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EM 2024: Ein Problem in der Defensive kostete das DFB-Team das Weiterkommen

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Das DFB-Team ist am Freitagabend gegen Spanien ausgeschieden.Bild: IMAGO images / Jan Huebner
Analyse

EM 2024: Ein Problem in der Defensive kostete die DFB-Elf das Weiterkommen

06.07.2024, 07:5606.07.2024, 07:56
Max Bergmann
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In einem Herzschlagfinale der Viertelfinalpartie zwischen Deutschland und Spanien bei der EM 2024 konnte sich Spanien mit einem Lucky Punch in der 119. Spielminute durchsetzen.

Was die Vor- sowie Nachteile der mutigen deutschen Defensivtaktik waren und mit welchen taktischen Kniffen Deutschland den zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer erzwingen konnte, erfährst du in unserer Taktikanalyse zum Spiel.

Halle - Duisburg / 24.03.2023 Halle, 24.03.2023, Leuna Chemie Stadion, Fussball, 3.Liga, 29.Spieltag , Hallescher FC vs. MSV Duisburg , Im Bild: Co-Trainer Max Bergmann Halle. , Nur zur redaktionellen ...
Max Bergmann, hier noch beim Halleschen FC unter Vertrag, analysiert für watson die DFB-Spiele.Bild: Imago Images / Picture Point LE
Über den Autor
Max Bergmann ist der jüngste Trainer in der Geschichte der 3. Liga. Im April 2022 vertrat der nun 26-Jährige den damaligen Cheftrainer, André Meyer, vom Halleschen FC. Mittlerweile ist Bergmann in Hoffenheim unter Vertrag und arbeitet dort als Co-Trainer der zweiten Mannschaft in der Regionalliga Südwest.

Deutschlands große Aufgabe im Spiel war es, die Spanier daran zu hindern, in ihr gewohntes Ballbesitzspiel zu kommen und dabei ihre offensiven Flügelspieler in Szene zu setzen. Um Situationen der spanischen Außenangreifer im letzten Drittel zu verhindern, entschied sich das deutsche Team, Spanien früh unter Druck zu setzen.

Dafür schob Rechtsverteidiger Kimmich im Pressing auf den spanischen Linksverteidiger vor, während Innenverteidiger Rüdiger dahinter bis auf den Flügel durchschob und sich dadurch einige Male im direkten Duell mit Flügelspieler Williams wiederfand. Eine mannorientierte Spielweise im Pressing, bei dem die zentralen Mittelfeldspieler ihre spanischen Gegenspieler verfolgten.

Abb. 1: Deutschlands hohes Pressing mit Mannorientierungen im Zentrum.
Abb. 1: Deutschlands hohes Pressing mit Mannorientierungen im Zentrum.Max Bergmann

Mit dem hohen Pressing zwang Deutschland den spanischen Torwart Simón immer wieder zu langen Bällen, die die deutsche Abwehrreihe mit Vorteilen in den Luftduellen meistens für sich gewinnen konnte. Eine Herangehensweise, die immer dann voll aufging, wenn die spanische Mannschaft keinen ihrer Mittelfeldakteure um Rodri und Co. an den Ball bringen konnte.

Hatte Spanien nach Ballgewinnen oder dem Gewinn zweiter Bälle im Mittelfeld Ballbesitz in der deutschen Hälfte, dann formierte sich das DFB-Team in einem 4-2-3-1-Block, aus dem Gündoğan von der Zehner-Position situativ in ein 4-4-2 vorrückte. Die defensive Spielweise der DFB-Elf ermöglichte es Spanien dann, am Flügel eine Zwei-gegen-eins-Situation gegen die Außenverteidiger herzustellen. So ergab sich für Spanien die Möglichkeit, hinter Kimmich zu kommen (siehe nachfolgend Abb. 2).

Abb. 2: Kimmich ist in einer 1v2-Situation, weil sich Emre Cans Gegenspieler auf den Flügel bewegt.
Abb. 2: Kimmich ist in einer 1v2-Situation, weil sich Emre Cans Gegenspieler auf den Flügel bewegt.Max Bergmann

Auch trotz vielversprechender Ballgewinne im hohen Pressing zeichnete sich daher bereits im ersten Durchgang eine Schwachstelle im deutschen Defensivverbund heraus. Gelangten die Spanier in die deutsche Hälfte, konnten sie zudem nach flachen Hereingaben und Pässen in den Rückraum gefährlich werden.

Durch das weite Durchschieben der Viererkette war Deutschland im Strafraum teilweise in Eins-gegen-eins-Situationen. Die eigentliche Gefahr aus solchen Situationen entstand jedoch daraus, dass häufig nur ein Sechser vor der Kette präsent war, während der ballnahe Sechser gegen die spanischen Außenspieler mit am Flügel verteidigte.

Gelangten die Spanier dann in die Räume vor der Abwehr, konnten sie dort mit ihren offensiven Mittelfeldspielern Chancen herausspielen (siehe nachfolgend Abb. 3).

