Eigentlich wollte Frank Plasberg noch eine Woche Winterferien machen. Doch die problematische Situation rund um die Corona-Impfung in Deutschland hat den Talkmaster schon jetzt aus der Pause zurückgeholt: Auf der einen Seite gibt es in Deutschland zu wenig Impfstoff, auf der anderen Seite wird der vorhandene gerade nicht verimpft – wegen mangelhafter Organisation.
Bisher sind in Deutschland 0,3 Prozent der Einwohner geimpft. "Bei uns kleckert der Impfstoff rein, während andere klotzen", sagt Frank Plasberg mit Blick auf Israel (Impfquote 14,1 Prozent), die USA oder auch England (jeweils 1,4 Prozent). "Rettung nur tröpfchenweise –bekommt Deutschland zu wenig Impfstoff?" – diese Frage diskutiert er mit seinen Gästen:
Wie konnte es dazu kommen? SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht eines der Probleme im Geld: Die EU hätte für Vorverträge mit Impfstoffproduzenten nur zwei Milliarden Euro zur Verfügung gehabt, die USA hingegen 12 Milliarden. Darum habe man "knapp kalkulieren" und gezielter ordern müssen. Außerdem sagt auch er nochmal klar, was bereits mehrfach zuvor weniger deutlich kolportiert wurde:
Der französische Präsident Emmanuel Macron habe wohl Sorge dafür tragen wollen, dass der französische Impfstoff von Sanofi nicht gegenüber dem von Biontech ins Abseits gerät. "Man möchte es ja nicht glauben", ruft Plasberg empört herein. "Kann es sein, dass eine solche nationale Überlegung eine Rolle spielt?" Karl Lauterbach antwortet juristisch trocken: "Aus Verhandlungskreisen wird das sicherlich nicht dementiert werden."
Und auch "Spiegel"-Journalist Markus Feldenkirchen hat damit übereinstimmende Informationen. Allerdings weiß er auch: "Macron dementiert das."
Was jedoch nicht zu dementieren ist: Der französische Impfstoff von Sanofi ist bisher ein "Rohrkrepierer", so Lauterbach. Wohl frühestens Ende des Jahres stehe er zur Verfügung – wenn überhaupt. Und so fehlt aktuell sein Anteil am Impfstoffvolumen der EU und Deutschlands. Zeitlich ist das sehr ungünstig.
Lauterbachs Vorschläge für den Weg aus dem Impfstoffmangel: Eine schnelle nationale Zulassung des Impfstoffs von Astra-Zeneca in Deutschland, wenn es auf europäischer Ebene nicht klappe. Und außerdem regt er an, zwischen der ersten und nötigen zweiten Impfdosis des vorliegenden Biontech-Impfstoffs die Wartezeit für die Impflinge von drei auf zwölf Wochen zu erhöhen. So könne man mit dem aktuell verfügbaren Impfstoff mehr Menschen immunisieren. Auf diese Weise komme man "erstmal über die kritischen drei Monate". Denn bereits mit der ersten Injektion gebe es einen guten Schutz vor dem Allerschlimmsten.
Auch "Süddeutsche Zeitung"-Wissenschaftsredakteurin und Biochemikerin Christina Berndt pflichtet ihm bei. Die erste Injektion bringe 90 Prozent Wirksamkeit, die zweite sei für den letzten Rest Schutz und vor allem die langfristige Wirkung nötig.
Doch das alles helfe allein nichts, die Zahlen müssten wieder sinken, und zwar erheblich, damit die Pandemie kontrolliert werden könne, so Lauterbach. Die Verlängerung des Lockdowns sei unerlässlich. "Ich plädiere dafür, uns ehrlich zu machen und die Bevölkerung nicht mit einem Datum zu verwirren, das wir nicht einhalten können." Lauterbach will einen Lockdown ohne zeitliche Befristung – er soll erst enden, wenn der Inzidenzwert von derzeit 139 auf 25 Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen gesunken ist.
Frank Plasberg hat bei seiner kurzfristig anberaumten Sendung wohl etwas Zeit- und Planungsnot gehabt. Auf seinem Pult liegen so viele gelbe Spickzettel wie sonst selten und zwei seiner Gäste wirken wie Sesselfüll-Material: Der Arzt und Europa-Abgeordneter Peter Liese (CDU) bleibt blass, sagt, er sei "auch enttäuscht" von der Impf-Lage und "aus heutiger Sicht“ würde er es auch anders sehen. Dann bezeichnet er sich noch als "als Lauterbach von Brüssel" und versteigt sich in Fußball-Vergleiche mit Jürgen Klopp, bis ihn Plasberg etwas spöttisch unterbricht. "Ich mag Analogien, aber sie müssen passen."
Ebenso überflüssig ist der zugeschaltete FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz ist. Frank Plasberg unterläuft trotz gelber Spick-Zettel erstmal ein fetter Versprecher: Er begrüßt Wissing als Wirtschaftsminister von Hessen. Wissing stellt das Missverständnis klar und Plasberg entschuldigt sich peinlich berührt. Dann ergeht sich Wissing aber vor allem Kritik in Kritik an der GroKo ("Skandalöse Ergebnisse einer Sorgfaltspflicht vermissenden Politik"). Verantwortung für Impfprobleme auf Landesebene weist der Landes-Vize aber zurück, obwohl Rheinland-Pfalz auf dem fünftletzten Platz unter den Bundesländern liegt – mit einer Impfquote von 0,2 Prozent.
Aber mit seiner Kritik an den Regierenden steht Wissing nicht allein da. Überraschenderweise kritisierte dann gestern nämlich noch ein Bundesminister den anderen ziemlich deutlich: Noch während der Sendung berichtet "Bild", dass SPD-Finanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz seinem Kabinettskollegen Jens Spahn (CDU) einen vierseitigen Fragenkatalog zum Impf-Debakel vorgelegt habe, der im Ton wenig freundlich sein soll. Die Journalisten in der Runde sind sich einig über die Sprengkraft. Christina Berndt findet, das zeige "wie die Hütte brennt", Feldenkirchen sieht das als "einmaligen Vorgang, der zeigt, dass nun die Harmonie in dieser Koalition offenbar vorbei ist". Und Plasberg wird wohl Recht behalten, wenn er angesichts des Impf-Debakels mutmaßt: "Dieses Thema wird uns noch eine Weile beschäftigen."