2007 wurde Gazprom mit einem überdimensionalen Schalke-Trikot als neuer Sponsor vorgestellt. Bild: imago sportfotodienst / Laci Perenyi
Analyse
03.03.2022, 11:1303.03.2022, 11:56
Nach 15 Jahren war am frühen Montagmittag Schluss. Schalke 04 und Gazprom – das war seit dem Einstieg des russischen Staatsunternehmens 2007 beim Traditionsklub mehr Zweck- als Liebesbeziehung. Schalke war in gewisser Weise auf die Millionen angewiesen, bei den Fans kam das Sponsoring aber nie gut an.
Und wie es in solchen Beziehungen oft ist, wurde das Ende in zwei kurzen Sätzen mitgeteilt. Am Montagmittag gab der Zweitligist bekannt, dass die "Partnerschaft" mit dem russischen Staatsunternehmen vorzeitig beendet wird. Eigentlich wäre der Vertrag noch bis 2025 gelaufen.
"Alle, die gedacht haben, dass das Geld im Fußball keine Grenzen kennt – hier ist die Grenze", bewertet Marken-Experte Christopher Spall zum Ende des Sponsorings im Gespräch mit watson. "Ein Unternehmen, das indirekt an einem Angriffskrieg beteiligt ist, ist so gut wie mit keiner Marke der Welt vereinbar." Ein weiteres Zögern der Verantwortlichen hätte der Marke Schalke 04 nur nachhaltigen Schaden zugefügt.
Und Schalke 04 gehört trotz der Zugehörigkeit in der 2. Bundesliga mit 160.000 Mitgliedern zum zweitgrößten Verein Deutschlands. Laut der Markenwertberatung Brand Finance gehören die Königsblauen außerdem zu den 20 größten Fußballmarken der Welt.
Markenexperte Christopher Spall Bild: spall.macht.marke / spall.macht.marke
Schalke 04: Sehnsucht nach Identifikation
Bei den Fans sorgte die Abkehr von Gazprom für unglaubliche Begeisterung. Am Montag brach der Online-Shop nach der endgültigen Entscheidung zusammen. Der Hype um die Trikots, auf denen lediglich Schalke 04 auf der Brust steht, war enorm.
Für Markenexperte Spall ein Zeichen, wie groß das eigentliche Potenzial bei Schalke 04 sein kann. Und wie groß das Potenzial für alle Fußballklubs in Deutschland ist, wenn die Vereine sich wieder mehr auf die Bedürfnisse der Fans einstellen würden.
"Das ist die Sehnsucht der Fans nach Echtheit. Gerade bei einem Malocher-Klub wie Schalke lechzen die Fans danach, etwas auf der Brust stehen zu haben, mit dem sie sich identifizieren."
Gegen den Karlsruher SC am vergangenen Wochenende war Gazprom schon nicht mehr auf der Brust zu sehen und auch am Samstag gegen Hansa Rostock werden die Gelsenkirchener wohl wieder mit diesem Trikot auflaufen.
Simon Terodde spielte am Samstag mit seinen Teamkollegen ohne "Gazprom"-Schriftzug, stattdessen mit "Schalke 04" auf der Brust.Bild: www.imago-images.de / Wolfgang Frank/Eibner-Pressefoto
Schalke ersetzt Gazprom wohl durch Vivawest
Doch lange wird es dieses Trikot auch nicht mehr geben. Die Schalker Vereinsführung teilte mit, dass sie zuversichtlich seien, "zeitnah einen neuen Partner präsentieren zu können." Laut "kicker"-Informationen wird wohl der Wohnungsanbieter Vivawest der neue Trikotsponsor der Königsblauen werden.
Zwar seien Immobilien nicht das stärkste Thema, mit dem sich die Fans von Schalke 04 identifizieren, doch "entscheidend ist, dass der Sponsor aus der Region ist und die Werte vertritt, für die der Verein steht – harte Arbeit, Ehrlichkeit und Zusammenhalt", schätzt Markenexperte Spall ein.
