Sabitri Tamang trauert.
Die 27-jährige Nepalesin trauert um ihre Schwester Sabita.
Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge sind seit der Vergabe der WM nach Katar im Jahr 2010 bis heute rund 15.000 Gastarbeiter:innen gestorben.
Sabita Tamang ist eine von ihnen.
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Sabitri einen Anruf und die Information bekam: Ihre Schwester ist tot. Nur zwei Stunden vorher hatten die beiden noch telefoniert.
Sabita ist vor rund fünf Jahren nach Katar gegangen. Um Geld zu verdienen. Um es nach Hause, nach Nepal, schicken zu können. Damit ihre achtjährige Tochter Sanjila ein besseres Leben führen kann als sie. Auf eine Schule gehen kann, eine Zukunft hat.
Am Telefon erzählt Sabitri, was in den letzten Stunden vor dem Tod ihrer Schwester geschah und wie Katar versucht, die Todesursache zu vertuschen.
Ein Protokoll:
"Meine Schwester Sabita hat als Reinigungskraft in Katar gearbeitet. Ich weiß aber keine näheren Details, wo oder in welcher Form. Sie sagte nur immer zu mir: 'Ich arbeite drinnen, mach dir keine Sorgen.'
Sabita wollte ihrer Tochter Sanjila eine bessere Zukunft bieten. Sie sagte damals, als sie nach Katar ging: 'Ich muss meiner Tochter die beste Bildung ermöglichen. Ich will, dass sie ein gutes Leben hat.' Deshalb ist meine Schwester nach Katar. Und seitdem passe ich auf ihre Tochter, meine Nichte, auf. Sie sagt Mama zu mir, ist mein Ein und Alles. Zu ihrem Vater gibt es keinen Kontakt.
Ihre Mutter hat Sanjila viele Jahre nicht gesehen. Aber vergangenes Jahr kam sie das erste Mal zu Besuch nach Katar, um ihre Tochter zu sehen.
Das war 16 Tage vor ihrem Tod.
Wir hatten während ihrer Zeit in Katar jeden Tag Kontakt. Entweder per Telefon, per Messenger oder per E-Mail. Das letzte Mal, zwei Stunden vor ihrem Tod. Sie starb an einem Freitagabend zwischen 19 und 20 Uhr, katarischer Zeit, und wir telefonierten gegen 16 oder 17 Uhr.
Ich erinnere mich gar nicht mehr im Detail daran, worüber wir gesprochen hatten. Sie hat gerade in ihrem Zimmer gekocht und mich Dinge gefragt, wie 'Wie geht es dir?' oder 'Wie geht es Sanjila?' – nichts Besonderes. Irgendwann habe ich dann das Telefon Sanjila gegeben. Sabita fragte sie, wie es ihr geht, was die Schule macht. Zum Schluss sagte sie dann zu mir: 'Pass auf dich auf, pass auf Sanjila auf. Ich werde jetzt rausgehen und ein bisschen Gemüse einkaufen. Ich rufe dich später wieder an.'
Aber sie rief nicht an.
Stattdessen erhielt ich am nächsten Morgen, den 13. November 2021, einen Anruf von einer Freundin von ihr. Sie erzählte mir, dass Sabita einen Unfall hatte. Laut Polizeibericht überquerte sie eine Straße, an einer Stelle, an der sie die Straße nicht überqueren durfte. Es soll also ihre Schuld gewesen sein. Das ist die offizielle Version. Was wirklich passiert ist, wissen wir nicht.
Nach ungefähr zwei Wochen wurde ihre Leiche dann nach Nepal geschickt. Eine Organisation hat sie mir übergeben. Wir haben sie hier beerdigt.
Ihre Tochter Sanjila hat es immer noch nicht wirklich realisiert, dass ihre Mutter gestorben ist. Ich habe es ihr natürlich gesagt, aber wenn sie gefragt wird, wo ihre Mutter ist, antwortet sie häufig noch: 'Sie ist in Katar'.
Das Geld, das meine Schwester in Katar verdient hat, war sehr wichtig für uns. Sie schickte mir ihren Lohn nach Nepal. Für die Bildung ihrer Tochter und für mich. Ich habe in Kathmandu an der Management-Fakultät studiert. Das deckte die Kosten.
Aber es ist immer noch Lohn ausstehend. Vor rund fünf Monaten haben wir Dokumente nach Katar geschickt, um den Lohn und die Reinigungsmaterialien meiner Schwester einzufordern. Sie haben uns jedoch nicht geantwortet. Mir wurde nur vor einigen Tagen gesagt, dass es ein oder zwei Jahre dauern könnte."