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Fußball WM in Katar: Amnesty International sagt "Ausbeutung geht weiter"

Gastarbeiter aus Indien und Bangladesch bringen am 11.01.2017 an einer Straße vor dem Khalifa-Stadion in Doha, Katar, einen Bordstein an. Foto: Andreas Gebert/dpa
Arbeiter beim Bau einer Zufahrtsstraße zum Stadion in Doha.Bild: dpa / Andreas Gebert
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"Ausbeutung geht weiter": Human Rights Watch und Amnesty schildern düstere Lage für Arbeiter im WM-Gastgeberland Katar

17.11.2021, 09:1117.11.2021, 12:44
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In fast genau einem Jahr ist es so weit. Am 21. November 2022 wird um 18 Uhr in Al-Chaur im Wüstenemirat Katar die umstrittenste Fußball-WM der Sportgeschichte angepfiffen.

Korruption bei der Vergabe, die klimatischen Bedingungen vor Ort, die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und laut des englischen "Guardian" über 6000 tote Arbeitsmigranten. Seit der Vergabe des Turniers im Dezember 2010 stand ein Gastgeberland wohl selten so sehr in der Kritik wie Katar.

"Selbst, wenn da jemand reformwillig ist, herrscht dort ein interner Druck, durch den es kein Ausscheren gibt."
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, im Gespräch mit watson

Ein Boykott kommt jedoch für die teilnehmenden Nationen nicht infrage. Auch Amnesty International bestätigte watson im Frühjahr, dass ein Boykott nicht zielführend sei, sondern man auf den Dialog vor Ort setzen müsse. Human Rights Watch hat zu einem Boykott keine klare Meinung: "Wir würden niemandem sagen, dass er nicht boykottieren soll, fordern aber auch keinen Boykott", sagt Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, im Gespräch mit watson.

Und das, obwohl Amnesty in seinem am Dienstagmorgen erschienenen "Reality Check 2021" resümiert, "dass Fortschritte 2021 stagnierten und alte missbräuchliche Praktiken wieder aufgetaucht sind."

Gemeint ist damit vor allem das sogenannte Kafala-System, das den Arbeitnehmer in vollständige Abhängigkeit zu seinem Arbeitgeber stellt. Zwar hat Katar seit 2017 eine Reihe von Reformen zugunsten von Arbeitsmigranten eingeführt, jedoch nicht angemessen umgesetzt. "Was bedeutet, dass die Ausbeutung weitergeht", schlussfolgert der Amnesty-Bericht.

Über zwei Millionen Arbeitsmigranten bauen Stadien und Infrastruktur auf

So sind die zwei Millionen Arbeitsmigranten, die am Bau der Stadien und der Infrastruktur beteiligt sind, durch das weiterhin bestehende Kafala-System eng an ihren Arbeitgeber gebunden. Sie dürfen ohne seine Zustimmung weder den Arbeitsplatz wechseln, noch das Land verlassen. Hinzu kommen verspätete oder ausbleibende Lohnzahlungen, keinen Zugang zur Justiz, Straffreiheit für Arbeitgeber, die Verstöße begehen und das Verbot, Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten.

Doha, Qatar, 13.09.2019 Eine Baustelle an der Al Corniche Street mit einem Hinweisschild zur Anfahrt zum Museum für Islamische Kunst (englisch Doha Museum of Islamic Art ). Foto: Norbert Schmidt, Düss ...
Durch die Vielzahl an Fans, die Katar im kommenden Winter besuchen werden, muss auch die Infrastruktur in der Hauptstadt Doha wachsen.Bild: Norbert Schmidt / Norbert SCHMIDT

Dabei sei die Lage der Arbeiter auf den Baustellen der WM-Stadien weitaus besser als auf anderen. Doch nur ein Prozent der Migranten würde an den Spielstätten arbeiten. "Die restlichen haben schlechtere Bedingungen, arbeiten aber an der Infrastruktur, die ebenfalls für die WM nötig ist", sagt Michalski.

Und das, obwohl Katars-Regierung mit der "International Labor Organisation" 2017 einen Vertrag unterzeichnete, der weitreichende Reformprozesse versprach. Laut diesem gäbe es zwar zum Beispiel bezahlten Urlaub, einen freien Tag pro Woche, Arbeitsausschüsse, um Streitigkeiten zu klären, einen Fonds zur Zahlung ausstehender Löhne oder einen Mindestlohn für alle Arbeiter ab März 2021. Die Umsetzung hakt jedoch gewaltig.

