Die Uefa hat die Fußball-Europameisterschaft abgesagt, die Deutsche Eishockey Liga die Saison ohne Meister beendet, die Sportwelt steht aufgrund der Coronavirus größtenteils still. Zu groß ist bei derartigen Großveranstaltungen die Gefahr einer Ansteckung und einer Weiterverbreitung des Virus.
Nur das Internationale Olympische Kommitee (IOC) sieht noch keine Veranlassung, die Olympischen Spiele in Tokio (9. Juli bis 10. August) offiziell abzusagen oder zu verschieben. Am Sonntagabend hatte das IOC angekündigt, in den kommenden vier Wochen zu entscheiden, ob die Sommerspiele stattfinden sollen.
Für den früheren IOC-Vizepräsidenten Richard Pound ist eine Verschiebung bereits beschlossene Sache. "Auf der Grundlage der Informationen, die das IOC hat, wurde eine Verschiebung beschlossen. Die zukünftigen Parameter wurden noch nicht festgelegt, aber die Spiele werden nicht am 24. Juli beginnen, soweit ich weiß", sagte Pound der Zeitung "USA Today" am Montag. Der 77-jährige Kanadier glaubt, dass das IOC bald die nächsten Schritte bekanntgeben wird.
Wie auch immer. Die Kritik am Internationalen Olympischen Komitee ist schon seit Wochen groß, da es die Entscheidung über eine Absage so lange hinauszögert. Auch der Zweifel an fairen Spielen in Tokio wächst. Trainingsstätten sind teilweise geschlossen. Qualifikationswettbewerbe wurden abgesagt. Die Einschränkungen sind massiv.
Aktuell weiß immer noch niemand, ob, wann oder in welcher Form die Spiele nun stattfinden werden. Bei den Athleten wachsen Stress und Unsicherheit, statt Anspannung und Vorfreude.
Auch bei Patrick Dogue. Der 28-Jährige vom OSC Potsdam ist Moderner Fünfkämpfer, der sich für Olympia 2020 über die Europameisterschaft qualifiziert hat. 2016 holte er bei den Spielen in Rio den sechsten Platz im Pentathlon.
Wir haben mit ihm am Montag, bevor die Nachricht von der angeblich schon sicheren Olympia-Absage die Runde machte, gesprochen: Wie er damit umgeht, wenn nichts gewiss ist, wie er zur zögerlichen Entscheidungsfindung des IOC steht, und ob in Zeiten des Coronavirus überhaupt normales Training möglich ist - vor allem, wenn man fünf Sportarten üben muss.
watson: Hallo Patrick, zuerst die aktuell wichtigste Frage: Wie geht es Dir?
Patrick Dogue: Mir persönlich geht es gut, danke. In Anbetracht der Lage kann man sich im Moment glücklich schätzen, wenn man gesund ist, denke ich.
Du sprichst sie schon an, die Coronavirus-Pandemie. Rechnest Du in Anbetracht dieser Lage überhaupt noch damit, dass die Olympischen Spiele stattfinden können?
Das kann ich nicht so genau sagen. Ich weiß nicht, wie lange die Organisatoren noch warten wollen. Aber meiner Meinung nach sollten die Olympischen Spiele in dieser Form nicht stattfinden dieses Jahr. Viele Qualifikationen sind zum Beispiel noch nicht durch, bei uns im Fünfkampf ist es auch so. Wir hätten im März, April und Mai auch noch Wettkämpfe gehabt, die jetzt komplett flachfallen. Ich gehe davon aus, dass Olympia nicht zum geplanten Zeitpunkt stattfinden wird - es wird verschoben. Wie weit nach hinten, das weiß niemand.
Bisher hält das IOC an der Austragung der Spiele fest. Das kanadische Olympiateam und der deutsche Athlet Max Hartung haben mittlerweile schon gesagt: Egal was entschieden wird, wir sind dieses Jahr unter diesen Umständen nicht bei Olympia dabei. Wie gehst du damit um, dass das IOC die Entscheidung einer eventuellen Absage der Spiele so sehr hinauszögert?
Ich kann es schon verstehen, dass das IOC sich so schwertut mit der Entscheidung. An dem Turnier hängt ja so viel dran: TV-Gelder, Folgeverträge für das Olympische Dorf, das anschließend weiter genutzt werden soll und so weiter. Da muss gerade so viel abgewogen, aufgearbeitet und geregelt werden. Das dauert sicher alles seine Zeit. In den kommenden vier Wochen soll es nun eine finale Entscheidung geben. Klar, das ist ein langer Zeitraum, in dem wir Sportler in der Luft hängen. Aber wenn man sich vor Augen führt, was da alles dranhängt und wie lange die Planungen für eine Olympiade insgesamt dauern, kann man vier Wochen ganz gut verkraften.
