Satiriker und Autor Micky Beisenherz findet, dass man auch in der Corona-Krise lachen sollte. Nur bitte nicht über alles.Bild: imago images / Rainer Unkel
Interview
02.04.2020, 19:4502.04.2020, 22:32
Die Corona-Krise beeinflusst die Art, wie wir leben, wie wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, unseren Mitmenschen (eben nicht mehr) begegnen und was in unseren Einkaufswägen landet. Und sie nimmt auch diejenigen in die Pflicht, die in diesen Zeiten für Informationen und Aufklärung sorgen und Panikmache verhindern können: Die Medienmacher.
Micky Beisenherz, Moderator und TV-Autor (unter anderem fürs RTL-Dschungelcamp), ist mit seinem MagentaTV-Satire-Format "Artikel 5" in die zweite Staffel gestartet. Jeden Donnerstag stellt er sich den bohrenden Fragen unserer Zeit. Immer mit Haltung, immer mit Humor. Zuweilen auch mit Galgenhumor.
Doch wie hat die Corona-Krise seine Arbeit verändert? Worüber darf man noch scherzen – und wo liegt die Grenze? Mit watson sprach der 42-Jährige über das Umdenken in der Medienlandschaft, die Pflicht der TV-Macher und über wen er sich zuletzt selbst köstlich amüsiert hat.
watson: Micky, deine politische Satire-Show "Artikel 5" läuft mittlerweile in der zweiten Staffel bei MagentaTV. Was macht für dich den Erfolg der Show aus?
Micky Beisenherz: Die Show ist extrem zeitgemäß. Wir befinden uns ja seit Jahren in einer Phase, in denen es den Leuten sehr wichtig ist, aus dem Dschungel an Informationen eine zuverlässige Quelle auszumachen, die Informationen nicht nur findet, sondern auch einordnet und pointiert nach Hause trägt. In den nächsten Jahren wird für den Konsumenten immer wichtiger werden: Welcher Quelle kann ich trauen? Wo bleibe ich dran und verstehe den Input? Wir sind vielleicht nicht zwingend Vorreiter, es gibt auch andere, die das sehr gut machen, aber ich finde, wir ergänzen dieses Feld noch einmal sehr sinnvoll.
Mit Frank Plasberg talkte Beisenherz über das Flughafendesaster von Berlin und die AfD.Bild: MagentaTV
Wie schafft man den Spagat zwischen aktueller Nachrichtenlage und Unterhaltung und Zerstreuung?
Wir beschäftigen uns mit vielen Langzeitthemen. Sei es die Bundeswehr, Krankenhauskeime, der Mietspiegel. Die sind auch in den nächsten Wochen noch gültig und wir ergänzen das jeweils um aktuelle Entwicklungen. Wir sitzen eng am Puls der Zeit und versuchen nicht nur, Fakten weiterzugeben, sondern auch die Stimmungslage im Land aufzugreifen. Das ist derzeit meiner Ansicht nach das größte Thema für TV-Macher. Du musst die nötigen Informationen liefern, es aber gleichzeitig vermeiden, die Leute mit einer Form der Überinformation oder gar Dramatik zu hysterisieren. Denn man möchte nicht hysterisieren, sondern sensibilisieren. Und das ist ein relativ schmaler Grat.
"Die Krankheit ist nicht komisch. Weder für denjenigen, der sie hat, noch für denjenigen, der sie behandelt."
Stichwort Hysterie: Wie verändert die aktuelle Lage die Satire, worauf musst du in deinen Pointen achten?
Was man tunlichst vermeiden sollte, ist, sich über den Krankheitsverlauf eines Einzelnen, die Fallzahl oder Sterbezahlen lustig zu machen. Das geht nicht. Die Krankheit ist nicht komisch. Weder für denjenigen, der sie hat, noch für denjenigen, der sie behandelt. Aber es gibt natürlich Begleiterscheinungen, die von absurder Komik sind. Auch, was die mediale Aufbereitung anbelangt. Und auf diese darf man sich natürlich lustvoll stürzen. Man darf sich auch daran aufreiben, wie die Menschen mit Corona umgehen oder man selbst. Auch Introspektive wird in diesen Tagen sehr wichtig.
Ein Beispiel, bitte!
Was wir gerade jetzt in der Gesellschaft haben, ist im Grunde so, als wenn in der Disco das Auskehrlicht angeht. Plötzlich sieht man das, was vorher im Verborgenen lag. Und da kommen sehr viele komische – und tragikomische – Elemente zu Tage. Und darauf darf sich der Satiriker natürlich stürzen.
Wenn wir also vom Balkon aus für das Pflegepersonal klatschen, von dem sich der Lohn für die anstrengendste Arbeit in diesen Tagen aber auch nicht erhöht?
Zum Beispiel. Natürlich ist der Applaus nett und schön, er dient aber hauptsächlich der moralischen Selbsterbauung derer, die oben auf dem Balkon klatschen. Das Pflegepersonal hat davon herzlich wenig.
