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WM 2022

WM 2022: Wieso die sportliche Krise beim DFB-Team so sehr im Hintergrund steht

23.11.2022, Katar, Ar-Rayyan: Fu
Niklas Süle (v.l.n.r.), Youssoufa Moukoko und Manuel Neuer zeigen sich nach der Niederlage gegen Japan enttäuscht. Bild: dpa / Tom Weller
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WM 2022: Wieso die sportliche Krise beim DFB-Team so sehr im Hintergrund steht

27.11.2022, 09:4227.11.2022, 09:43
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Für viele deutsche Fußballfans ist schon jetzt klar, was am Sonntagabend passieren wird. Die deutsche Nationalmannschaft verliert gegen Spanien und scheidet so zum zweiten Mal in Folge in der Gruppenphase der WM aus. Das gaben 82 Prozent der 1400 Befragten in der Fan-Voting-App FanQ an.

Spöttische Stimmen sehen darin einen etwas verspäteten Boykott des DFB-Teams bei der umstrittenen WM.

Denn wenn es aktuell um die deutsche Auswahl geht, dann sind selten sportliche Fragen ein Thema, sondern es geht um Themen wie Haltung, gesellschaftliche Werte, das "einknicken" des DFB vor der Fifa und die Geste des zugehaltenen Mundes vor dem Auftaktspiel gegen Japan. Da gerät die sportliche Krise des DFB-Teams mit dem drohenden WM-Aus schon fast in den Hintergrund.

Marcus Bölz, Professor für Sportjournalismus und Sportpsychologie an der Freien Hochschule des Mittelstands, erklärt im Gespräch mit watson: "Wir haben aktuell einen spezifischen Zeitgeist, den ich als Woke bezeichnen würde. Er hat etwas mit Nachhaltigkeit, Fairness, Gleichberechtigung und Gleichstellung zu tun und diesen nimmt auch der Sportjournalismus in seine Berichterstattung auf."

Marcus Bölz, Leiter des Instituts für Sportkommunikation an der Fachhochschule des Mittelstands.
Marcus Bölz, Leiter des Instituts für Sportkommunikation an der Fachhochschule des Mittelstands.bild: screenshot/fh-mittelstand

Ganz zum Missfallen vieler Fußballfans oder ehemaligen Nationalspieler wie Christoph Kramer, der das Turnier als ZDF-Experte begleitet.

"Ich finde es nicht zielführend, wenn man während der WM als Medien aktive Spieler dazu befragt. Denn es gibt keine zwei Meinungen zu dem Thema, und auch kein Profifußballer hat eine andere Meinung dazu", sagte der Weltmeister von 2014 schon vor dem Turnier.

Zwar sei es wichtig, dass diese Themen angesprochen werden, doch der Sport sollte im Mittelpunkt stehen. Er fügte an: "Als Spieler hast du dann anderes im Kopf als diese Sachen, die da passieren und an Tragik natürlich nicht zu überbieten sind."

Ähnlich reagierte Joshua Kimmich zu Beginn der Woche. "Dass Katar die WM bekam, war vor zwölf Jahren. Damals war ich 15. Ich muss mich nicht immer dazu äußern", verdeutlichte er. "Wir müssen uns aber als Fußballer auch auf den größten Wettbewerb der Welt konzentrieren können, etwas, wovon man als kleiner Junge träumt."

WM 2022: DFB-Zeichen sei "Alibi-Aktion"

Das Verbot durch die Fifa habe die Mannschaft vor dem Spiel beschäftigt, bestätigten verschiedene DFB-Offizielle vor der Auftaktniederlage. "Aber du musst deine Konzentration zu 100 Prozent auf dieses Spiel legen. Und wenn du dauerhaft mit diesen moralischen Debatten konfrontiert bist, bist du dazu nicht mehr bereit", sagt Sportpsychologe Bölz.

