Internationale Turniere wie die Europameisterschaft bieten immer wieder eine große Bühne und vor allem die Möglichkeit für besondere Geschichten: Außenseiter überraschen und besiegen Favoriten, wie es die Schweiz gegen Weltmeister Frankreich (5:4 n.E.) geschafft hat. Oder aber einzelne Spieler machen auf sich aufmerksam – sei es durch sportliche Leistungen oder durch Aussagen und Taten abseits des Spielgeschehens.
Auch bei der aktuellen EM gibt es einige solcher Spieler. Es sind die "Hidden Stars". Für die watson-Redaktion gehören dazu Simon Kjaer (Dänemark), Leonardo Spinazzola (Italien) und Pedri (Spanien).
Es war die dramatischste Szene der Europameisterschaft. Dänemark-Star Christian Eriksen bricht kurz vor der Pause im ersten Gruppenspiel gegen Finnland zusammen, erleidet einen Herzstillstand und muss wiederbelebt werden. Simon Kjaer reagiert sofort. Der Kapitän der Dänen sprintete zu seinem Mitspieler und verhinderte, dass Eriksen seine Zunge verschluckt und erstickt. Außerdem sorgte Kjaer dafür, dass umgehend medizinisches Personal auf den Platz kam und Eriksen behandelte. Auch den Sichtschutz durch Mitspieler organisierte der Verteidiger und zum Trösten von Eriksens Freundin Sabrina fand er ebenfalls Zeit.
Sein Berater und Ex-Profi Mikkel Beck schwärmte danach auf Twitter und schrieb: "Du bist ein richtiger Held. Du hast deinem Freund Christian Eriksen das Leben gerettet." Mit diese Lobeshymne steht Beck nicht alleine. Ausschließlich diese Aktion müsste reichen, dass Kjaer zum Star des Turniers wird. Zusätzlich zu seinen Taten rund um den Eriksen-Zusammenbruch kommt noch seine starke sportliche Leistung dazu.
Er spielte immer von Beginn bei den Dänen. Nur gegen Finnland und im Achtelfinale gegen Wales wurde er ausgewechselt. Gegen Wales war er angeschlagen. Im Finnland-Spiel konnte er nach dem Zusammenbruch seines Mitspielers nicht mehr spielen. Sein Trainer Kasper Hjulmand sagte nach der Partie: "Er hat es versucht, aber es war nicht möglich." Auch das zeigt, wie menschlich Kjaer ist.
In der Verteidigung erledigte er zusätzlich seine Arbeit vorbildlich. Insgesamt 39 Bälle eroberte er während der EM. Nur drei Spieler konnten ihn überbieten, wodurch er einen großen Anteil am Halbfinal-Einzug der Dänen hatte. Bitter, dass dann für ihn und seine Mitspieler nach dem unglücklichen 1:2 gegen England Schluss war. Ausgerechnet Kjaer unterlief ein Eigentor zum 1:1-Ausgleich. Gerade nach seinem Einsatz rund um den Eriksen-Zusammenbruch hätte er sich das Finale in Wembley verdient.
"Olé, olé, olé, olé. Spina, Spina", sangen die italienischen Spieler nach dem Viertelfinal-Sieg gegen Belgien (2:1) im Flieger zurück nach Rom. Sie meinten natürlich Leonardo Spinazzola, der mit 28 Jahren zwar kein Jungstar mehr ist, aber trotzdem zu den Entdeckungen der EM gehört und im Viertelfinale zum tragischen Held der Italiener wurde.
Als in der 61. Minute Belgiens Romelu Lukaku am zweiten Pfosten nur noch zum Ausgleich einschieben musste, blockte Spinazzola mit seinem rechten Oberschenkel, bekam dafür Umarmungen und Küsse des Dankes von Marco Verratti und Giorgio Chiellini. Danach kam allerdings der Schock. In der 76. Minute blieb Spinazzola auf dem Rasen liegen. Er hatte sich ohne Fremdeinwirkung verletzt: Achillessehnenriss. Mittlerweile ist der Linksverteidiger schon operiert. Er wird mindestens ein halbes Jahr fehlen.
