Nicht nur Biomärkte: Immer mehr Konzerne werben inzwischen mit Nachhaltigkeit.Bild: IMAGO / serienlicht
watson antwortet
14.11.2022, 17:0314.11.2022, 17:49
"Nachhaltig produziert", "ressourcenschonend", "komplett recyclebar": Nachhaltige Unternehmen gibt es inzwischen wie Sand am Meer, denn "Grün Sein" liegt voll im Trend und wird es auch weiter bleiben. So fällt das Ergebnis einer aktuellen Studie vom größten deutschen Marktforschungsinstitut GfK aus.
Das scheint zunächst ein gutes Zeichen zu sein, um die Klimakrise in den Griff zu kriegen. Denn je mehr Unternehmen wirklich nachhaltig werden und umweltschonend produzieren, desto mehr CO2 könnte eingespart werden. Doch inzwischen werben nicht nur Start-ups und Bioläden damit, wie umweltfreundlich sie sind – auch große Konzerne und Unternehmen aus weniger nachhaltigen Branchen wie der Modeindustrie verleihen ihrem Image zunehmend einen grünen Anstrich.
Max Jungmann ist Managementberater für Nachhaltigkeit.bild: Sawyer Smith Roque
Um zu verstehen, was Unternehmen wirklich nachhaltig macht, hat watson bei Max Jungmann, Nachhaltigkeitsberater für Unternehmen und Organisationen, und Rebecca Taylor-Clarke, Personalleiterin bei der Bewerberplattform Recruitee, näher nachgefragt.
Nachhaltige Unternehmen besonders attraktiv für junge Fachkräfte
Für beide Experten ist klar: Vor allem für junge Menschen ist Nachhaltigkeit aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. "Inzwischen haben Kund:innen, Mitarbeitende und Investor:innen die Erwartung, dass Unternehmen einen positiven Beitrag leisten zu der Welt, in der wir leben. Es wird immer zentraler, dass Unternehmen für etwas Größeres stehen als ihr ursprüngliches Geschäftsmodell", beschreibt Jungmann im Gespräch mit watson.
Rebecca Taylor-Clarke, Global Head of People bei Recruitee.Bild: PIABO
Mit positiven Folgen: Wie Personalleiterin Rebecca Taylor-Clarke verrät, würden Unternehmen, die eine ganz klar nachhaltige Vision haben und Nachhaltigkeit in ihrer Unternehmenskultur leben, deutlich einfacher neue Fachkräfte finden und die eigenen Arbeitnehmer:innen längerfristig halten und sogar zu extra Engagement motivieren können. "Und das in Zeiten, in denen viele Konzerne mit Quiet-Quitting zu kämpfen haben", betont sie.
Was macht ein nachhaltiges Unternehmen aus?
Auf Nachfrage von watson stellt Nachhaltigkeitsberater Jungmann klar: "Nachhaltig zu arbeiten bedeutet im Kern, mit den eigenen Kräften und materiellen Ressourcen intelligenter umzugehen. Es geht darum, dass das Unternehmen Nachhaltigkeit wirklich in sein Geschäftsmodell integriert."
Unternehmen würden dann nachhaltig, wenn sie ihre eingefahrenen Arbeitsprozesse und -strukturen nachhaltig anpassten, erklärt Jungmann:
"Wo produziere ich mein Produkt, welche Materialien benutze ich dafür, wie viel Energie verbraucht die Herstellung, wie lang sind die Lieferwege, auf welche Weise wird mit Menschen und Ressourcen im Unternehmen umgegangen? ... Diese Fragen müssen neu geklärt werden."
In einem nachhaltigen Unternehmen werden damit auch Entscheidungen im Marketing, im Materialeinkauf, beim Transport, bei neuen Investitionen und im Teammanagement danach getroffen, wie nachhaltig sie sind.
Bei Start-ups, die inzwischen oft Nachhaltigkeit bereits in ihre Geschäftsidee inkludierten, funktioniere das sehr gut, berichtet Jungmann. Als ein Beispiel nennt er die Geschäftsidee von Spülmittel – in Form von wiederverwendbaren Spültabs. Wird Spülmittel normalerweise flüssig in einzelnen Plastikflaschen verpackt, sind die Tabs eine plastikfreie Alternative und werden per Post in Papier verpackt an die Käufer:innen versandt. "Diese Geschäftsidee hat als Basis für ihr Geschäftsmodell direkt eine Nachhaltigkeitsherausforderung aufgegriffen: weniger CO2 zu emittieren und Plastik zu reduzieren."
Was macht eigentlich ein Nachhaltigkeitsberater?
"Als Nachhaltigkeitsberater muss man jeden Tag am Puls der Zeit sein und verstehen, welche Trends, welche neuen Regulierungen, technischen Entwicklungen und auch wissenschaftlichen Forschungsergebnisse es gibt – und das Ganze in einen Unternehmenskontext übersetzen können", erklärt Jungmann auf Nachfrage von watson.
