nachhaltigkeit in der Luftbranche: So könnte klimaneutrales Fliegen aussehen

Airplane flying over forest with yellowed leaves in autumn, bottom view
Unser Traum: Wir wollen die Welt bereisen, ohne sie zu zerstören. Bild: iStockphoto / yalcinsonat1
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Der Traum vom nachhaltigen Fliegen: utopisch oder realistisch?

23.10.2022, 12:5023.10.2022, 12:51
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Bis zum Jahr 2045 will die Bundesregierung Treibhausgasneutralität erreicht haben, bis 2030 sollen die Treibhausgase bereits um 65 Prozent gemindert werden. Damit diese Ziele erreicht werden, muss noch einiges passieren. Beispielsweise muss sich die Art und Weise, wie wir reisen, nachhaltig verändern. Aber wie?

Die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung geht zu 3,5 Prozent auf die globale Luftfahrt zurück. Zwischen 1940 und 2018 kamen ganze 32,6 Milliarden Tonnen CO2 zusammen. Davon wurde ungefähr die Hälfte allein in den letzten 20 Jahren erzeugt. Diese Entwicklung muss jetzt schnellstens umgekehrt werden – das wissen auch die Expert:innen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Björn Nagel will mit seinem Team vom DLR den Luftverkehr klimafreundlicher machen.
Björn Nagel will mit seinem Team vom DLR den Luftverkehr klimafreundlicher machen.bild: dlr

Wir haben mit Björn Nagel, dem Gründungsdirektor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt am DLR gesprochen und uns die zentralen Fragen rund ums klimaneutrale Fliegen beantworten lassen.

Wie kann die Luftfahrt klimaneutral werden?

Die Klimawirkung des Luftverkehrs ist enorm. Eine Studie hat aber gezeigt, dass nur ein Drittel davon auf CO2-Emissionen entfällt und zwei Drittel auf Nicht-CO2-Effekte. Björn Nagel erklärt, dass bei der Verbrennung des Flugzeugtreibstoffes Kerosin nicht nur CO2, sondern auch Stickoxide und aus den Kondensstreifen Wolken gebildet werden, die eine noch stärkere Klimawirkung haben.

Nagel sagt: "Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen wir also den Ausstoß von Treibhausgasen vermeiden. Es ist aber genauso wichtig, dass wir die anderen klimaschädlichen Effekte eliminieren."

Können Flugzeuge auch mit weniger Kraftstoff fliegen?

Da das Kerosin für die schädliche Klimawirkung verantwortlich ist, stellt sich die Frage, ob man dessen Bedarf reduzieren könnte. Nagel hält das für möglich, erklärt aber auch, dass Flugzeuge aufgrund der hohen Benzinpreise schon jetzt sehr energieeffizient sind. Trotzdem soll der Energiebedarf von Flugzeugen bis 2050 noch einmal halbiert werden.

Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sorgt aber noch nicht für Klimaneutralität. "Wenn die Luftfahrt klimaneutral werden soll, führt kein Weg daran vorbei, einen Treibstoff zu finden, der keine Klimawirkung verursacht", sagt der Wissenschaftler.

Welche nachhaltigen Treibstoffe gibt es?

Derzeit gibt es zwei Optionen fürs klimafreundliche Fliegen, beide haben Vor- und Nachteile. Die erste ist flüssiger Wasserstoff. "Der kann entweder in Brennstoffzellen zu Strom umgewandelt werden, oder er kann in Turbine genutzt werden", erklärt Nagel. "In dem Fall entsteht bei der Verbrennung kein CO2. Das ist sehr klimafreundlich, aber technologisch sehr aufwändig."

Die andere Option ist synthetisches Kerosin, das auch als Sustainable Aviation Fuel (SAF) bezeichnet wird. Es kann auf zwei Arten hergestellt werden. Einer davon wird als Power to Liquid bezeichnet. Nagel erklärt die Herstellung so: "Mit grünem Strom wird zunächst grüner Wasserstoff hergestellt. Dem muss dann Kohlenstoff hinzugefügt werden. Damit ein ausgeglichener CO2-Kreislauf entsteht, muss der aus der Luft gefiltert wird. Aus dem Wasserstoff und dem Kohlenstoffdioxid kann dann ein flüssiger Kraftstoff hergestellt werden."

Diese vereinfachte Darstellung zeigt, wie flüssiger Wasserstoff mithilfe von Ökostrom erzeugt wird.
Diese vereinfachte Darstellung zeigt, wie flüssiger Wasserstoff mithilfe von Ökostrom erzeugt wird.bild: thomas seilnacht

Synthetisches Kerosin kann aber auch aus Biomasse hergestellt werden – zum Beispiel aus Frittierfett oder Essensresten. Das Gute daran: "Aus Biomasse hergestellt ist nur Kohlenstoff im SAF enthalten, den die Pflanzen zuvor aus der Luft gebunden haben. Mit der Verbrennung in Turbinen entsteht ein ausgeglichener CO2-Kreislauf."