"Diese Versäumnisse stellen das Versprechen der wichtigsten Akteure in Frage, wonach die Fußballweltmeisterschaft für die Arbeitsmigrant_innen in Katar einen Wendepunkt für bessere Arbeitsbedingungen darstellen würde", heißt es im Amnesty-Bericht.

Flick und Bierhoff im Dezember auf Quartiersuche in Katar

Bundestrainer Hansi Flick und Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff werden noch vor Weihnachten nach Katar reisen, um sich einen Eindruck von der Lage vor Ort zu machen. Dabei geht es aber vor allem um die richtige Wahl des Hotels während des Turniers und nicht um die Diskussion der Menschenrechtslage.

Deshalb fordert Menschenrechtsexperte Michalski im Gespräch mit watson: "Der DFB selbst muss schauen, dass er beispielsweise genau prüft, wie sein Hotel gebaut worden ist oder wie die Ausbeutung bei seinem Caterer ist."

Wenzel Michalski ist seit September 2010 der deutsche Direktor von Human Rights Watch.
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch DeutschlandBild: imago stock&people / Reiner Zensen

WM als Katalysator zum Aufbau des Landes

Proteste gegen das Turnier gab es bisher nicht nur von zahlreichen Fans, sondern vor allem skandinavische Teams und Spieler äußern sich immer kritisch.

Die deutsche Nationalmannschaft bildete vor dem WM-Qualifikationsspiel im März gegen Island den Schriftzug "Human Rights" und zeigte Tage zuvor ein Banner mit "Wir für 30" und übte Kritik an der Situation der Menschenrechte in Katar. Doch die Aktion wurde im Nachhinein scharf kritisiert.

"Der DFB als Teil der FIFA kann vielleicht sagen, dass es nicht gut ist, er will aber auch nicht die Stimme erheben. Es wird oft behauptet, dass der 'Sport eine Macht für das Gute' sei. Das ist in diesem Fall nicht wahr", kritisiert Michalski.

Während der WM 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien stieß der DFB karitative Projekte in den Gastgeberländern an. Das würde in Katar hingegen wenig bringen. "Die Katarer selbst sind größtenteils wohlhabend. Es müsste um die Ausländer gehen, die in Katar leben", sagt Michalski.

"Das ganze System der Katarer basiert auf Ausbeutung der Migrantenarbeiter."
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland

Viel mehr diene die WM 2022 laut Michalski als Katalysator zum Aufbau des Landes. "Der Emir hat erlassen, dass das Land bis 2030 modernisiert sein soll, weil das Erdgas auch irgendwann aufgebraucht ist. Insofern gehören die arbeitsrechtlichen Modernisierungen zur PR."

Denn dem Wüstenemirat ginge es nicht darum, für angemessene Bedingungen vor Ort zu sorgen, "weil das ganze System der Kataris basiert auf Ausbeutung der Migrantenarbeiter."

Düstere Zukunftsaussichten

Und Amnesty sieht keine guten Aussichten für die Arbeitsmigranten nach dem Großereignis. "Für diejenigen Arbeitskräfte, die nach dem Ende des Turniers in Katar bleiben, könnte sich die Lage sogar noch weiter zuspitzen."

Al Bayt Stadium. A general view of workers at Al Bayt Stadium in Doha, Qatar. Picture date: Tuesday December 17, 2019. Photo credit should read: Adam Davy/PA Wire. RESTRICTIONS: Editorial use only. No ...
Bauarbeiter mit letzten Arbeiten an der Tribüne im al-Bayt-Stadion, in dem das Eröffnungsspiel stattfindet.Bild: PA Wire / Adam Davy

Auch Thomas Hitzlsperger, Vorstandsboss von Bundesligist VfB Stuttgart, glaubt nicht daran, dass sich die Lage für die Arbeiter vor Ort verbessern würde, sagt er im Gespräch mit dem "kicker".

Denn es werde der Fifa nicht schwerfallen, während des Turnier Bilder zu produzieren, die den Eindruck von Fortschritt vermitteln. "Aber an eine nachhaltige Verbesserung allein durch eine WM glaube ich nicht." Russland sei als Gastgeber der WM 2018 auch nicht demokratischer und liberaler geworden, verglich der Ex-Nationalspieler.

"In dieser katarischen Führungsebene kennen sich die Leute gegenseitig. Selbst, wenn da jemand reformwillig ist, herrscht dort ein interner Druck, durch den es kein Ausscheren gibt", verdeutlicht Michalski.

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