Du bist relativ gnädig mit den Organisatoren, so wie das klingt. Aber wie gehst du damit um, jetzt möglicherweise weitere vier Wochen Ungewissheit zu haben?
Ja, am liebsten wäre mir, dass die lieber heute als morgen entscheiden. Dann könnte ich meine Vorbereitungen starten und wüsste, wie ich weitermachen kann in den kommenden Wochen. Persönlich habe ich noch keine Entscheidung getroffen, wie ich weiter damit umgehen werde. Ich finde es gut, wie die Kanadier das machen. Das ist eine starke Entscheidung. Da hat jemand Verantwortung übernommen und gesagt, dass es jetzt um das Wohl der Athleten geht. Und es geht ja nicht nur um deren Gesundheit: Bei Olympia wären bis zu 15.000 Leute auf engstem Raum versammelt, die das Virus dann am Ende der Spiele wieder in die ganze Welt tragen würden.
Wie wirkt sich die ganze Situation auf Deinen Trainingsalltag aus? Vor allem als Fünfkämpfer, der läuft, schwimmt, reitet, schießt und fechtet ist das doch sicher besonders schwierig…
Wir haben in Potsdam das große Glück, dass wir alle Disziplinen auf einem Stützpunkt haben. Wir sind hier relativ isoliert, stehen unter medizinischer Aufsicht. Wir versuchen, das Training so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Bis aufs Fechten geht es, da fehlen natürlich die Trainingspartner. Man weiß aber aktuell gar nicht so recht, wofür man genau trainiert. Es sind ja erstmal keine Wettkämpfe in Sicht. Aber wir versuchen hier, unseren Traum am Leben zu halten. Ohne zu wissen, ob die Olympischen Spiele nun abgesagt oder verschoben werden, ist es ja jetzt auch schwierig zu sagen: Wir können die nächsten drei Monate nicht trainieren, müssen aber im Juli und August an der Olympiade teilnehmen.
Nicht zuletzt ist es ja auch euer Beruf…
Ja, wir verdienen damit hauptberuflich unser Geld. Jeder der einen Laden oder ein Café hat, weiß, wie schwierig es ist, wenn man fünf Wochen nicht arbeiten und kein Geld verdienen kann. Unsere Arbeit ist die sportliche Leistung, und wenn wir die nicht bringen können und wochenlang zuhause nichts machen, dann hätten wir im Nachhinein auch Schwierigkeiten – bis hin zum Karriereende.
Etwa 11.000 Athleten nehmen an den Olympischen Spielen statt, wenn sie stattfinden. Die haben nun unterschiedliche Trainingsvoraussetzungen: Manche können normal weiter trainieren, andere nur unter bestimmten Bedingungen, bei vielen geht aber gar nichts mehr. Findest Du, dass so überhaupt ein fairer Wettkampf ausgetragen werden kann?
Na ja, unterschiedliche Trainingsbedingungen gab es schon immer. Grundsätzlich sind die Bedingungen zum Beispiel in Deutschland viel besser als in Südamerika, alleine weil hier viel mehr in Sport investiert sind. Aber durch die veränderten Bedingungen sehe ich es schon so, dass nicht alle Athleten bei Olympia die Leistung abrufen könnten wie unter normalen Umständen. Insofern wäre es schon unfair.
Olympia ist ja auch nicht irgendein Wettkampf, für manche vielleicht sogar eine einmalige Chance. Wie gehst du damit um, dass du eventuell nicht die Leistung bringen kannst, die du im Stande bist zu leisten?
Ich mache mir da noch nicht so die großen Gedanken drüber. Ich versuche, das Optimum herauszuholen. Aber, wenn ich mir vorstelle, am Ende auf die Ergebnisliste zu schauen und zu merken, da wäre mehr drin gewesen – das wäre schon enttäuschend.
Mal angenommen, die Olympischen Spiele fänden im Juli und August statt und die Lage wäre ähnlich wie jetzt gerade. Hättest du Bammel nach Tokio zu fliegen?
Natürlich hätte ich Bammel, nach Japan zu fliegen. Ich bin zwar jung und habe ein starkes Immunsystem, eine Corona-Infektion würde ich wohl überleben. Aber ich habe einen Trainer, der ist 77 Jahre alt. Ich habe in meinem Umfeld auch ältere Menschen. Auch die Funktionäre, die aus Deutschland mitfliegen würden, die sind teilweise auch nicht mehr die Jüngsten. Und ein Corona-Funken kann ein großes Feuer entfachen. Ich habe einfach Angst, Teil dieses Feuers zu sein.