Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

Fridays for Future zu IPCC-Bericht: Welche Maßnahmen sofort ergriffen werden müssten

Fridays For Future event Milan, national demonstration against climate change organized by Fridays For Future *** Fridays For Future event Milan, national demonstration against climate change organize ...
Weltweit gehen Menschen auf die Straße und demonstrieren für mehr Klimaschutz.Bild: www.imago-images.de / imago images
Gastbeitrag

Fridays for Future: Welche Klimaschutz-Maßnahmen sofort ergriffen werden müssten

08.04.2022, 15:0108.04.2022, 18:10
Merit Willemer, gastautorin
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Immer wenn der Weltklimarat, kurz IPCC, einen neuen Bericht herausbringt, halten wir Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Atem an. So haben wir auch am Montag wieder mit gemischten Gefühlen auf die Veröffentlichung des dritten (und letzten) Teils des sechsten Sachstandsberichts geblickt, der sich hauptsächlich mit der Mitigation, also Eindämmung, der Klimakrise beschäftigt.

Der Ende Februar erschienene zweite Teil des Berichts hat ein düsteres Bild davon gezeichnet, wie uns hier vor Ort und weltweit die Klimafolgen bereits treffen und noch zukünftig treffen werden. Der neuste Bericht zeigt jedoch ganz deutlich: Wir sind meilenweit entfernt vom richtigen Pfad, aber trotzdem gibt es noch Hoffnung.

Denn in allen Bereichen bieten sich momentan noch Lösungen an. Ob wir 1,5 Grad überschreiten, ist daher keine hypothetische Frage, sondern eine ganz praktische. Wie sehen diese Lösungen aus?

Wir können Energie sparen und Erneuerbare ausbauen, wir können unsere Häuser dämmen, Bauen grundsätzlich auch neu denken und eine echte, soziale Verkehrswende einleiten. Genau diese Möglichkeiten müssen wir nutzen. Wir wissen, es scheitert nicht am Geld, sondern am politischen Willen – im letzten Jahr hat die Politik oft genug bewiesen, was möglich ist, wenn es gewollt ist.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.

Ungefähr die Hälfte aller Maßnahmen wäre jetzt schon billiger, als am Status Quo festzuhalten. Ein weiterer, wichtiger Sektor ist die Landwirtschaft beziehungsweise Landnutzung. Daran lassen sich viele Kernpunkte des neuen IPCC Berichts beispielhaft betrachten. Die Landwirtschaft hat einen enormen Anteil an unseren Emissionen, hier können wir dementsprechend aber auch viel einsparen.

"Die Ernte gehört auf den Teller und nicht in den Trog."

Schaut man sich die Fakten einmal genauer an, kann man die Absurdität gar nicht übersehen. Während Menschen um ihre Versorgung mit Getreideprodukten bangen, verfüttern wir mehr als die Hälfte der Ernte an Tiere, nur um diese dann zu schlachten. Dabei bleibt von der Energie, die wir in den Anbau stecken, nur noch ein Drittel oder sogar noch weniger übrig. Die Ernte gehört auf den Teller und nicht in den Trog.

Um eine gerechte Lebensmittelversorgung langfristig zu sichern, müssen wir bis 2035 die Tierhaltung und den Fleischkonsum halbieren und Kreislaufwirtschaft in der Futtermittelproduktion einrichten. Hier kommt die Macht der Nachfrageseite ins Spiel. Verbraucherinnen und Verbraucher können 40-70 Prozent der Emissionsreduktionen bis 2050 beitragen. Hier ist der Staat gefragt, die klimagerechten Entscheidungen so einfach und günstig wie möglich zu gestalten – sozial gerecht und für alle. So können zum Beispiel Vergabe- und Beschaffungsrichtlinien angepasst und damit eine massive Nachfrage nach klimagerechten Produkten erzeugt werden, und das nicht nur bei der Ernährung.

"Es gibt keine Möglichkeit zur CO₂-Entfernung, die die Notwendigkeit sofortiger und drastischer Emissionsreduktion ersetzt."

Ein weiterer Teil des IPCC befasst sich mit Negativemissionen. Bereits jetzt muss für das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt werden. Allen Christian Linders, die nun schon anfangen zu jubeln, sei aber gesagt, dass das erstens sehr aufwendig ist und zweitens nicht unbedingt etwas mit neuartiger Technologie zu tun haben muss.

