Noch am Montagmorgen lösten zwölf europäische Topklubs aus England, Spanien und Italien mit der Gründung einer Super League ein Erdbeben im internationalen Fußball aus. Doch aufgrund enormer Proteste von Fans und Spielern sind die Pläne zumindest fürs Erste krachend gescheitert – trotz des Rückzugs der sechs englischen Vereine wollen die Macher ihr umstrittenes Milliarden-Projekt aber offenbar durchziehen. "Wir schlagen einen neuen europäischen Wettbewerb vor, weil das bestehende System nicht funktioniert", heißt es in einem am Mittwoch verbreiteten Statement.
Im Gespräch mit watson erklärt Prof. Dr. Harald Lange, was die Super League für Auswirkungen auf die Fans haben wird, warum der Wettbewerb für ihn keine Zukunft hat und warum er sich so über den FC Bayern München und Borussia Dortmund freut. Lange ist Sportwissenschaftler an der Uni Würzburg und leitet den Studiengang Fanforschung.
watson: Herr Lange, zwar hat die Super League noch keinen konkreten Startzeitpunkt, dennoch können sich Fußball-Fans zukünftig jede Woche auf europäische Top-Spiele freuen. Das ist doch eine gute Nachricht, oder?
Harald Lange: Es mag kurzfristig interessant klingen, aber langfristig wird es floppen. Jetzt gibt es noch viel Rückenwind durch große Namen wie Barcelona, Liverpool und Madrid. Aber in zwei, drei, vier Jahren wird sichtbar, es spielen nicht die besten Mannschaften Europas gegeneinander, sondern nur die, die ins Investmentgeschehen passen. Es ist dann kein sportlicher Wettkampf mehr. Es sei denn, es gibt noch fünf freie Plätze, wo sich die Besten Europas zusätzlich qualifizieren können.
Die Qualifikation durch den nationalen Wettbewerb wäre im Gegensatz zur Champions League bei der Super League hinfällig, da die Teilnehmer von Beginn an feststehen.
Genau. Das Produkt ist dadurch ein anderes und fernab von dem, was wir schätzen gelernt haben. Der Champions-League -Sieger hat sich durch den sportlichen Wettbewerb seiner nationalen Liga qualifiziert, international zu spielen. In der Champions League ist somit garantiert, dass am Ende das beste Team gewinnt und das macht den Wert des Titels aus.
Das wäre in der Super League nicht gegeben.
Dort spielen 15 starke, europäische Klubs gegeneinander, die Stand jetzt aber nicht die besten sind. Der beste ist aktuell als Champions-League-Sieger Bayern München – der ist nicht dabei. Auch der zweitbeste mit Paris Saint-Germain ist nicht dabei. Dann wirkt das alles wie eine Zirkusveranstaltung ohne sportlichen Wert.
In der internationalen Presse wird vom "Krieg der Reichen", einem "kriminellen Akt gegen die Fans" und "monumentaler Explosion" gesprochen.
Dass es nun wirklich so weit gekommen ist, ist ein gewaltiger Hammer. Er kam zwar mit Ankündigung, aber jetzt, wo er auf dem Tisch liegt, weist er ein großes Überraschungspotenzial auf.
Weil es schon seit Jahren immer mal wieder Gerüchte und Spekulationen um eine Super League gab…
Man hatte diese Diskussionen immer als Drohkulisse der Top-Klubs aufgefasst, wenn die Vereinigung der Top-Klubs Druck auf die UEFA machen wollte, um aus den Finanztöpfen und den TV-Geldern des Verbandes mehr Geld zu bekommen. Jetzt ist es aber ganz konkret.
Der Entwurf sieht 15 feste Teams plus fünf Qualifikanten vor. Die US-Investmentbank JPMorgan soll den zwölf Gründervereinen 3,5 bis 5 Milliarden Euro zugesichert haben.
Wenn man das hört, wurde das über einen langen Zeitraum richtig gut und akribisch hinter den Kulissen vorbereitet. Zudem wird das Vorhaben zu einem dramaturgisch optimalen Zeitpunkt präsentiert. Die Champions League wurde zwar reformiert, aber nicht ganz zu den Vorstellungen der Top-Klubs. Das zeigt, wie kompromisslos sie sind.
Wie paradox ist es aber, dass die UEFA mit dem Hashtag #EnoughisEnough gegen die Super League protestiert, mit dem die Fans eigentlich gegen die geplanten Champions-League-Reformen der UEFA protestierten.
Wenn man jetzt sucht, wer der Gute und wer der Böse ist, ist das sehr schwierig. Das muss man auf die Konflikte und Fragen runterbrechen, um die es im Fußball seit Jahren geht. Dort geht es einerseits um sportliche, traditionelle und fußballbezogene Werte und Themen und auf der anderen Seite schlicht um Kommerz und Geldverdienen. Und aktuell stehen sich diese beiden Themen so gegenüber, wie ich das auch noch nicht gesehen habe.
