Kurzer Kontakt, schneller Abschluss, links oben schlägt der Ball ein. Per Traumtor trifft Korbin Albert für die US-Frauen zum 2:0 gegen Australien. Und ihre Mitspielerinnen jubeln mit ihr.
Eine Szene, eigentlich so normal wie das vollmundige Rotzen auf den Rasenboden, die in ihrer Bedeutung aber kaum zu überschätzen ist. Korbin Albert, die Ausgestoßene, fand sich inmitten ihrer Teamkolleginnen wieder.
Korbin Rose Albert, 20 Jahre alt, stammt aus Grayslake, einem kleinen Vorort von Chicago, und ist eine der talentiertesten Spielerinnen ihrer Generation. Auf ihrem Instagram-Profilbild hockt sie an einem Fluss, umringt vom Grün, vor ihr ein USA-Ballon, neben ihr ein weißer Pudel, der ein Shirt mit dem Emblem der Nationalmannschaft trägt.
Sie wirkt wie ein typisches, US-amerikanisches College-Mädchen, auf dem Sprung ins Erwachsenenleben. Nichts deutet darauf hin, dass Albert, mit den langen blonden Haaren und den Cowboy-Stiefeln, für einen der größten Skandale in der Geschichte des US-Teams verantwortlich ist. Und an seinem Vermächtnis für die LGBTQ+-Bewegung rüttelt. Am Dienstag um 18 Uhr trifft sie mit den USA im Olympia-Halbfinale auf die deutsche Nationalmannschaft.
Zwei Jahre spielte Albert als eine der besten Nachwuchsprofis des Landes im College-Team Notre Dame Fighting Irish in Indiana. Im Januar 2023 brach sie dann, mit 19 Jahren, ihr Studium ab und wechselte ins Ausland zu Paris Saint-Germain.
Seitdem die heutige US-Kapitänin Lindsey Horan 2012 zu PSG gewechselt war, ist noch nie eine amerikanische Nachwuchsspielerin so früh in ihrer Karriere Profi im Ausland geworden. Und mit dem Schritt kam auch die Aufmerksamkeit.
Ende März dieses Jahres, Albert hatte PSG soeben ins Halbfinale der Champions League geschossen und war seit einigen Monaten Teil der A-Nationalmannschaft, ging ihre Social-Media-Aktivität viral.
Es tauchte ein Video auf, das Albert öffentlich geteilt hatte, in dem ein christlicher Pfarrer in einer Predigt erklärt, dass es falsch ist, schwul zu sein und sich "trans zu fühlen". Ein weiteres zeigte sie und ihre Familie am Nationalfeiertag, wie sie abwechselnd erklären, ihre Pronomen lauteten "USA". Kurz darauf ist der Post gelöscht worden.
Albert ist bekennend evangelikal, was häufig nichts anderes bedeutet, als mit Händen und Füßen gegen den Zeitgeist anzukämpfen. Seit der Wahl von Donald Trump genießt die christliche Rechte großen Einfluss in der US-amerikanischen Politik. Albert scheint sich offensichtlich mit diesen Werten zu identifizieren, die zweifelsohne auch Millionen ihrer Mitbürger:innen teilen. Ganz sicher aber nicht ihre Mitspielerinnen im US-Team.
Die US-amerikanische Nationalmannschaft ist so etwas wie der mannschaftgewordene Christopher Street Day, kaum eine andere Institution hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so prominent und öffentlichkeitswirksam für LGBTQ+-Rechte eingesetzt. Und Albert wagte es sogar, ihre Säulenheilige zu verhöhnen.
Unter den virulenten Skandal-Posts fand sich auch ein Like, das Albert abgegeben hatte. Ein Meme-Account schrieb: "Gott nimmt sich eine Auszeit, um Wunder zu vollbringen, damit Megan Rapinoe sich in ihrem letzten Spiel den Knöchel verstaucht."
Die offen homosexuelle Rapinoe war als US-Kapitänin und vermutlich einflussreichste Spielerin der Verbandsgeschichte jahrelang die lauteste Stimme der LGBTQ+-Bewegung. Und legte sich regelmäßig mit Donald Trump an.