Klar ist: Es gibt keine (!) Möglichkeit zur CO₂-Entfernung, die die Notwendigkeit sofortiger und drastischer Emissionsreduktion ersetzt – vielmehr reicht die Emissionsreduktion alleine eben einfach nicht mehr aus und wir müssen ergänzende Maßnahmen ergreifen. Auch hier kennen wir die Lösungen schon und müssen nicht auf eine wundersame, noch nicht entwickelte Technologie warten.

Merit Willemer ist 21 Jahre alt und seit 2019 bei Fridays for Future aktiv. Dort ist sie vor allem für die bundesweite Kampagnenplanung zuständig. Nebenbei studiert sie Theaterregie.
Merit Willemer ist 21 Jahre alt und seit 2019 bei Fridays for Future aktiv. Dort ist sie vor allem für die bundesweite Kampagnenplanung zuständig. Nebenbei studiert sie Theaterregie.bild: fridays for future

Wir können beispielsweise Moore oder einfache Wiesen nutzen. CO₂-Senken und Landwirtschaft können und müssen Hand in Hand gehen. Wenn wir Böden versiegeln oder intensiv bewirtschaften, ist das langfristig nicht gut für unsere Ökosysteme und damit auch für den Anbau der Lebensmittel. So kann kein Humus, welcher CO₂ aufnehmen würde, aufgebaut werden.

Wir schaden durch unsere rücksichtslose Landnutzung der Biodiversität, von der unsere Ernährungssicherheit massiv abhängt, und zerstören die Chance, eine CO₂-Senke zu schaffen. Wir haben in der Bewirtschaftung des Landes große Chancen, Emissionsspeicher zu generieren und dadurch negative Emissionen zu verzeichnen – und so durch vorausschauende Krisenprävention unsere Ernährung zu sichern. Doch die aktuell so kurzsichtig von einigen lauten Stimmen geforderte Re-Intensivierung der Landwirtschaft würde diese Möglichkeiten nicht nur gefährden, sondern vernichten.

Unsere ernährungspolitische Antwort auf eine bevorstehende globale Ernährungskrise kann nicht eine weitere Befeuerung der Klimakrise und anderer ökologischer Katastrophen sein. Stattdessen brauchen wir eine richtige Agrarwende, und das zügig. Wir müssen einen Schlussstrich unter die industrielle Tierhaltung setzen. Nur so schaffen wir eine auf die extremen Klimaveränderungen vorbereitete Landwirtschaft und nutzen ihre Potenziale für Klimagerechtigkeit.

Das gilt für alle Sektoren. Ob Landwirtschaft, Mobilität, Gebäude oder Industrie; die Lösungen liegen seit Montag einmal mehr auf dem Tisch. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein massives Umsetzungsproblem. Die Regierung, alle Ministerinnen und Minister, ob in den Ländern, im Bund oder auf Europaebene, müssen sich endlich ihrer Verantwortung stellen. Jedes weitere Zögern feuert die multiplen Krisen an.

"Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein massives Umsetzungsproblem."

Der neueste Bericht des IPCC lässt keine Fragen offen. Er zeigt glasklar: Das Zeitfenster für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommen schließt sich rasant.

Die entscheidenden Maßnahmen müssen in den nächsten Monaten getroffen werden. Die Verantwortung liegt somit ganz klar bei der Ampel-Regierung – und bei uns allen, denn es braucht Menschen, die sich engagieren, organisieren und den Wandel gestalten. Es braucht euch.

Expertenrat: Verkehrssektor verfehlt Klimaziel zum dritten Mal in Folge

Der Verkehrsbereich hat nach Angaben des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen auch 2023 deutlich mehr Abgase verursacht als gesetzlich erlaubt. Statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO₂ seien im Verkehr im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen Treibhausgase entstanden, schreiben die Fachleute in ihrem am Montag in Berlin veröffentlichten Prüfbericht zu im März vorgestellten Daten des Umweltbundesamts (UBA). Damit verfehlt der Verkehrssektor sein Klimaziel das dritte Jahr in Folge.

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