UEFA-Boss Alexander Ceferin zeigte am Rande der Abstimmung der Champions-League-Reform eine heftige Reaktion und will die Klubs und Spieler der Super League von allen Wettbewerben ausschließen. Zudem sollen die Spieler nicht mehr für ihre Nationalteams auflaufen dürfen.
Mein Eindruck ist, dass die Funktionäre der UEFA kalt erwischt wurden. Sie müssen sich jetzt der Argumente der Fans bedienen, gegen die sie noch vor Tagen vorgegangen sind, um ihre Wildcards in der Champions League zu rechtfertigen. In jeder Argumentation fehlt ihnen die Basis. Sie müssen sich jetzt auch zum bedingungslosen Kapitalismus im Sport oder zum sportlichen Wettbewerb, Tradition und den Werten des Fußballs bekennen. Aber egal, in welche Richtung die UEFA-Funktionäre schauen, sie wirken unglaubwürdig.
Für die Klubs der Super League und die UEFA geht es doch aber nur darum, möglichst viel Geld zu verdienen?
Grundsätzlich schon. Die FIFA, die UEFA und die Funktionäre der Top-Klubs sitzen alle in einem Boot. Im Kern sind die UEFA-Pläne mit ihren Wildcards zur Aufstockung der Champions League und der Plan der Super League gleich orientiert: an erster Stelle steht, das Maximum an Profit herauszuholen. Aber die ganze Debatte hat auch etwas Positives.
Was genau meinen Sie?
Dass die deutschen Top-Klubs Bayern München und Borussia Dortmund explizit nicht mitmachen und das Modell Super League kritisieren. Auch Christian Seifert als Geschäftsführer der DFL kann man nur den Rücken stärken. Da er erkannt hat, dass man durch eine Super League nicht alles strukturell kaputt machen kann, was im europäischen Wettbewerb über Jahrzehnte gewachsen ist.
Also muss man fast schon froh sein, dass der FC Bayern und Borussia Dortmund die Champions-League-Reform unterstützt haben statt der Super League?
Das ist aller Ehren wert und erstmals seit vielen Jahren gibt es eine gemeinsame Linie zwischen aktiver Fanszene und deutschen Klubs bei diesem internationalen Problem. Vielleicht auch, weil die sehr aktive und kritische deutsche Fankultur bei der Verteidigung der Wertbasis sehr gut gewirkt hat.
Sorgt das auch für eine gewisse Bindung der Fans, die sich durch die Geisterspiele schon vom Fußball abgewendet haben?
Das ist ein ganz massiver Beitrag, dass der Spitzenfußball in Deutschland an Authentizität zurückgewinnt, die er in den letzten Jahren und Monaten aufs Spiel gesetzt hat. Das sollte man nutzen, um alle anderen Konflikte zwischen Fanszene und Klubs in diesem konstruktiven Fahrwasser besprechen zu können.
Werden denn trotz Super League und Champions-League-Reform die Zuschauer nach der Corona-Pandemie wie zuvor in die Stadien stürmen?
Das ist schwierig zu sagen und ich weiß nicht, ob es da einen konkreten Zusammenhang gibt. Aber aktive Fans und Fußball-Kenner werden sich in beachtlicher Zahl vom Fußball abwenden und sagen: "Mit diesem Zirkus haben wir nichts mehr zu tun." Gleichzeitig wenden sich andere Menschen diesem Zirkus zu.
Wer genau?
Bedingt durch Social-Media und die Globalisierung des Sports gibt es neben den klassischen Fans, die ins Stadion gehen und ihren heimischen Fußball verfolgen, eine wachsende internationale Fan-Gemeinde in Amerika, Asien und Afrika. Zwar auf eine völlig andere Art und Weise, als das die Fans in Europa tun, aber sie sorgen für Klicks, kaufen Merchandising und lassen sich mit Werbebotschaften über ihre Klubs erreichen. Das ist eine ganz neue Fan-, beziehungsweise Konsumkultur, die für diese Top-Klubs profitabel sein kann.
Das klingt nach einer ziemlich emotionslosen Zukunftsaussicht.
Die Vereine müssen weg vom Investmentfußball und hin zu denjenigen, die ihr Geld in den Fußball stecken, aber auch den sportlichen Wettbewerb voranbringen. Diese Diskrepanz zwischen Tradition und Kommerz muss kein Widerspruch sein. Es ist ein brisantes Spannungsfeld, aber da muss man auf Augenhöhe diskutieren und Lösungen finden. Extreme Folklore auf der einen und extreme Gewinnmaximierung auf der anderen Seite sind nicht immer das Maß aller Dinge. Man muss treffende Kompromisse eingehen und dann bringen sie die Sache voran.