Auf seiner linken Brust prangen sie: die fünf ineinander verschlungenen olympischen Ringe. Sie sollen Jean Paul Bredau immer zwei Dinge ins Gedächtnis rufen. Einerseits sollen sie an seine Olympia-Teilnahme 2021 in Tokio erinnern. "Andererseits soll es mich täglich daran erinnern, wo ich am Ende hinwill und wofür ich das Ganze mache", erklärt der 24-Jährige gegenüber watson.
Das Ganze macht er, um 2024 in Paris wieder bei den Spielen zu sein. Dann aber nicht nur in der Staffel – wie in Tokio – sondern auch im Einzel. Bredau ist 400-Meter-Läufer beim SC Potsdam. Gerade in den letzten Monaten hat er medial sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Im September lief er beim Berliner Istaf die 400 Meter unter 45 Sekunden. Zuvor schaffte das 18 Jahre lang kein deutscher Athlet mehr.
Danach war der Medienrummel um ihn zunächst sehr groß.
Noch gut ein Jahr zuvor stand Bredau vor einer ganz anderen Situation. Im Herbst 2022 musste er sich die Frage stellen, ob er es sich überhaupt noch leisten kann, Spitzensport zu betreiben. Damals schmiss er sein Bachelorstudium zum gehobenen Dienst bei der Landespolizei Brandenburg.
Aufgrund der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio 2021 hatte er zu viele Lehrveranstaltungen verpasst. "Ich hätte rund anderthalb Jahre nachholen müssen, was mir viel zu viel und zu stressig gewesen wäre", erklärt Bredau.
Das Problem war klar, er hätte den Lernstoff eigenständig und nebenbei zu seinen Trainingseinheiten und Wettkämpfen lernen müssen. Aus seiner Sicht nicht machbar. Über das duale Studium der Landespolizei sagt er: "Es war zwar nach der Schule der einzige Weg für mich, mit Sport Geld zu verdienen, aber trotzdem bin ich dann dort ausgetreten."
Mit erheblichen finanziellen Folgen. Auf einmal blieben die regelmäßigen Gehaltszahlungen aus. Seine einzige Einnahmequelle: Er war eines von 1500 Talenten im Top-Team Future der deutschen Sporthilfe. "Im letzten Jahr habe ich daher nur von 700 Euro der Sporthilfe gelebt und einem kleinen Zuschuss meiner Eltern. Dafür konnte ich mich aber zu 100 Prozent auf den Sport konzentrieren", erklärt Bredau.
Er hatte keine weiteren Verpflichtungen, konnte erstmals den vollen Fokus aufs Training setzen. "Ich bin da All-In gegangen", ordnet Bredau ein. Er wollte zu dem Zeitpunkt austesten, "zu welcher Leistung ich dann imstande bin".
Über die vergangenen 365 Tage sagte er: "Im letzten Jahr habe ich Profisport betrieben, aber wurde nicht dementsprechend bezahlt." Sein Tagesablauf sei in diesem Jahr sehr professionell gewesen: erst Frühstück, dann Physiotherapie, Mittagessen und danach die Trainingseinheit mit anschließender Regeneration. "Das ist optimal, aber wirtschaftlich eben überhaupt nicht", ordnet der 24-Jährige ein.
Im Gespräch zieht er den großen Vergleich zu den USA: "In den Staaten bekommst du ein Studien-Stipendium und wirst bezahlt, dass du Sport machst und hier in Deutschland musst du für das Studium zahlen und dich nebenbei um dein Einkommen kümmern."
Dennoch bleibt ihm die Liebe zum Sport. Und aus der schöpft er Kraft. Im nächsten Jahr möchte er versuchen, in die Sportfördergruppe der Bundeswehr zu kommen. Insgesamt gibt es 938 Förderstellen für Athlet:innen, die laut der Bundeswehr dann zwischen 1429 und 3474 Euro netto verdienen.
In diese Gruppe will Bredau, um Unterstützung zu bekommen und parallel Sportmanagement in Potsdam zu studieren. "Aber eben zeitlich etwas gestreckt", wie er betont. Dann würden auch trainingsintensivere Jahre abzufangen sein und am Ende seiner Karriere stünde er dennoch mit einem akademischen Abschluss da.