Dabei war die EM sein Turnier. Er ist mit 33,8 Kilometern pro Stunde der schnellste Spieler und wurde in den Spielen gegen die Türkei und Österreich jeweils zum "Spieler des Spiels" ernannt. Mittlerweile sollen europäische Top-Klubs wie Real Madrid, Chelsea, Tottenham oder Barcelona heiß auf den Italiener sein. Sein Berater Davide Lippi sagte jüngst gegenüber calciomercato.com: "Es gibt einige Menschen, die sich jetzt über sich selbst ärgern. Ich sage seit Jahren, dass Leonardo ein großartiger Spieler ist. Deshalb freue ich mich, dass er die Früchte seiner harten Arbeit erntet."
Auf wen spielt Lippi da an? Vermutlich auf die Verantwortlichen von Juventus Turin. Dorthin wechselte Spinazzola 2010 im Alter von 17 Jahren. Sieben Leihen zu sechs verschiedenen Klubs später, bekam er für ein Jahr eine Chance in Turin, spielte in der Saison 2018/19 aber nur in zehn Spielen. Er wechselte anschließend für fast 30 Millionen Euro zur AS Rom, wo er Stammspieler wurde und durch seine starke EM auch zu einem der gefragtesten Linksverteidiger Europas.
Immerhin lief die Operation von Spinazzola ohne Komplikationen, er hofft auf eine gute Verheilung, die sicherlich besser ablaufen wird, wenn Italien am Sonntag den EM-Titel holt. Dann wird Spinazzola sogar im Wembley Stadion sein. Sein Team-Kollege Nicolo Barella kündigte schon an: "Wir können jetzt nichts anderes tun, als ihn stolz zu machen und am Ende hoffentlich mit ihm gemeinsam zu feiern."
Pedro González López, kurz Pedri, ist einer der jüngsten Stars der EM. Mit gerade mal 18 Jahren verpasste er nur eine einzige Minute und das auch nur, weil er zum Elfmeterschießen gegen die Schweiz ausgewechselt wurde, damit Rodri schießen konnte.
Besonders auffällig: Seine extreme Passgenauigkeit. Während der gesamten Europameisterschaft erreichten 92,3 Prozent seiner Zuspiele den Mitspieler, obwohl Pedri oft risikoreiche Pässe in die Tiefe spielt und dadurch den Spaniern zu einem großen Raumgewinn verhilft. Genau wegen solcher Qualitäten schwärmte Spanien-Trainer Luis Enrique: "Er ist einzigartig. Wir haben keinen zweiten wie ihn." Mit gerade mal 18 Jahren.
Nicht nur in Sachen Spielintelligenz ist Pedri seinen Gegenspielern voraus, auch läuferisch ist er Spitze. Mit insgesamt 76,1 Kilometer während der EM legte er die größte Distanz aller Spieler zurück. Der Erfolg in der Nationalmannschaft kommt eigentlich gar nicht überraschend. Schon bei Barcelona überzeugte der Rechtsfuß in der abgelaufenen Saison.
Im Sommer 2020 kam er von UD Las Palmas zum spanischen Rekordpokalsieger und spielte in 37 von 38 möglichen Liga-Spielen. Auch in sieben der acht Champions-League-Partien stand Pedri auf dem Rasen. Bei Barcelona hoffen die Verantwortlichen, dass sie mit Hilfe von Pedri Weltstar Lionel Messi von einem Verbleib überzeugen können.
Nach dem Halbfinal-Aus mit Spanien ist für den Youngstar aber noch kein Urlaub angesagt. Ab 22. Juli wird er mit dem spanischen Team in Tokio am olympischen Fußball-Turnier teilnehmen und könnte dabei erneut zum Star des Turniers werden.
(mit Material von dpa)