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DFB-Torwart und Hansi Flick müssen Kritik einstecken – zurecht?

ARCHIV - 31.08.2020, Baden-W
Oliver Baumann ist aktuell zum ersten Mal beim DFB-Team dabei.Bild: dpa / Christian Charisius
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DFB-Team: Warum die Nominierung von Oliver Baumann umstritten, aber verdient ist

06.06.2022, 15:39
sascha felter
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In Deutschland scheinen einige Dinge unumgänglich. Eine hat sich aber fest etabliert: das Diskutieren über die Kadernominierung der Nationalmannschaft. Und kaum eine Position wird dabei so heiß diskutiert wie die des Torhüters – beziehungsweise die des dritten Torhüters.

Denn der Platz zwischen den Pfosten gehört, wenn fit, seit über einem Jahrzehnt Manuel Neuer. Barça-Keeper Marc-André ter Stegen gilt als sein designierter Nachfolger im DFB-Tor und hat seine Nominierung ebenfalls sicher. Kevin Trapp und Bernd Leno gaben sich daher in der jüngeren Vergangenheit die Klinke in die Hand, wenn es um den Platz als Nummer drei im Kader ging.

"Baumann hätte es sich auch schon zu einem früheren Zeitpunkt verdient gehabt."

Auch in diesem Sommer, unmittelbar vor den Nations League Länderspielen der Deutschen Nationalmannschaft, gab es viel Aufsehen um diese Rolle. Da Ter Stegen pausiert und Bernd Leno beim Arsenal FC nur die zweite Geige spielt, rechneten sich Fans diverser Bundesligavereine eine Nominierung ihrer Nummer eins aus.

Doch weder die formstarken Stefan Ortega und Marvin Schwäbe noch der 33-jährige Manuel Riemann, der maßgeblichen Anteil am Bochumer Klassenerhalt hatte, haben einen Anruf von Hansi Flick erhalten. Stattdessen wurde es Oliver Baumann. Für viele die falsche Entscheidung. Dabei hat der Hoffenheimer einige Argumente auf seiner Seite.

Baumann steht in Hoffenheim weniger im Fokus

Die öffentliche Wahrnehmung zu Baumann ist seit Jahren gespalten. Während vor allem die Hoffenheim-Fans ihn zum Besten der Liga zählen, scheint er außerhalb Sinsheims schlicht wenig beachtet zu werden.

Anders als Marvin Schwäbe, Stefan Ortega oder Kevin Trapp steht der TSG-Keeper mit seinem Team weniger im Fokus der Medien. Konstante Leistungen, mit denen er seine teils vogelwilde Mannschaft vielfach im Spiel hielt, wurden zum Beispiel nicht so stark beachtet wie bei Yann Sommer. Die Berichterstattung rund um das Torhüterspiel lebt zum Großteil nach wie vor von Patzern.

An Oliver Baumann wird das ganz besonders deutlich. Denn obwohl der bald 32-Jährige auch spektakuläre Paraden zeigen und durch die Luft fliegen kann, sind es vor allem die kleinen Dinge, die er hervorragend macht.

Baumann arbeitet dauerhaft an seinem Stellungsspiel

Zum einen wäre da die aktive Strafraumbeherrschung. Mit einer Körpergröße von 1,87 Metern hat er im Vergleich zu Manuel Neuer oder Koen Casteels eine schwierige Ausgangslage bei der Flankenverteidigung. Dennoch hat er in dieser Spielzeit prozentual die drittmeisten Flanken abgefangen (9,2 Prozent). Nur Gregor Kobel (10,6) und Manuel Riemann (10,5) konnten ihn hier übertrumpfen. Das hängt vor allem mit seiner Anpassungsfähigkeit und seiner Positionierung zusammen.

Vielfach sieht man, wie Baumann seine Position anpasst, wenn der Gegner auf dem Flügel durchbricht. Anstatt wie so manch anderer Keeper nur auf den Flankengeber zu schauen, orientiert sich der TSG-Schlussmann vorher und scannt das Feld. So rückt er gern mutig weiter ins Feld hinein, sollte beispielsweise ein Linksfuß von links den Ball zur Grundlinie treiben.

"Baumann macht die kleinen Dinge gut und trifft darüber hinaus auch im Eins-gegen-Eins sehr oft die richtige Entscheidung."

Ein gutes Beispiel ist eine Szene aus dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt.

Filip Kostić drohte im Strafraum freigespielt zu werden, Baumann stand zunächst noch im kurzen Eck. Als dann aber klar war, dass der Linksaußen zur Grundlinie durchbricht und eine seiner berüchtigten Hereingaben schlägt, justierte er noch einmal nach.

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Mit einer Glanztat verhinderte Oliver Baumann ein mögliches Tor von Jesper Lindstrøm.Bild: www.imago-images.de / imago images

Anstatt zu weit in Richtung des vorderen Pfostens zu schieben und so seine Reaktionszeit auf die Flanke zu minimieren, ging er weiter zur Tormitte zurück. Die Zone unmittelbar vor ihm hätten auch die TSG-Abwehr verteidigen können. Ein (gefährlicher) Abschluss in die kurze Ecke ist aus einem spitzen Winkel ohnehin sehr unwahrscheinlich.