Gerade 2024 soll eines dieser trainingsintensiveren Jahre werden. Durch die Top-Zeit im September hat er die Olympia-Norm bereits geschafft. "Im nächsten Jahr muss ich aber noch die Bestätigungs-Norm vom DLV laufen", erklärt Bredau. Diese Norm muss er schaffen, um zu zeigen, dass er auch 2024 noch in Top-Form ist.
Dafür stehen alleine bis Mai drei Trainingslager in Südafrika an, wie Bredau berichtet. Dann nämlich muss er sich bei der World Relay in Nassau beweisen. Es sind die inoffiziellen Staffel-Weltmeisterschaften und bieten die Chance, auch die 400-Meter-Staffel für Paris zu qualifizieren. Bis dort hin müssten alle Staffel-Mitglieder "auf höchstem Niveau sein", fordert der gebürtige Potsdamer und fügt an, dass er sich "auf keinen Fall rausnehmen" werde.
In Paris will er im Einzel UND mit der Staffel teilnehmen und opfert für die optimale Vorbereitung viel Zeit, in der er auch seine Partnerin oder die Familie sehen könnte.
Doch hier hat Bredau einen Vorteil zu anderen Leistungssportler:innen. Er ist mit Luna Thiel zusammen, die ebenfalls im 400-Meter-Bundeskader steht. "Dementsprechend werden wir die Trainingslager gemeinsam bestreiten, wenn es gesundheitlich passt", freut sich Bredau.
Gleichzeitig betont er, dass er in der Zeit in Deutschland versucht, seine Familie und Freunde oft zu treffen. Die anderen Athlet:innen, mit denen er unterwegs ist, kenne er aber auch schon seit vielen Jahren und seien Freunde für ihn.
Wenn seine Vorbereitung auf Olympia perfekt läuft und er nach Paris fahren kann, werden es andere Spiele als in Tokio 2021 für den Läufer. Damals waren die Stadien wegen der Corona-Pandemie größtenteils leer, das legendäre Deutsche Haus gab es nicht und die Teilnehmer:innen waren vom öffentlichen Leben in Japan abgeschirmt.
In Paris werde er aber definitiv die Atmosphäre auch in der Stadt aufsaugen. In Tokio war das nur minimal auf dem Weg vom Olympischen Dorf ins Stadion möglich. Dort sah er viele Japaner:innen, "die heiß darauf waren und Schilder hochgehalten haben. Im Stadion waren aber maximal 2000 Athleten, die zum Zuschauen gekommen sind".
In Paris wird das zwar anders sein, einen Unterschied während des Wettkampfs macht das für Bredau allerdings nicht: "Wenn ich laufe, können zehn Leute oder 15.000 Menschen im Stadion sitzen. Vor und nach dem Lauf pushen die Zuschauer schon, aber im Rennen ist es mir egal, weil ich das nicht mitbekomme."
Nicht egal ist ihm allerdings, dass er bei einer Olympia-Teilnahme aller Voraussicht nicht von seiner Familie vor Ort unterstützt werden kann. "Natürlich liegt Paris vor der Haustür, aber die Ticketpreise sind enorm in die Höhe geschossen. Von meiner Familie wird deshalb niemand dabei sein. Gleichzeitig gibt es quasi keine bezahlbare Unterkunft mehr", beklagt Bredau den finanziellen Aspekt, unter dem auch viele Fans leiden werden.
Dadurch wird eines klar: Die Olympischen Spiele sind eine extrem große Bühne für die meist unterbezahlten deutschen Athlet:innen, die von Fans unterstützt werden, die wiederum viel Geld für ihre Tickets zahlen. Um Bredau beispielsweise in der ersten Runde des 400-Meter-Wettbewerbs sehen zu können, gibt es aktuell nur noch Karten ab 525 Euro. Für die Eröffnungszeremonie müssen sogar mindestens 2700 Euro gezahlt werden.
Zugegebenermaßen: In der schlechtesten Kategorie sehen Fans die Eröffnung bereits für 90 Euro und die erste 400-Meter-Runde für 125 Euro. Das ist einerseits trotzdem sehr viel. Andererseits sind die Karten bereits vergriffen. Das große Geschäft macht das Olympische Komitee. Laut "Statista" nahm es bei den Sommerspielen 2021 in Tokio 6,7 Milliarden US-Dollar ein.