Das Unternehmen hat seinen Sitz zwar in Essen, doch die Hauptverwaltung liegt in Gelsenkirchen-Horst, nur wenige Kilometer von der Schalker Veltins-Arena entfernt.
Finanzielle Einbußen garantiert
Zwar ist Vivawest der drittgrößte Wohnungskonzern Deutschlands und 2020 lag der Jahresumsatz bei 833,7 Millionen Euro, doch eine ähnlich hohe Summe wie Gazprom werden Vivawest wohl nicht zahlen. Das russische Unternehmen sponserte den Zweitligisten wohl mit neun Millionen Euro jährlich. Bei einer Rückkehr in die Bundesliga wären es sogar 15 Millionen pro Saison gewesen. Bei 237 Millionen Euro Schulden eigentlich dringend benötigtes Geld.
Doch der Verein versicherte bereits, dass "die vollständige finanzielle Handlungsfähigkeit des Vereins von dieser Entscheidung unberührt" sei.
"Es wird zukünftig eine höhere Sensibilität bei Fans und Funktionären geben, welcher Sponsor wirklich zu den Werten eines Vereins passt."
Marken-Experte Christopher Spall
Der Marken-Experte glaubt, dass auch die handelnden Personen in der Vorstandsebene trotz der verminderten Einnahmen, froh über die Entscheidung sind. Denn jetzt müssen sie keine Marke mehr vertreten, mit der sie sich nicht identifizieren.
Doch etwas Zeitdruck, einen neuen Sponsor zu präsentieren, haben die Schalker Verantwortlichen. Denn bis zum 15. März müssen die Vereine der Bundesliga und 2. Liga ihre Lizenzunterlagen bei der DFL einreichen. Dabei müssen die Vereine ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweisen. Die Liga will dadurch sicherstellen, dass sich kein Team während der Saison vom Spielbetrieb abmelden muss.
BVB und Tönnies bieten Hilfe an
Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Erzrivale Borussia Dortmund, hatte Schalke bereits finanzielle Hilfen in Aussicht gestellt. "Und wenn es dazu dann auch der Solidarität der anderen Klubs in Deutschland bedarf, um sie aus dieser Situation einigermaßen gut herauszuführen, dann müssen wir darüber diskutieren, wie wir das hinkriegen können", sagte er im ZDF-Sportstudio.
Auch Ex-Aufsichtsratschef Clemens Tönnies habe laut "Bild"-Zeitung angeboten, die ausfallende Millionenzahlungen von Gazprom bis Saisonende zu übernehmen. Einen Posten im Verein wollte er dafür nicht haben. Dabei war es ausgerechnet der heute 65-Jährige, der vor 15 Jahren den Deal mit Wladimir Putin und Gazprom einfädelte.
Ex-Schalke-Boss Clemens Tönnies (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin bei der Vertragsunterschrift.Bild: dpa / Astakhov_Dmitry
Tönnies war im Sommer 2020 nach rassistischen Äußerungen und massenhaften Corona-Fällen in seiner Fleischfabrik zurückgetreten.
Gazprom-Sponsoring Warnung für alle Bundesliga-Klubs
Christopher Spall hofft jedoch, dass die Verantwortlichen aller Bundesligisten genau auf die Situation bei den Königsblauen geschaut haben.
"Es wird zukünftig eine höhere Sensibilität bei Fans und Funktionären geben, welcher Sponsor wirklich zu den Werten eines Vereins passt", sagt Markenexperte Spall gerade im Hinblick auf umstrittene Sponsoren wie Qatar Airways beim FC Bayern.
"Spätestens ab jetzt ist jedem klar: Wir kleben nicht nur das Logo auf die Schulter oder die Brust, sondern übernehmen auch Verantwortung für die Partnermarke. Wir hängen da mit drin."
Am Ende wollte sich der FC Bayern die eigene Leistung nicht schlechtreden lassen. "Wenn wir dieses Spiel 15-mal genauso spielen würden, dann würden wir es 13-mal gewinnen", sagte Thomas Müller bei Dazn nach dem 3:3 bei Eintracht Frankfurt am Sonntagabend.