In einem Büro in New York, erinnert sich der Journalist John Seabrook, habe ihm der Mitarbeiter einer Plattenfirma einmal ein Handy gereicht. Darauf: die Demo von "Baby One More Time". Gesungen nicht von Britney Spears, sondern von einem schüchtern klingenden Schweden namens Martin Sandberg, heute bekannt als Max Martin.
Schon in dieser Rohfassung sei der Song vollständig dagewesen – das dreifache Auftaktsignal, die Phrasierung, sogar das "oh, baby, baby", das später um die Welt gehen sollte. Viele Martin-Songs, schreibt Seabrook im "New Yorker", seien im Grunde Coverversionen seiner Demos: Die Stars singen nach, was er längst eingesungen hat. In dieser Szene begreift man, dass der Mann im Hintergrund die Akustik der größten Räume bestimmt.
Max Martin ist so etwas wie die höfliche Zumutung an die Popgeschichte: der Schattenkomponist der Charts, der sich hinter fremden Stimmen verbirgt und ihnen die zündende Hook zuflüstert.
Mit 27 Nummer-eins-Songs als Songwriter – nur noch übertroffen von Paul McCartney – und 25 Nummer-eins-Erfolgen als Produzent gehört er zu den einflussreichsten Personen der Musikgeschichte. Backstreet Boys, Katy Perry, Pink und Ariana Grande, The Weeknd, Coldplay – sie alle haben bereits mit ihm zusammengearbeitet.
Max Martin verkörpert, was die sogenannte Cheiron-Schule in Stockholm Ende der Neunziger erfand: Pop als Architektur – kalkulierte Spannungsbögen, klare Konturen, punktgenaue Entladung.
Dahin möchte auch Taylor Swift wieder zurück. Nach Jahren, in denen sie ihre Alben vor allem mit Jack Antonoff und Aaron Dessner gebaut hat, kehrt sie für "The Life of a Showgirl" zu Martin und dessen Kollegen Shellback zurück, mit denen sie bereits früher zusammengearbeitet hat. Zurück also zu jener strukturellen Strenge, die sie überhaupt erst ins Stadionformat katapultiert hat.
Das Mosaik ist bekannt und doch schwer zu fassen: ABBA-Harmonien, Achtziger-Refrains, amerikanischer R&B-Groove, zusammengehalten von einer melodischen Ökonomie, die Phonetik über Poetik stellt. Deshalb kann ein Evergreen wie "I Want It That Way" semantisch widersprüchlich bleiben und trotzdem universell funktionieren.
Als Max Martin 2016 mit dem Polar Music Prize ausgezeichnet wurde, gab er der schwedischen Wochenendbeilage "Dagens Industri Weekend" eines seiner seltenen Interviews. Darin skizzierte er eine Handwerkslehre, die man in nahezu jedem seiner Hits nachvollziehen kann.
Für Martin beginnt alles mit der sofortigen Erkennbarkeit – ein Song muss nach wenigen Takten präsent sein. Vertrautheit entsteht, wenn die Strophe den Refrain schon ahnen lässt (ein Trick, den er von Prince übernommen habe), und Variation, wenn jeder Chorus dasselbe sagt und doch jedes Mal mehr Kraft entfaltet.
Er hört auf die Vokale, feilt Silbe für Silbe, manchmal bis zum nachträglich eingefügten Konsonanten. Und er denkt in Kontrasten: dicht getaktete Verse gegen weite Linien, wie in "Shake It Off". Am Ende aber, meint Martin, gibt es keine Formel. Ein Popsong muss vor allem fühlbar sein.
Diese Mischung aus melodischer Mathematik und Gefühl erklärt das Paradox seiner Musik: Sie klingt simpel und ist minutiös geschichtet. Instrument um Instrument, Layer um Layer, bis die Hook unvermeidlich wirkt.
Genau dieses Gefühl des Unvermeidlichen hat Martin über Jahrzehnte zum Standard im Top-40-Radio gemacht. Seine Handschrift ist so prägend, dass inzwischen sogar der Broadway ein Jukebox-Musical um sein Werk gebaut hat ("& Juliet"). Und so musste der notorisch Unsichtbare, der sonst lieber im Hintergrund bleibt, doch einmal kurz ins Rampenlicht treten.