Bei der WM 2019 erklärte Rapinoe, sie wolle im Falle eines Turniersiegs den obligatorischen Empfang im Weißen Haus ablehnen – aufgrund des amtierenden Präsidenten Trump. "Die sollten ZUERST MAL gewinnen", polterte Trump daraufhin. Taten sie dann auch. Und Rapinoe wurde als Torschützenkönigin sowie beste Spielerin des Turniers ausgezeichnet.
Wie also passt eine Spielerin wie Korbin Albert, mit offenbar transphoben, queerfeindlichen und Trump-nahen Ansichten, in eine so durch und durch tolerante Institution wie das US-Team?
"Wake the fuck up", schrieb Megan Rapinoe in Reaktion auf die Posts, richtete sich an "die Leute, die sich hinter 'meinen Überzeugungen' verstecken wollen" und sagte, dass "alles, woran ihr glaubt, Hass ist." "The Athletic" bestätige sie später, dass die Aussagen direkt auf Albert bezogen gewesen seien.
Lindsey Horan, die seit dem Karriereende von Rapinoe US-Kapitänin ist, sagte auf einer Pressekonferenz: "Wir haben sehr hart daran gearbeitet, die Integrität dieser Nationalmannschaft über alle Generationen hinweg aufrechtzuerhalten". Sie seien "sehr, sehr traurig, dass dieser Standard nicht aufrechterhalten wurde".
Und Albert? Sah sich schließlich in einer Instagram-Stroy zu einer Entschuldigung genötigt. Ihre Beiträge bezeichnete sie als "beleidigend, unsensibel und verletzend". Sie wolle sich aufrichtig für ihr Verhalten auf Social Media und bei "allen, die sich dadurch beleidigt fühlten" entschuldigen.
Damit war die Sache aber noch lange nicht erledigt. In den Spielen vor Olympia wurde Albert regelmäßig ausgebuht, viele Fans nahmen ihr die Entschuldigung nicht ab. Sie sahen das Vermächtnis der Mannschaft als Flaggschiff für Integrität und Toleranz in Gefahr. Die neue Nationaltrainerin Emma Hayes nominierte sie trotzdem für den endgültigen Kader.
Hayes verteidigte die 20-Jährige im Juni öffentlich, sagte aber, dass es sich nicht leugnen lasse, "dass im Hintergrund eine Menge Arbeit geleistet wurde, um mit Korbin zu arbeiten". Sie habe mit ihr über die Bedeutung dessen geredet, "worauf wir achten müssen, und wie wir alle Teil eines Umfelds sind, das zu schätzen weiß und versteht, was das bewirken kann".
Albert hat sich seitdem mit Postings zurückgehalten. Das ganze Ausmaß hat sich aber bereits längst aus ihrer Einflusssphäre heraus laviert. Sie ist selbst eine Identifikationsfigur geworden.
Korbin Albert bedient eine Sehnsucht der republikanischen USA, die in der Nationalmannschaft den verlängerten Arm eines Woke-Wahnsinns sehen und sich darüber ärgern, dass der große Teil der US-amerikanischen Öffentlichkeit wie auch Hollywood fest in demokratischer Meinungshoheit liegen.
Sie hat sich – ob gewollt oder nicht – zu einem Symbol des Kulturkriegs in den USA entwickelt. Und wird mittlerweile von republikanischer Seite vereinnahmt. Ihre Beiträge sind geflutet von Kommentaren, die sie ermutigen, nicht einzuknicken vor denen, die sie mundtot machen wollen.
"Wir alle wissen, dass sie mit ihren Taten viel durchgemacht hat und dass es ihr aufrichtig leid tut, was sie getan hat", sagte Emma Hayes nach dem Spiel gegen Australien. Ihre Mitspielerinnen scheinen Albert verziehen zu haben und an ihre Besserung zu glauben. Die Frage ist, ob sich auch die Fans überzeugen lassen. Und vor allem: welche Fans.