Als der Ball dann letztlich in den Rückraum zu Jesper Lindstrøm kam, war Baumann bereits in einer perfekten Position, um auf alle Eventualitäten zu reagieren. Er hatte einen sicheren, balancierten Stand und konnte sich frühzeitig auf den Schuss einstellen. Letztlich war der Reflex herausragend, möglich gemacht wurde er aber aufgrund der aufmerksamen Vorbereitung.

Ob in der Bundesliga oder Champions League: Viele Torhüter sieht man in solchen Situationen starr am kurzen Pfosten stehen. Entweder haben sie dann nicht mehr genügend Reaktionszeit, um die Flanke abzufangen oder sind nicht rechtzeitig in Position, um auf den Abschluss zu reagieren.

Baumann mit besserem Timing als Kevin Trapp

Baumann macht die kleinen Dinge gut und trifft darüber hinaus auch im Eins-gegen-Eins sehr oft die richtige Entscheidung. Selten kommt er mit falschen Timing herausgerückt. Eine Sache, die er im Übrigen Kevin Trapp voraus hat, der mitunter wie beim Gegentor im Europa League Finale zu früh auf den Stürmer schiebt.

Der gebürtige Rheinländer hingegen verzögert in solchen Momenten die Szenerie. Er versucht einem zurückeilenden Verteidiger ein Stören zu ermöglichen, indem er erst vorrückt, sobald der Stürmer in den Strafraum dribbelt. Die Idee dahinter: Jeder Ballkontakt kann theoretisch ein unsauberer sein und durch ein zunächst tieferes Stehen wird einem Schlenzer, Umdribbeln oder Lupfer vorgebeugt.

Natürlich hatte Baumann diese Geduld nicht immer. Erst in den letzten Jahren ist er dabei abgeklärter geworden und traf häufiger die richtigen Entscheidungen.

Mehr Einsätze als Neuer, Lewandowski und Müller

Es gibt keinen Spieler, der in den letzten zehn Jahren mehr Bundesligaspiele absolviert hat als der Schlussmann der TSG. Nicht einmal Manuel Neuer (310), Thomas Müller (342) oder Robert Lewandowski (350) haben mehr Partien auf dem Buckel als er. Seit Sommer 2011 hat er gerade einmal 13 Spiele verpasst.

Baumann ist ein echtes Urgestein der Bundesliga. Ende letzten Jahres verlängerte er seinen Vertrag noch einmal bis 2024. Erfüllt er diesen, ist er zehn Jahre bei den Hoffenheimern aktiv. Sicherlich lässt sich darüber streiten, ob er zu einem anderen Zeitpunkt der Karriere nicht hätte ins Ausland wechseln sollen oder eine neue Herausforderung bei einem größeren Klub suchen sollen.

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Mit der TSG Hoffenheim spielte Oliver Baumann (Mitte) bereits in der Champions League gegen Manchester City.Bild: www.imago-images.de / Robbie Stephenson/JMP/Shutterstock

Das war letztlich auch ein Grund dafür, wieso Torhüter wie Koen Casteels, Gregor Kobel oder Marvin Schwäbe früher oder später die TSG verlassen haben. An Baumann haben sie sich irgendwann alle die Zähne ausgebissen oder der Verein konnte den talentierten Keepern nicht die Perspektive aufbieten.

Schwieriges Timing bei der DFB-Nominierung

Apropos Schwäbe: Wäre er für die Nations League Spiele in den Kader berufen worden, hätten das viele Fans, mich inbegriffen, unterschrieben. Mit seinen tollen Leistungen war er maßgeblich am siebten Platz der Kölner beteiligt. Auch Stefan Ortega, der im zweiten Jahr in Folge zu den besten Keepern der Bundesliga zählte hätte spätestens in diesem Sommer eine Nominierung verdient gehabt.

24.05.2022, Spanien, Marbella: Fu
Manuel Neuer, Kevin Trapp und Oliver Baumann bilden das Torwart-Trio des DFB für die anstehenden Nations-League-Spiele.Bild: dpa / Federico Gambarini

Betrachtet man nur die Leistungen in dieser Spielzeit, waren sicherlich beide Torhüter spektakulärer und wichtiger für ihre Mannschaften als Baumann. Auch ist gerade Schwäbe mit 27 fast fünf Jahre jünger als sein ehemaliger Teamkollege. Er wäre für die DFB-Elf mittelfristig eine gute Alternative für die Zukunft.

Jedoch sprechen wir bei beiden Torhütern von einem relativ kleinen Zeitraum. Der TSG-Keeper hingegen ist wie bereits erwähnt seit Jahren enorm konstant, spielte Champions- und Europa League. Aufgrund der formstarken Konkurrenz wirkt die Nominierung des Hoffenheimers zum jetzigen Zeitpunkt etwas unglücklich. Baumann hätte es sich auch schon zu einem früheren Zeitpunkt verdient gehabt. Unverdient ist sie im Sommer 2022 aber keineswegs.

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