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Kriminalität

Gruppenvergewaltigung in Italien: Social-Media-Hetzjagd nach Tätern eskaliert

Aufnahmen einer Überwachungskamera: das Opfer mit den Tätern auf dem Weg zum Tatort.
Aufnahmen einer Überwachungskamera: das Opfer mit den Tätern auf dem Weg zum Tatort. Bild: Carabinieri Palermo
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Bizarre Hetzjagd nach Gruppenvergewaltigung in Italien – ohne Rücksicht auf das Opfer

23.08.2023, 07:3324.08.2023, 12:50
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Italien steht nach der Gruppenvergewaltigung einer Teenagerin in Palermo unter Schock. Der Fall ist besonders grausam, erschüttert auch über einen Monat danach die Öffentlichkeit. Kein Wunder: In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli haben mehrere Jugendliche in Palermo ein 19 Jahre altes Mädchen der Reihe nach missbraucht. Sie filmten die schrecklichen Szenen, verspotteten das Opfer, schlugen es und setzten es dann auf der Straße aus. Mittlerweile wurden sieben Verdächtige festgenommen.

Auf Social Media ist eine regelrechte Hetzjagd ausgebrochen. Diese artet zunehmend aus. Nach der Nachricht von mehreren Verhaftungen der mutmaßlichen Täter teilten zahlreiche empörte User:innen Inhalte mit Fotos und Social-Media-Accounts der Jugendlichen und fordern "Selbstjustiz". Auch für das Opfer dürfte die Situation grauenvoll sein. Denn ihr Name wird online ebenso verbreitet wie diejenigen der mutmaßlichen Täter.

Hass in Italien: Online gelten zwar Regeln, daran hält sich aber niemand

Es ist eine Verfolgungsjagd, die angesichts des grauenhaften Vorfalls so verständlich wie auch verwerflich ist. Während italienische Journalist:innen sich bei der Bearbeitung von Nachrichten an Regeln halten müssen, lassen User:innen in den sozialen Netzwerken offenbar ihren Gefühlen freien Lauf.

Die Lage eskaliert. So haben mehrere Facebook-Nutzer:innen Beiträge gemeldet, worin etwa Auszüge aus Abhörprotokollen zusammen mit Fotos der Verdächtigen veröffentlicht wurden. Alles "im Namen der Gerechtigkeit des Volkes". Und mit der Bitte, die Bilder weiterzuverbreiten.

Manche Personen tun alles dafür, um die Social-Media-Profile und Fotos der Verdächtigen zu finden. Andere wollen das Video der grauenvollen Gruppenvergewaltigung finden, jagen den Aufnahmen auf Telegram nach, teilen die Inhalte weiter.

Und: Es gibt mittlerweile zahlreiche Scheinkonten, die suggerieren sollen, die Verdächtigen schrieben böse Kommentare oder verhöhnten das Opfer.

Hass und Verfolgung nach Gruppenvergewaltigung auf Social Media

Doch es geht noch weiter: Der Ruf nach Selbstjustiz wird laut. Es gibt Aufrufe zur Kastration, Mord oder dazu, den mutmaßlichen Tätern das "Leben zur Hölle" zu machen. Zahlreiche Personen teilten Beiträge gegen die Verdächtigen mit sehr gewalttätigen Tönen, Drohungen und Beleidigungen, verbreiteten aber auch ihre Konten.

Sogar "unverdächtige" Personen, etwa aus öffentlichen Ämtern oder Politiker:innen, Journalist:innen, Personen, die für die Polizei oder in Schulen arbeiten, werden in Beiträgen erwähnt. Auch sie ernten teils Hass, wie italienische Medien, etwa "corriere.it" berichten. Als Rechtfertigung nennen einige Verfasser solcher Hass-Postings "chronische Probleme der Justiz".

Name und andere Daten des Opfers sind Öffentlichkeit bekannt

Nicht nur die Verdächtigen haben das Nachsehen. Obwohl die User:innen es scheinbar nur gut meinen, hat die öffentliche Hetzjagd auch für das Opfer schreckliche Folgen.

So wurde auch der Name sowie das Profil der jungen Frau mehrfach geteilt, teilweise durch Solidaritätsbekundungen, die persönliche Daten der Teenagerin teilen. Eines der Social-Media-Profile der 19-Jährigen wird regelrecht überschwemmt mit Solidaritätsbekundungen. Dass das nicht angebracht ist, darüber denken die User:innen offenbar nicht nach.

Doch Gegenwehr bleibt nicht aus. Zahlreiche Personen kritisieren die Hetze scharf, stellen sich online den Hass-Nachrichten entgegen, sprechen von einer Instrumentalisierung der Tat.

Ein "soziales Justizsystem" ist gefährlich – und bringt weitere Opfer

Mehrere italienische Medien berichten von dem Fall und der Online-Hetze. Schreiben, dass dieser eine beunruhigende Entwicklung aufzeige. So sei so etwas wie eine "virtuelle Justiz" geschaffen worden. Und zwar deshalb, weil die Menschen das Gefühl hätten, die Justiz greife nicht hart genug durch.

Das Problem: Die Hetze geht mit schwerwiegenden Auswirkungen auf das reale Leben der Betroffenen, der Opfer, aber auch der Verhafteten einher. Auch völlig unbeteiligte Bürger:innen wurden mit hineingezogen, etwa durch Verwechslung. So wurde etwa ein 17-jähriger Junge versehentlich für einen Täter gehalten, wie die "PalermoToday" kürzlich berichtete.

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Auch von einer Art "soziales Justizsystem" ist in italienischen Medien die Rede. Sie sprechen von einem Justizsystem, in dem die verfassungsrechtlich verankerten Rechte wie jenes auf ein faires Verfahren oder Gleichheit vor dem Gesetz nicht gelten.

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