Taylor Swift hat die Logik dieses Handwerks früh begriffen – und ihr Verhältnis zum Pop darüber neu sortiert. Schon "Red" und "1989" wurden zu Fixpunkten, weil Martins Architektur ihrer größten Stärke diente: Struktur. Taylor ist – bei allen Tagebuchmomenten – eine Architektin der Form, wie sie die Musikkritiker der "New York Times" beschreiben.
Ihre Pop-Weltherrschaft ist nicht ohne Martin denkbar: Die gemeinsamen Singles ("We Are Never Ever Getting Back Together", "Shake It Off", "Blank Space") stellten die Möglichkeit in den Raum, wie groß Swift einmal werden könnte – Stadion-Größe, Radiomonokultur, globale Erzählung.
In den vergangenen Jahren schrieb Swift mit Jack Antonoff (und Aaron Dessner) an einer Art Gegenästhetik weiter. Man könnte sagen: Die beiden haben die Möglichkeiten von Pop in der Größenordnung neu erfunden und zugleich dejustiert. Diese Songs wirken oft bewusst ein wenig "falsch", eigentümlich zugeschnitten, aus dem Takt geraten: Reime, die nicht ganz schließen; Refrains, die sich entziehen, wenn man sie erwartet; Texturen, die eher schimmern als schneiden.
Pop nicht als grelles Flutlicht, sondern als schräg gestellte Lampe. Der "New Yorker" hat das schwedische Pop-Empfinden einmal als Mischung aus Klarheit, Melancholie und Minimalismus beschrieben – ein treffender Kontrastbegriff für Antonoffs weichgezeichnete Kante.
Nun kehrt Swift für "The Life of a Showgirl" zu Martin (und Shellback) zurück. Sie selbst beschreibt das Album als "ansteckend fröhlich, wild und dramatisch", entstanden zwischen Europaterminen der Eras-Tour, mit Stockholm-Sessions und einem erklärten Ziel: eine Studioplatte, auf die sie genauso stolz ist wie auf die Tour. Das heißt übersetzt: Formbewusstsein, Energieökonomie, Hooks als Architekturpunkte.
Das ist ästhetisch kein Rückschritt, aber ein Rückgriff, ein gänzlich anderer Aggregatzustand. Antonoff/Swift haben die Ambivalenz der Popform gefeiert – das bewusst Nichtauflösende, die edle Schräge. Martin/Swift feiern das Auflösen: die Pointe, die Wiederkehr, den zwingenden Hook-Moment.
Gerade weil Swift beide Modi beherrscht, kann die Rückkehr zu Martin produktiv werden. Sie bringt die Textschärfe der vergangenen Jahre mit in eine hell ausgeleuchtete Architektur, in der das Private nicht verschwindet, sondern zur Bühne wird. Man denke an "Blank Space": eine hochformale Satire, die gerade durch ihre Strenge wirkt.
Es gibt mehrere Gründe, warum dieser Schritt folgerichtig erscheint. Nach dem literarischen Doppel aus "The Tortured Poets Department" und den seicht-melancholischen Alben "Midnights", "Folklore" und "Evermore" drängte sich eine Verschiebung auf: weg von der schwergewichtigen Erzählprosa, hin zu Songs, die mehr durch Energie und Form tragen – Lieder, die nicht nur Geschichten ausbuchstabieren, sondern auch die Wucht einer Tour auf die Studioplatte übersetzen.
Die Energie der Tour musste in Songs gegossen werden, die glänzen und halten – zwölf Stück sind es geworden, fokussiert, gut gelaunt, showorientiert. Dazu kommt die Logik ihres eigenen Katalogs. Max Martin fungierte bei Swift verlässlich wie ein Genre-Tag für Skalierung. Will man die Eras-Erzählung in eine kompakte Studioplatte kondensieren, scheint seine Methode das passende Vehikel.
Und schließlich verweist der Zeitpunkt auf etwas Größeres. Martins Ästhetik – von ABBA bis The Weeknd – steht für melodische Großschrift in einer Ära, in der der Algorithmus oft nur noch ins Ohr flüstert. Dass parallel am Broadway ein Martin-Jukebox-Musical als "Legacy Play" läuft, zeigt, wie sehr diese Sprache inzwischen Kanon geworden ist.
Bei einer "& Juliet"-Voraufführung trat Martin zum Schlussapplaus kurz vor den Vorhang, zehn Sekunden, und schiebt dann mit einem Handgriff die Debütant:innen nach vorn. Er verschwindet in den Kulissen. Das ist das ganze Programm: Die Künstler:innen ganz vorn und eine unsichtbare Architektur, die sie leuchten lässt.