Unterhaltung
Best of watson

"Hart aber fair": Unternehmer spottet über Alleinerziehende

Arndt Kirchhoff hätte keine Lust auf das Leben von Djamila Kordus.
Arndt Kirchhoff hätte keine Lust auf das Leben von Djamila Kordus.bild: screenshot ard
Unterhaltung

"Hart aber fair": Unternehmer spottet über Alleinerziehende, Plasberg eilt ihr zur Hilfe

11.05.2021, 08:4411.05.2021, 11:15
Dirk krampitz
Mehr «Unterhaltung»

Zehn Millionen Arbeitnehmer verdienen in Deutschland weniger als 12 Euro pro Stunde bei Vollbeschäftigung. Das ergibt weniger als 60 Prozent des Durschnittslohns. Damit gelten sie per definitionem als "armutsgefährdet". 3,5 Millionen Deutsche versuchen sogar mit mehreren Jobs über die Runden zu kommen. "Arm trotz Arbeit – Wird sozialer Aufstieg zum leeren Versprechen?", fragt Plasberg in dieser Woche in seiner Sendung und diskutiert mit folgenden Gästen:

  • Hubertus Heil (SPD, Bundesminister für Arbeit und Soziales)
  • Arndt Kirchhoff (geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW)
  • Julia Friedrichs (Journalistin und Filmemacherin, Buchautorin "Working Class")
  • Djamila Kordus (alleinerziehende Mutter)
  • Lencke Wischhusen (FDP, Fraktionsvorsitzende in der Bremischen Bürgerschaft und Mitglied des FDP-Bundesvorstands)
Der Lageristin Djamila Kordus bleiben 500 Euro zum Leben.
Der Lageristin Djamila Kordus bleiben 500 Euro zum Leben.bild: screenshot ard

Als lebendes Beispiel wurde die Lageristin und alleinerziehende Mutter Djamila Kordus eingeladen. Sie steht jeden morgen um 4 Uhr auf, um 5 Uhr weckt sie ihre Tochter und bringt sie dann um 6 Uhr in die Frühbetreuung der Grundschule. Danach geht sie zur Arbeit und arbeitet dann für 10,64 Euro pro Stunde als Lageristin bei einem Online-Händler. Einen zweiten Job in der Seniorenbetreuung hat sie verloren, weil es durch Corona Probleme bei der Kinderbetreuung gab. 500 Euro bleiben ihr nach Abzug aller Kosten. Das meiste gibt sie für gesundes Essen aus.

"Alles wird teurer, nur der Lohn bleibt der gleiche."
Djamila Kordus

Die gelernte Einzelhandelskauffrau sagt, sie sei meistens schon am Dritten des Monats pleite. "Das ist sehr deprimierend." Aber sie wolle unbedingt arbeiten. "Ich bin ja auch ein Vorbild für mein Kind, was soll denn aus unseren Kindern werden, wenn wir zu Hause sitzen und nichts machen?" Djamila Kordus zieht das Wohlmeinen der ganzen Runde auf sich und Plasberg bemerkt ein bisschen spöttisch angesichts der freimütig verteilten warmen Worte: "Ein Mensch, der sich hier das übliche Lob abholt, das ist kostenfrei."

Die Journalistin Julia Friedrichs hat ein Buch über die neue "Working Class" geschrieben.
Die Journalistin Julia Friedrichs hat ein Buch über die neue "Working Class" geschrieben.bild: screenshot ard

Die Journalistin Julia Friedrichs hat für ihr Buch "Working Class" viele Leute wie Kordus getroffen. "Die Hälfte der deutschen hat kein nennenswertes Vermögen." Sie erzählt vom U-Bahnreiniger Said. Er macht seinen Job seit 18 Jahren und bekommt 10,50 Euro die Stunde. Er verdiene kaufkraftbereinigt weniger als sein Vater früher. “Die Wirtschaft ist gewachsen, das ist aber bei dieser Gruppe nicht angekommen.“ Die Spielregeln seien nicht mehr fair.

Heils Shitstorm-Potential

Hubertus Heil (SPD) kann sich erinnern wie es war, als seine Mutter kaum Geld hatte.
Hubertus Heil (SPD) kann sich erinnern wie es war, als seine Mutter kaum Geld hatte.bild: screenshot ard

Darum will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen und mehr Tarifverträge. "Da hat sich einfach zu wenig getan", sagt er. "Besserer Lohn, das ist eine Frage von Würde und Anstand. Man muss anfangen, das irgendwann zu ändern." Das Arbeitsministerium befinde sich mittlerweile seit 19 Jahren bei der SPD kontert Frank Plasberg den wohl auch ein bisschen vom Wahlkampf befeuerten Aktionismus von Heil. Aber der lässt das abgleiten und sagt, man müsse von allen Jobs leben können.

"Wir brauchen nicht nur Häuptlinge, wir brauchen, damit unsere Gesellschaft funktioniert, auch ordentlich viele Indianer, die die Straßenbahn putzen, die in der Lagerlogistik arbeiten, die Busfahrerinnen und Busfahrer sind."
Hubertus Heil

Hubertus Heil hat nur Glück, dass er nicht Mitglied der Grünen ist, die Bürgermeisterkandidatin der Berliner Fraktion, Bettina Jarrasch, hatte gerade mit dem Wort "Indianerhäuptling" einen innerparteilichen Shitstorm kassiert.

