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FC Bayern: Wie Goretzka vom umstrittenen Star zum Heilsbringer für Tuchel wird

20.09.2023, Bayern, M
Im Sommer noch galt Leon Goretzka als Verkaufskandidat, jetzt aber ist er für den FC Bayern wieder wichtig.Bild: dpa / Sven Hoppe
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FC Bayern: So wird Leon Goretzka vom Problem zum Heilsbringer

01.10.2023, 12:04
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Schon nach dem Bundesliga-Spiel gegen den VfL Bochum schien klar zu sein, dass der FC Bayern vorerst auf den angeschlagen ausgewechselten Matthijs de Ligt verzichten müsse. Als sich in den Tagen darauf abzeichnete, dass mit Min-Jae Kim und Dayot Upamecano zwei weitere Innenverteidiger für das DFB-Pokal-Spiel gegen Preußen Münster ausfallen würden, stand der FCB plötzlich ohne zentrale Abwehrspieler da.

So wurde vorab reichlich spekuliert, welchen Profi Thomas Tuchel denn in die Innenverteidigung beordern würde. Joshua Kimmich, der unter Pep Guardiola einst auf dieser Position zum Einsatz gekommen war? Konrad Laimer, der schon als Außenverteidiger aushelfen musste? Oder Noussair Mazraoui, der immerhin ein gelernter Abwehrspieler ist?

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Der Marokkaner war zumindest ein Teil der Antwort, denn Tuchel entschied sich für eine Viererkette mit zwei Innenverteidigern. Mazraouis Nebenmann kam dabei aber durchaus überraschend: Leon Goretzka.

Der 28-Jährige ist praktisch seine komplette Karriere über im Mittelfeld aufgelaufen, als Box-to-Box-Spieler meist sogar eher in einer etwas offensiveren Rolle. So war es gerade auch immer im Zusammenspiel mit Joshua Kimmich, der das Geschehen etwas mehr aus der Tiefe heraus lenkt. Sowohl bei den Bayern als auch im DFB-Team.

Thomas Tuchel: Leon Goretzka bringt alles für die Innenverteidigung mit

Obwohl die Abwehrzentrale für Goretzka also positionsfremd ist, so scheint die Besetzung für Tuchel dennoch ein No-Brainer gewesen zu sein. "Leon ist eigentlich dafür prädestiniert, vom Körper und von der Schnelligkeit auf Strecke", nannte der Coach die Vorzüge des 1,89 Meter großen Profis.

Und so sah sich der Trainer nach dem Pokalerfolg in Münster vom "souveränen, sehr seriösen und zweikampfstarken" Auftritt des deutschen Nationalspielers bestätigt. Eine Meinung, die er nicht exklusiv hatte. Denn Goretzka wurde auch offiziell als Spieler des Spiels ausgezeichnet.

"Wenn es so bewertet wird, werde ich da wohl häufiger auflaufen müssen", witzelte der 28-Jährige nach der Partie selbst. Er würde sich diese Rolle nicht nur gegen einen Drittligisten, sondern auch in der Bundesliga zutrauen: "Das Mindset sollte jeder Spieler, der in der Bundesliga aufläuft, auch haben."

Nichtsdestotrotz hoffte er aber auch auf eine zeitnahe Rückkehr der Abwehrkollegen. "Dann hat sich das Thema schnell wieder erledigt", war er überzeugt. Tatsächlich stehen mit Kim und Upamecano zwei Innenverteidiger im Top-Spiel gegen RB Leipzig am Samstagabend vor der Rückkehr, Goretzka wird damit aller Voraussicht nach ins Mittelfeld zurückkehren. Und trotzdem ist das Thema nicht gänzlich zu.

FC Bayern: René Adler sieht in Leon Goretzka eine 'Holding Six'

Dabei geht es weniger um eine Aufstellung im Abwehrzentrum per se, als vielmehr um die Learnings, die der gebürtige Bochumer aus dem Pokalspiel mitgenommen hat. Unbedingt das eigene Tor verteidigen wollen, den offensiv denkenden Kollegen den Rücken freihalten, hin und wieder Angriffe mit tiefen Bällen inszenieren: Das hat Goretzka als Innenverteidiger gemacht. All das wird aber auch in einer anderen Rolle gefordert.

"Es wird ja immer nach dieser 'Holding Six' geschrien. Ich sehe in Leon Goretzka eigentlich schon jemanden, den du perspektivisch dahin entwickeln kannst, wenn er das will", meinte René Adler im "ZDF".

Der frühere Nationaltorhüter spielte damit auf die Aussagen Tuchels an, der sich den ganzen Sommer über einen defensiv denkenden Sechser gewünscht hatte. Die Bayern-Bosse kamen diesem Wunsch lange Zeit nicht nach, auf den letzten Drücker scheiterte dann die Verpflichtung von João Palhinha.

Die Forderung des Übungsleiters war auch als Kritik am vorhandenen Personal zu verstehen. In keinem seiner zentralen Mittelfeldspieler hat Tuchel die Kombination aus Willen und Fähigkeiten erkannt, sich als Abräumer in den Dienst der Mannschaft zu stellen.

Bayern's head coach Thomas Tuchel, left, talks to Bayern's Leon Goretzka after scoring his side's second goal during the German Bundesliga soccer match between Bayern Munich and Bayer 0 ...
Thomas Tuchel (l.) wünscht sich für den FC Bayern schon lange einen echten Sechser. Hat er ihn mit Leon Goretzka etwa schon?Bild: AP / Matthias Schrader

Der womöglich einmalige Einsatz in der Abwehrzentrale könnte für Goretzka nun zur Initialzündung werden, um sich in eben jene, von Tuchel gewünschte Rolle, zu entwickeln. "Eine meiner großen Stärken ist, das umzusetzen, was der Trainer von mir erwartet", hatte er bereits im Sommer gegenüber "Sport1" erklärt.

Gelingt dem 28-Jährigen nun dieser Wandel, würde er die Meinung seines Trainers nicht zum ersten Mal ändern. In der Vorbereitung war der deutsche Nationalspieler hintendran, der FCB-Coach setzte neben Kimmich lieber auf Laimer. Um Goretzka gab es daher sogar Wechselgerüchte, Manchester United etwa soll interessiert gewesen sein.

FC Bayern: In Top-Spielen fehlt noch die Kompaktheit

Der Mittelfeldmann aber blieb in München – und ist seit Beginn der Bundesliga-Saison wieder gesetzt. Gelingt ihm nun sogar die Transformation zum defensiv umsichtigen Sechser, könnte er für die Bayern zum Problemlöser, zum entscheidenden Puzzleteil werden.

Denn gerade in den Top-Spielen gegen Leipzig, Bayer Leverkusen oder Manchester United hatten die Münchener Probleme mit ihrer Kompaktheit, kassierten in diesen drei Duellen satte acht Gegentore. Mit einem abräumenden Goretzka hätte der FCB womöglich weniger Tore erzielt, er traf immerhin gegen Leverkusen, ziemlich sicher aber auch deutlich weniger Gegentreffer kassiert.

Tuchel wird sich wünschen, dass sein Profi diesen Wandel in den nächsten Wochen vollziehen kann. Und auch sein Vorgänger wird ihm die Daumen drücken.

Denn Julian Nagelsmann kann in der Nationalmannschaft ebenfalls einen echten Sechser gebrauchen. Kimmich denkt auch im DFB-Team zu offensiv, İlkay Gündoğan ist kein Abräumer und Emre Can agiert zu fehlerbehaftet. Eine echte Alternative drängt sich nirgends auf. Bisher. Denn Goretzka könnte alles ändern.

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