Die Aktion vor dem Japan-Spiel zeige genau das Problem, in dem der Fußball aktuell stecke. "Auf der einen Seite hast du gesellschaftliche Erwartungen, die an die Spieler als Protagonisten der Öffentlichkeit gestellt werden. Andererseits haben sie auf dem Platz einen Job zu erledigen: Fußballspiele gewinnen." Und dann würde laut Bölz "so eine Alibi-Aktion" herauskommen, um es allen gerecht zu machen. "Aber, du machst es nie allen recht."

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Mit dem zugehaltenen Mund protestierte die DFB-Elf gegen die Fifa. Bild: www.imago-images.de / IMAGO/AFLOSPORT

Der 47-jährige Hochschulprofessor warnt deshalb davor, dass sich die Berichterstattung um das DFB-Team und das Gastgeberland bei der Weltmeisterschaft zu sehr auf die moralischen Wertedebatten fokussiert. "Ich halte es für vermessen, dass wir denken, dass wir die Gesellschaft in Katar erziehen könnten", sagt er.

Es sei dennoch wichtig, dass auch der Sportjournalismus sich mit den Wertevorstellungen auseinandersetzt und diese auch immer wieder vor Ort und vom Gastgeber einfordert. Gleichzeitig schränkt er ein: "Ich kann doch nicht erwarten, dass so ein Großevent sofort einen Schalter in der dortigen Gesellschaft umlegt."

WM 2022: Politische Fragen an Spieler und Trainer historisch bedingt

Dass Spieler und Trainer immer wieder auch zu sozialpolitischen Dingen rund um das Turnier befragt werden, sieht Bölz einerseits historisch durch die WM 1978 in Argentinien begründet. Dort herrschte zu dieser Zeit eine brutale Militär-Diktatur, doch weder Spieler noch irgendein Verband wollte sich kritisch dazu äußern. Vielmehr verwiesen damals deutsche Nationalspieler darauf, dass sie keine Politiker seien. Das brachte den Spielern, aber auch den Berichterstattern im Nachhinein viel Kritik ein.

"Sie haben bewiesen, dass sie die aktiven Werte unserer Gesellschaft teilen und aktiv daran partizipieren wollen."
Sportjournalismus-Professor Marcus Bölz zur DFB-Aktion

Vonseiten des Gastgebers und Teilen der arabischen Welt gibt es auch immer wieder den Vorwurf, dass die Kritik am Turnier zu heftig ausfallen würde. Schließlich habe man 2014 bei der Endrunde in Brasilien oder 2018 in Russland auch nichts gesagt.

"Natürlich hätte man beispielsweise schon damals in Brasilien über Nachhaltigkeit diskutieren können, aber das war damals noch nicht der Zeitgeist", ordnet Marcus Bölz ein.

WM 2022: Weitere Proteste des DFB-Teams unwahrscheinlich

Dass die DFB-Elf vor dem Spiel gegen Spanien ein ähnliches Zeichen setzen wird, glaubt der Experte nicht. "Sie haben bewiesen, dass sie die aktiven Werte unserer Gesellschaft teilen und aktiv daran partizipieren wollen. Ihr Beruf ist Fußballspielen und deswegen finde ich es schwierig, wenn man es noch weiter auflädt."

Auch Kai Havertz zeigte sich auf der DFB-Pressekonferenz am Freitag etwas genervt. "Wir haben unseren Punkt klargemacht. Alle wissen, wie wir denken. Unser Fokus liegt nun zu 100 Prozent auf dem Fußball."

Denn die WM ist immer noch das größte Turnier für einen Fußballer. Und dieser Traum könnte für die DFB-Elf schon am Sonntagabend geplatzt sein.

Nach Nagelsmann-Absage: FC Bayern soll böse Vermutung haben

Am Freitag verkündete der DFB die für ihn so frohe Kunde, dass Bundestrainer Julian Nagelsmann seinen im Sommer auslaufenden Vertrag um zwei Jahre verlängert hat. Er wird die deutsche Nationalmannschaft also nicht nur bei der anstehenden Heim-EM, sondern auch bei der WM 2026 betreuen.

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