Pointen in Krisenzeiten? Micky zeigt in "Artikel 5", wie es geht:
Video: other_external/MagentaTV
Die ganze Möglichkeit, die diese Pandemie eröffnet, ist aber auch ein Test für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem und zeigt, wo die eigentlichen Probleme bei Krankenhäusern und Wirtschaftsunternehmen liegen. Dafür ist die aktuelle Situation gut – wenn man überhaupt von gut bei einer Pandemie sprechen kann, was schon etwas zynisch ist. Aber es zeigt schonungslos auf, was für Versäumnisse und Fehler in den letzten Jahren begangen wurden. Vielleicht sehen wir das auch ein bisschen als Chance, um daraus zu lernen und uns für die nächste Pandemie zu wappnen. Ich würde das Ganze jetzt nicht als Trockenübung bezeichnen, das wäre ebenfalls zynisch – aber es kann uns für die Zukunft etwas lehren.
"Würde Andreas Scheuer nicht gerade um die Ecke kommen und vorschlagen, die Flüchtlinge sollten gefälligst alle Spargel stechen gehen, hätte man ja gar nichts zu meckern."
Wir meckern in unserer Gesellschaft gerne schnell und viel – macht die Politik denn gerade auch etwas richtig?
Die Absurdität unserer Zeit macht sich auch an Sachen fest, bei denen man sich selbst erwischt. Ich glaube zum Beispiel, dass die GroKo gerade einen sehr guten Job macht (lacht). Würde Andreas Scheuer nicht gerade um die Ecke kommen und vorschlagen, die Flüchtlinge sollten gefälligst alle Spargel stechen gehen, hätte man ja gar nichts zu meckern. Und allein, dass Markus Söder in diesen Tagen der beliebteste Politiker ist, ist natürlich auch ein Krisensymptom.
Apropos: Andreas Scheuers Dilemma mit der Pkw-Maut haben wir in der Corona-Krise ganz vergessen, auch die Debatte um den rechten Flügel der AfD. Was haben wir zu lange ignoriert und müsste mal wieder auf den Tisch?
Ich habe mich letztes mit einem Freund unterhalten und wir kamen aufs Thema Rassismus zu sprechen. Und er sagte etwas im Sinne von, ja, das gibt es auch, aber jetzt ist erst einmal die aktuelle Lage wichtiger. Da musste ich auch sagen: Das stimmt ja nicht. Rassismus ist nicht weniger schlimm, nur weil gerade die Corona-Krise unser Leben bestimmt. Aber wie bei der Maslowschen Bedürfnispyramide, bei der man gerade das Gefühl hat, dass Klopapier die Basis bildet, gibt es natürlich auch ein gefühltes Ranking, was die Wichtigkeit von Themen angeht.
Was siehst du neben Corona ganz vorne mit dabei?
Wir müssen damit rechnen, dass sich bei den Leuten trotz aller Dramatik irgendwann eine gewisse Gewöhnung einstellt. Und wenn sich an der Gesamtsituation für die nächsten sieben Tage nichts groß ändert, werden wir wieder auf andere Themen schauen. Dann fragen wir uns: Was ist mit dem rechten Flügel der AfD? Wenn man den rechten Flügel abnimmt, ist vom Vogel auch nicht mehr viel übrig, aber das nur am Rande. Stand jetzt ist Corona noch allbeherrschend, aber es mengen sich wieder andere Interessen rein. Das sieht man auch in der Unterhaltungsindustrie.
Woran machst du das fest?
Die Leute haben mittlerweile wieder ein gesteigertes Interesse an Unterhaltung und Banalem. Es gibt auch das Gefühl, dass es für manche abends "mit Corona jetzt auch einmal gut ist". Viel Neues zu erzählen gibt es nicht, die Kontaktsperre bleibt, Restaurants und Cafés bleiben geschlossen. Der Unmut wächst. Ablenkung ist gefragt.
"Wir sollten die Leute gleichermaßen für die Situation sensibilisieren, aber auch humorisieren."
Stichwort Unterhaltung: Wie siehst du die Rolle von TV-Machern wie dir in Zeiten der Krise?
Wir sollten die Leute gleichermaßen für die Situation sensibilisieren, aber auch humorisieren. Das ist in unserer hysterieanfälligen Gesellschaft sehr wichtig. Es ist geraten, die Lage nicht zu verharmlosen, aber die viel beschriebene Apokalypse ist ja auch noch nicht da. Also keine Panik: Ihr bleibt schön auf eurem eigenen Balkon und klatscht da und klettert nicht rüber zum Nachbarn, um ihm sein Zeug aus der Bude zu klauen.
Was hat dich persönlich zuletzt denn so richtig amüsiert?
Richtig amüsant fand ich zuletzt den SPD-Mann, der aus Wut auf Adidas sein Poloshirt verbrannt hat. Das war nicht nur alberne Symbolik. Als Sozialdemokrat sollte er wissen, dass sich viele der potenziellen Wähler so eine Pose gar nicht gönnen könnten, schlicht, weil sie höchstens ein gutes Poloshirt im Hause haben.
Viele TV-Shows wurden aufgrund von Corona abgesagt oder grundlegend verändert. Auch, wenn es noch lange hin ist: Könnt ihr schon absehen, wie es um die nächste "Dschungelcamp"-Staffel steht?
Das ist tatsächlich noch ganz weit weg. Jeder, der den Dschungel dieses Jahr verfolgt hat, weiß aber auch, dass wir uns im Januar in Australien noch mit ganz anderen Themen auseinandersetzten mussten. Und interessant ist, dass sich aktuell keiner mehr über die Auswirkungen der Waldbrände schert. Ist es nicht interessant, wie schnell sich alles dreht?
MagentaTV veröffentlicht immer donnerstags eine neue Folge von "Artikel 5". Die erste Staffel ist komplett zum Streaming verfügbar.
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