Es gibt nur wenige Fußballsongs, die es in die Deutschen Charts geschafft haben. Der WM Song von La Rocca mit dem vielsagenden Titel "Es gibt nur einen Rudi Völler" hat 2002 immerhin Platz 26 geschafft. Der einfache Text wurde vor 20 Jahren bei Länderspielen zur Melodie von Guantanamera in jedem Fußballstadion des Landes lautstark und stimmungsvoll gesungen. Verbunden mit den langgezogenen "Ruuuuuuuuudi"-Rufen kürten die Fans ihren Liebling und schafften sich damit eine unverwechselbare Identifikationsfigur der Deutschen Fußballnationalmannschaft.
Auch wenn die aktuellen Nationalspieler damals noch gar nicht geboren waren und viele Leser:innen höchstens während ihrer Kindergarten- oder Grundschulzeit von diesem Mann gehört haben, soll er nun den Deutschen Fußball retten und genau jene Spieler wieder in eine motivational aufgeladene Erfolgsspur setzen.
Diese Informationen wurde offensiv durchgestochen und die DFB-Verantwortlichen sonnen sich bereits in diesem vermeintlichen Erfolg. Wir warten deshalb seit Tagen auf die finale Entscheidung von Rudi Völler, denn er hatte sich noch Bedenkzeit erbeten.
Sobald er sein Okay gibt, wird der mächtige Vizepräsident Hans Joachim Watzke diese Personalentscheidung verkünden und der DFB-Präsident wird den Vorschlag der Taskforce seinem Präsidium zum Abnicken vorlegen und rosarot in die Zukunft des Deutschen Fußballs blicken.
Genau deshalb liebe ich den Fußball! In keiner anderen Sportart funktionieren die strategischen Manöver in simpleren Strickmustern als bei der Volkssportart Nummer Eins. Die Entscheidung der DFB-Spitze ist entweder mutig oder hoffnungslos naiv. Sie passt aber haargenau in die Logik der eilig einberufenen und viel kritisierten Taskforce der sogenannten sieben alten weißen Männer.
Eigentlich sollten sie ja ihre Erfahrung und Netzwerkkontakte nutzen, um gemeinschaftlich eine Art Anforderungsprofil für die Bierhoff Nachfolge zu entwickeln. Stattdessen haben sie flux denjenigen aus Ihrer Runde zum neuen Sportdirektor gemacht, der als Rentner derzeit keinen Job hat und gerade frei ist für das DFB-Amt.
Die Ü50 Generation unter den Fußballfans wird sich über die Entscheidung freuen, denn Rudi Völler verkörpert in seiner Haltung und unserer Erinnerung genau das, was wir am Fußball der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts geliebt haben. Wir verbinden wunderbare Erlebnisse mit diesem Mittelstürmer, amüsieren uns noch heute über seinen Auftritt bei Waldemar Hartmann in der ARD und wissen seine nostalgische Volksnähe zu schätzen.
Kurzum: Für die ältere Fangeneration ist der Deutsche Fußball ab heute gerettet. Die jüngeren mögen sich gefälligst anpassen und einsehen, dass niemand wirklich ernsthaft beabsichtigt hatte, dem DFB eine moderne Sportstruktur zu geben.
Ich denke, die gute Stimmung wird rasch vorübergehen und spätestens in einem Jahr werden wir uns für den Helden des 90er-Jahre-Fußballs wünschen, dass er die Bedenkzeit vor seiner Zusage doch lieber besser genutzt hätte.
Nun sitzt er mitten drin im Strukturchaos des DFB. An der Seite eines beliebten Trainers und als gesetzte Identifikationsfigur, die in den kommenden Monaten zuallererst die Aufgaben übernehmen muss, die das DFB-Präsidium im Vorfeld und während der WM in Katar verschlafen und in den Sand gesetzt hat.
Völler gibt dem DFB ein authentisches Gesicht, das an die guten Zeiten des deutschen Fußballs erinnert. Mehr nicht. Mir gefällt diese Entscheidung, auch wenn der DFB wieder einmal eine Gelegenheit auf strukturellen Wandel verpasst hat. Ich bin über 50 und genieße die Erinnerung an die gute alte Zeit. Bedauerlicherweise wird diese Nostalgie nicht reichen, um die anstehende EM zu gewinnen.