Hier den Überblick und das Fachwissen zu behalten, überfordere viele Geschäftsführer. "Mein Team unterstützt ein Unternehmen, indem wir gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen konkrete Maßnahmen entwickeln und empfehlen, wie die unterschiedlichen Abteilungen in einem Unternehmen verändert werden sollten, um nachhaltiger zu werden.“
Max Jungmann während eines Workshops in New York.null / sawyer_roque
Warum sind Investitionen in Nachhaltigkeit auch während der Energiekrise und Inflation sinnvoll?
"Langfristig wie kurzfristig ist zu sehen, dass die Unternehmen, die schon früh angefangen haben, ihre Geschäftsmodelle deutlich nachhaltiger aufzustellen, auch sehr stark vor finanziellen Risiken geschützt sind", antwortet Jungmann. So hätten Unternehmen, die schon vor Jahren auf erneuerbare Energien umgestellt hätten, aktuell einen deutlich geringeren Verbrauch an fossilen Brennstoffen und weniger Emissionen. Und damit niedrigere Kosten, womit sie jetzt günstige Preise anbieten können.
Elektrobetriebene Züge rentieren sich oft mehr als mit Diesel betriebene Loks.Bild: IMAGO / blickwinkel / blickwinkel/S.Ziese
"In Zukunft werden Energie und Materialien aber wohl kaum billiger werden. Deshalb ist es selbst für Nachzügler auch jetzt noch nicht zu spät, ihr Geschäft nachhaltig umzustellen", schätzt der Nachhaltigkeitsberater für watson ein.
Woran erkennt man Greenwashing bei Unternehmen?
"Oft ist Greenwashing ein zu frühes 'Über'-Kommunizieren eines Unternehmens, das sich zwar sehr ambitionierte nachhaltige Ziele setzt, aber nicht zeigt, wie es diese Ziele erreichen wird – und trotzdem versucht, mit dem Status 'nachhaltig' zu punkten", sagt Jungmann.
Um sich deshalb einen Durchblick zu verschaffen, raten beide Nachhaltigkeitsberater zu folgenden Tipps:
1. Sich an Siegeln orientieren: Es gibt staatliche Siegel, Siegel, die von der Industrie genutzt werden oder unternehmenseigene Siegel, die alle Nachhaltigkeit versprechen. Um sich hier besser zu orientieren, rät Jungmann, die App "Siegelcheck" zu benutzen, mit der man einzelne Siegel einscannen kann, um nähere Hintergrundinfos zu erhalten. "Denn 'nachhaltig' oder 'ressourcenschonend' sind keine geschützten Begriffe", gibt Jungmann zu bedenken. "Unternehmen, die sich so ausschreiben, müssen keine direkten finanziellen Konsequenzen befürchten." Und könnten damit einfacher Greenwashing betreiben.
2. Die Nachhaltigkeitsstrategie oder Nachhaltigkeitsberichte durchlesen: Eine Möglichkeit sei es, auf Transparenz in der Kommunikation zu achten. "Je mehr Informationen es über Nachhaltigkeit vonseiten des Unternehmens gibt, desto besser, aber prüfen Sie immer, ob den schönen Worten auch Taten folgen", rät die Beraterin Taylor-Clarke. Einige Unternehmen seien darauf spezialisiert, möglichst "fancy" klingende Begriffe zu verwenden, jedoch nicht weiter konkret erklären, was sie im Nachhaltigkeitskonzept bedeuten.
3. Angegebene Ziele hinterfragen: Dasselbe gelte für die deklarierten "Ziele", ergänzt Jungmann: Hier würden gerne Prozentangaben von CO2-Einsparungen oder weniger Ressourcenverbrauch angegeben. "Doch auch hier muss wieder klar werden: Die Prozentangabe steht im Vergleich wozu?", sagt er. In der Nachhaltigkeitsstrategie und im Nachhaltigkeitsbericht eines wirklich grünen Unternehmens muss daher stehen, wie diese Ziele erreicht wurden: "Welche konkreten Maßnahmen setzen sie dafür um? Warum wurden genau diese Ziele und nicht andere ausgewählt?"
4. Auf internes und externes Engagement für Nachhaltigkeit achten: Ein weiteres Erkennungszeichen für eine nachhaltige Unternehmensführung könnte sein, wenn das Unternehmen extra ein:e Verantwortliche:n für Nachhaltigkeit beschäftige, ergänzt die Personalleiterin Taylor-Clarke. Diese könnten zu aktuellen sowie zu Maßnahmen, die in der Vergangenheit für mehr Nachhaltigkeit ergriffen wurden, befragt werden. "Sie können auch prüfen, ob das Unternehmen mit anderen Unternehmen oder Organisationen zusammenarbeitet, die sich positiv auf die Umwelt auswirken", gibt die Expertin als Tipp an.