Warum ist Fliegen mit Frittierfett keine Lösung?

2021 hat bereits der erste klimaneutrale Flug mit 100 Prozent SAF stattgefunden. Trotzdem können wir nicht langfristig mit Frittierfett über die Wolken segeln. Dafür steht schlicht zu wenig Biomasse zur Verfügung. Nagel weist darauf hin, dass die Produktion von synthetischem Kraftstoff nicht im Wettbewerb mit der Nahrungsmittelproduktion stehen darf.

Was ist besser: Synthetisches Kerosin oder flüssiger Wasserstoff?

In den Studien des DLR liefern sich die beiden Energieträger Nagel zufolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Experte fasst die Vor- und Nachteile noch einmal zusammen: "Flüssiger Wasserstoff ist sehr aufwändig in der Handhabung und in der Integration in die Flugzeuge. Der Energiebedarf für die Herstellung von flüssigem Wasserstoff ist aber geringer als für SAF."

Sollten wir das Fliegen lieber ganz lassen?

"Man sollte sich bei jeder Reise überlegen, ob sie wirklich nötig ist. Aber wenn es darum geht, große Distanzen oder unwegsames Gelände zu überwinden, ist das Flugzeug ein sehr effizientes und teilweise das einzige sinnvoll nutzbare Verkehrsmittel", sagt Nagel.

In großen Teilen der heutigen Schwellenländer sei der Luftverkehr zudem essenziell, um von der globalisierten Wirtschaft zu profitieren. "Hier gibt es auch auf relativ kurzen Strecken oft noch keine bodengebundenen Alternativen zum Fliegen", sagt Nagel. "Deshalb ist es gerade hier wichtig, das Fliegen klimaneutral und gleichzeitig kostengünstig zu gestalten. Denn die Menschen müssen es sich leisten können, viele brauchen das Fliegen und haben keine Alternative."

Wie könnte die Politik den Umstellungsprozess beschleunigen?

Wie in jeder Branche haben sich auch in der Luftfahrt gewisse Prozesse und Standards etabliert. Das sind leider nicht immer die klimafreundlichsten. Die Luftfahrt grün zu gestalten, funktioniert also nicht von heute auf morgen. Auch die Politik ist gefragt. Nagel weist beispielsweise darauf hin, dass viele neue klimafreundliche Technologien derzeit noch relativ teuer sind.

"Die Politik sollte Anreize für die Entwicklung und Einführung schaffen, sodass es für die Passagiere nicht teurer ist, klimafreundliche Optionen zu wählen."

Der Experte fordert: "Die Politik sollte wirtschaftliche Anreize für die Entwicklung und Einführung schaffen, sodass es für die Passagiere nicht teurer ist, klimafreundliche Optionen zu wählen. Beim Wasserstoff muss zunächst überhaupt ein Wirtschaftssystem im großen Maßstab aufgebaut werden." Eine Methode, diese positiven Anreize zu finanzieren, bestehe darin, umweltschädliche Technologien zu besteuern.

Wie kann ein klimafreundlicher Flug aussehen?

Ein nachhaltiger Treibstoff ist für einen klimaneutralen Flug unersetzlich. Doch es gibt noch andere Faktoren, die die Flugreise umweltfreundlicher machen können – zum Beispiel die Flughöhe. Der positive Klimaeffekt einer geringeren Flughöhe ist enorm. "Würde man etwa zwei Kilometer tiefer fliegen, als man es derzeit tut, würde man die CO2-unabhängigen klimaschädlichen Effekte fast vollständig vermeiden", erklärt Nagel.

Fliegt das Flugzeug tiefer, ist es allerdings einer höheren Dichte und somit einer stärkeren Luftreibung ausgesetzt. "Das wiederum würde es erlauben, andere Triebwerke mit großen Propellern einzusetzen, die deutlich energieeffizienter sind", sagt Nagel. "Wenn die Flugzeuge also tiefer und langsamer fliegen würden, könnte man 30 Prozent energieeffizienter fliegen als man es heute tut und die nicht-CO2 Effekte weitgehend vermeiden."

Warum fliegen Flugzeuge nicht tiefer und langsamer?

Die Flüge würden länger dauern – und Fluggesellschaften, die solche "Tiefflüge" anbieten würden, hätten vermutlich Schwierigkeiten damit, ihre Kund:innen zu behalten. Nagel weist darauf hin, dass Passagiere nun mal den Flug wählen, der sie am schnellsten und kostengünstigsten ans Ziel bringt. "Fluggesellschaften bieten die Flüge an, die der Markt fordert. Die Flugzeughersteller entwerfen Flugzeuge, die die Fluglinien kaufen."

"Wir stehen vor einer disruptiven Entwicklung, in der die gesamte Luftfahrt umgestellt werden muss."

Der Experte glaubt dennoch an den grünen Wandel der Branche: "Wir stehen vor einer disruptiven Entwicklung, in der die gesamte Luftfahrt umgestellt werden muss."

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