Heil weiß durchaus, wie es ist, sie hocharbeiten zu müssen. Als sein Vater "abgehauen“ ist, musste er mit seiner Mutter aus dem Einfamilienhaus in die Mietskaserne ziehen, das Geld blieb trotzdem knapp. "Ich kenne die Situation in der die Mutter sich eine Nacht lang fragt, 'wie komme ich in den nächsten Monat?‘" Aber er habe "Bildungsmöglichkeiten" bekommen. Plasberg verblüfft den Minister, als er passend zur Mietkasernen-Geschichte ein grobkörniges Foto von Heils altem Wohnblock einblendet und erklärt: "im linken Haus – Nr. 32". Der TV-Talker als Minister-Stalker … Heils langfristige Idee für bessere Jobs: Die Erbschaftssteuer erhöhen und für bessere Schulausstattung einsetzen, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen.

Plasberg ohne Taktgefühl

Wenig Gespür beweist Frank Plasberg im Gespräch mit Brigitte Büscher.
Wenig Gespür beweist Frank Plasberg im Gespräch mit Brigitte Büscher.bild: screenshot ard

Dass Frank Plasberg besser mit Politikern und Experten talken kann als mit Betroffenen, zeigt sich immer wieder. Diesmal versucht er Djamila Kordus, eine gefühlige Aussage zu entlocken: Ob sie ihrer Tochter versprechen würde, dass sie es mal besser haben werde. Die Mutter antwortet irritiert: "Versprechen tu ich ihr das eigentlich nicht, ich hoffe, dass sie es mal besser hat." Später fragt er Kordus quer durchs Studio, welchen Schulabschluss sie eigentlich habe und wiederholt dann "erweiterter Hauptschulabschluss". Kurz danach witzelt er mit Zuschauer-Redakteurin Brigitte Büscher, dass sie ja den Zuschauertipp vom "reich heiraten" befolgt habe und trotzdem arbeite. Als eine Zuschauerin gesteht, dass sie beschämt sei, viel mehr Geld mit dem Tippen auf der Tastatur zu verdienen als Djamila Kordus, die den ganzen Tag im Lager herumläuft, mutmaßt Plasberg, dass die Zuschauerin wohl "das macht, was wir machen".

Ein Witz auf Kosten der Alleinerziehenden

Es klingt so, als würde Plasberg nach der Sendung eher mit Arndt Kirchhoff ein Bier trinken gehen. Dem Unternehmer mangelt es offenbar ähnlich stark an Empathie. Er spottet gleich zu Beginn in Richtung der alleinerziehenden Mutter Kordus: "Ich würde auch mein Kind nicht morgens um 5 aus dem Bett holen. Das ist für mich eine unchristliche Zeit und für Kinder, glaube ich, auch." Ganz so, als würde die Lageristin das aus Spaß tun, und nicht, weil sie sich auf den Weg zur Arbeit machen muss. "Bei ihnen hätte das vielleicht das Kindermädchen gemacht", erdet Plasberg den Unternehmer ein bisschen und eilt damit der perplexen Djamila Kordus zu Hilfe.

Der Unternehmer Arndt Kirchhoff steht ungern früh auf.
Der Unternehmer Arndt Kirchhoff steht ungern früh auf.bild: screenshot ard

Kirchhoff ist gegen höhere Löhne, die er "Umverteilung" nennt. "Da kommt eine höhere Abgabelast für alle.“ Er findet, dass die Einkommen seit 2005 erheblich gestiegen seien. "Wir müssen den Kuchen größer machen", dann bleibe auch für alle mehr. Und die Erhöhung der Erbschaftssteuer? Ja, aber nicht für Unternehmen. "Wir können über alles reden, so lange wir nicht die Substanz besteuern."

Unternehmer-Mutter mit Mindestrente?

Lencke Wischhusen (FDP) kommt aus einer Unternehmerfamilie.
Lencke Wischhusen (FDP) kommt aus einer Unternehmerfamilie.bild: screenshot ard

Das sieht auch die FDP-Politikerin Lencke Wischhusen so: Betriebsvermögen dürfe auch im Erbschaftsfall nicht versteuert werden. Ihr Verständnis vom Unternehmertum klingt eher nach dem einer Gutsherrin, wenn sie sagt, dass die Erben eines Unternehmers ja kein Barvermögen bekommen. "Sie erben Unternehmen, sie erben Arbeitnehmer..." Aber ansonsten sieht die FDP-Politikerin das Problem vor allem bei den hohen Steuern und Abgaben in Deutschland, bei dem zu wenig vom Lohn fürs Leben übrig bleibe.

Wie wenig sie sich in andere Lebensverhältnisse einfühlen kann, zeigt sie als sie es um geschiedene Mütter mit Mindestrente geht. "Ich komm auch aus so einem Haushalt, wo der Papa Alleinverdiener war... meine Mama kriegt Grundrente..." Plasberg stellt klar: "Sie kommen aus einer Unternehmerfamilie – ihre Mutter ist auf die Grundrente nicht angewiesen.“ Übrigens vor allem auch, weil sie nicht geschieden ist.

Als Plasberg am Ende in die Runde fragt, welchen Niedriglohnjob die Anwesenden denn mal ausprobieren würden, ruft Wischhusen frohgemaut: "Ich würde gern mal wieder putzen." Künftigen Diskussionen könnte ein solcher Perspektivwechsel ausschließlich gut tun.

ProSieben-Show "The Masked" Singer legt nächste Quoten-Bruchlandung hin

Bei "The Masked Singer" geht es mittlerweile wohl nur noch darum, den Absturz einigermaßen abzubremsen. Die ProSieben-Show hat seit längerem Probleme, ihr Publikum zu halten. Dass der Sender den Abwärtstrend nicht tatenlos hinnimmt, zeigt sich in seinem Bemühen, das Format einigermaßen frisch zu halten.

Zur Story