Abb. 3: Spanien mit der ersten Torchance, bei der Toni Kroos vor der Abwehr in einer Eins-gegen-zwei-Unterzahl ist (1. Minute).
Abb. 3: Spanien mit der ersten Torchance, bei der Toni Kroos vor der Abwehr in einer Eins-gegen-zwei-Unterzahl ist (1. Minute).Max Bergmann

Spanien war in Ballbesitz immer wieder auf der Suche nach Möglichkeiten, vor die Kette der deutschen Mannschaft zu spielen. Insbesondere der Übergangsmoment vom hohen Pressing in den Block bot die wohl größte Schwachstelle der deutschen Defensivtaktik, denn im Vergleich zum hohen Pressing mussten die deutschen Flügelspieler dort die Pässe in die Halbspuren schließen.

Waren Musiala und Sané jedoch zu mannorientiert und damit nach außen in Richtung der spanischen Außenverteidiger positioniert, dann eröffnete sich für die Spanier die Möglichkeit, in den deutschen Block zu spielen (siehe Abb. 4).

Abb. 4: Stürmer Morata bekommt kurz vor dem 1:0-Treffer den Ball in Deutschlands Block, weil Spanien das deutsche Mittelfeld auf die andere Seite zieht.
Abb. 4: Stürmer Morata bekommt kurz vor dem 1:0-Treffer den Ball in Deutschlands Block, weil Spanien das deutsche Mittelfeld auf die andere Seite zieht.Max Bergmann

Die spanischen Mittelfeldspieler zogen die deutschen Gegenspieler auf eine Seite und öffneten dadurch den Raum auf der anderen Seite für Stürmer Morata, der sich in diesen fallen ließ. Der ballferne Flügelspieler Musiala war gegnerorientiert am Flügel positioniert, statt nach innen den Passweg zu schließen. Diese Mannorientierung hebelte Spanien vor ihrem 1:0-Führungstreffer gekonnt aus. Schließlich sorgte dann erneut ein flacher Ball in den Rückraum für den Treffer.

Mit Ball spielte die DFB-Elf zu Anfang ihrer Ballbesitzphasen häufig in einer 3-2-Struktur. Statt ihrer bisherigen Spielweise mit häufig nur einem zentralen Spieler vor dem Dreieraufbau, besetzte die Nagelsmann-Elf diesen Raum doppelt. Dies ermöglichte es ihnen, eine Stabilität zu bekommen.

Wurde einer der Aufbauspieler angelaufen, gab es immer zwei Optionen, über die Sechser hinter den jeweiligen Pressingspieler zu kommen (siehe Abb. 5). Zudem hatte Nagelsmanns Team damit auch ausreichend Spieler hinter dem Ball, um Konterangriffe zu verhindern.

Abb. 5: Die DFB-Elf mit 3-2 im Spielaufbau, wodurch sie Optionen hatte, Spaniens Pressingansätze über ihre Doppelsechs zu überspielen.
Abb. 5: Die DFB-Elf mit 3-2 im Spielaufbau, wodurch sie Optionen hatte, Spaniens Pressingansätze über ihre Doppelsechs zu überspielen.Max Bergmann

Je länger die Ballbesitzphase anhielt und je weiter Deutschland die Spanier vor ihr Tor drängen konnte, umso mehr Spieler investierte Deutschland in die eigenen Angriffe mit Spielern vor dem Ball. Auf diese Weise konnte die DFB-Elf das Ballbesitzspiel der Spanier phasenweise unterbinden.

Im letzten Drittel brachte Deutschland dann einen dritten Angreifer vor die spanische Abwehr und sicherte hinter dem Ball nur noch in einer 3-1-Struktur. Gezwungen durch den 0:1-Rückstand spielte die DFB-Elf in der zweiten Hälfte deutlich mutiger und stellte häufiger und früher eine Restverteidigung mit vier Spielern auf, während sechs Spieler vor dem Ball Angriffsoptionen boten.

Dies ermöglichte ihnen auch neben ihren Offensivwechseln (Wirtz für Sané, Füllkrug für Gündoğan) nicht nur für geeigneteres Personal, sondern auch für mehr Spieler im Strafraum zu sorgen. So waren es dann häufig Flanken, mit denen die DFB-Elf dem spanischen Tor gefährlich nahekam.

Zuletzt war es auch die Chancenverwertung, die Spanien den Sieg in der 119. Spielminute bescherte, weil die DFB-Elf vergleichbare Möglichkeiten durch Füllkrug und Musiala nach gefährlichen Flanken liegen ließ.

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Anders als in den vergangenen Jahren schied Deutschland mit einer guten Turnierleistung gegen den vermeintlichen Topfavoriten auf den Turniersieg aus. Während Toni Kroos eine Lücke im deutschen Mittelfeld hinterlassen wird, die es in den nächsten Jahren zu füllen gilt, kann sich die Nation auf die Entwicklung eines deutschen Teams um junge Spieler wie Wirtz und Musiala freuen.

Die EM 2024 könnte zudem für die deutsche Nationalmannschaft einen Wendepunkt darstellen, denn mit viel Angriffsfreude und proaktiver Spielweise gegen den Ball, schaffte es das deutsche Team erstmals seit dem WM-Sieg 2014 wieder, viele ihrer Zuschauer zu begeistern.

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