"Harry Potter: Wizards Unite", die Zauberer-Version von "Pokémon GO", ist seit vergangenem Wochenende in allen App Stores zu haben. Die Marke "Harry Potter" ist seit 20 Jahren schon ein echter Goldesel – kein Wunder also, dass sich Niantic und Portkey Games, die Verantwortlichen dahinter, ordentlich Profit davon erhoffen. So unwahrscheinlich klingt das, zumindest in der Theorie, erstmal nicht. Hey, "Harry Potter GO", geil, oder?
Naaaa...ja. Dieser "Potter"-Fan hier hat das Spiel mal ein wenig auf die Probe gestellt, und so viel sei schon mal verraten: Ja, man kann durchaus unterwältigt sein.
Vorweg am Rande: Ich bin seit zwei Jahrzehnten leidenschaftlicher "Potter"-Fan – wenn ich auch mit J.K. Rowling so meine Probleme habe –, und war im Sommer '16 quasi durchgehend auf Pokémon-Jagd. Die Kombi aus beidem sollte für mich also wie ein wahr gewordener Traum klingen. Aber wie so oft war's wohl zu schön, um wahr zu sein...
Schon der Anfang ist ein kleiner Krampf, denn nach der Installation muss ich das Spiel mehrmals starten. Jedes Mal begrüßt mich ein nicht weichen wollender schwarzer, stummer Bildschirm. Und dann... läääädt es. Und lädt. Und lädt. Bis endlich was passiert, ist mein Handy bereits heiß und ich bekomme eine SMS, die mir freundlich mitteilt, ich hätte 80% meines Datenvolumens für diesen Monat verbraucht. Upsi.
Aber dann geht's los. Ein deutlich gealterter Harry Potter prügelt mit Informationen auf mich ein, die ich versehentlich mit einem Klick überspringe. Naja, der Kontext wird sich schon am Spiel ableiten lassen, oder? (Falsch. Aber dazu komme ich noch.) Erstmal gilt es, sogenannte "Findbare Gegenstände" zu finden.
Der erste davon: Hagrid. Ein... "Gegenstand". Wow, irgendwie respektlos, aber hey, wie dem auch sei: Ich befreie Hagrid, der via AR (Augmented Reality) halb in der Luft, halb über meinem Schreibtisch schwebt, mithilfe eines gekonnten Swipes meines Fingers von Spinnweben (?).
Ohne Witz: Ich habe Hagrid gesammelt und packe ihn in meine Tasche. Von ihm brauche ich nur "1/1", insofern: Yay! In meinem "Register", einem digitalen Stickeralbum quasi, nimmt Hagrid Form und Farbe an und sieht darüber nicht ganz so happy aus. Ich auch nicht, übrigens, denn ich habe direkt eine unheilvoll wirkende "5" auf einem Warenkorb-Symbol oben rechts entdeckt. Online-Shopping wollte ich hier eigentlich nicht betreiben, waah.
Denn weil ich schlau bin, habe ich mich natürlich im Voraus über das Spiel informiert (oder zumindest bei Twitter nach #WizardsUnite gesucht) und erfahren: Dieses Spiel killt dein mobiles Datenvolumen. Von unfassbaren 200 MB pro halber Stunde ist da die Rede, aber es soll eine Lösung geben: Man kann in den Einstellungen im heimischen (oder beruflichen) WLAN einfach "Alle Ressourcen herunterladen".
Und das sind 3,3 GIGABYTE.
Denn jetzt wird's erst richtig spannend! Zu "Harry Potter" gehört schließlich die Einteilung in eines der vier Hogwarts-Häuser. Ich erwarte einen ausführlichen Psychotest, in dem das für mich passende Haus anhand tiefschürfender emotionaler Charakterfragen ermittelt wird.
Aber, äh, nee. Ich suche es mir einfach selbst aus.
Warum auch nicht, schließlich sind Slytherins gemein, Gryffindors Mainstream und Hufflepuffs... eben Hufflepuffs. Ravenclaws sind intelligent und kreativ, wird mir mitgeteilt. Hell yeah! Ich tu' so, als hätte ich mir diese Hauszugehörigkeit in einem Psychotest wirklich verdient und mache mich dann an die Registrierung meines Zauberstabs. Den ich mir übrigens auch selbst designen kann.
Und natürlich so lang wie möglich, denn jeder weiß, dass die Länge alles ist, was zählt. Jetzt geht's dann bloß noch um ein schickes Foto für meine Ministeriumsakte, denn ich bin... freiwilliger Auror? Ministeriumspraktikantin? Nein, "Unterstützer des Geheimhaltungsstatuts"! Knackiger Titel, den ich nicht ändern kann. Supi.
Ich schieße also ein ausgesprochen attraktives Selfie, verpasse mir digital ein paar sexy Accessoires und habe dann eine beeindruckend stylische Akte. AUF IN DIE SCHLACHT GEGEN... ich weiß es nicht. Ich habe nicht genau mitgelesen, als Harry es mir am Anfang erklärt hat.
Scheinbar bekommt jeder Häuserblock in der Kartenwelt, die effektiv genauso aussieht wie bei "Pokémon GO" (kein Wunder, beides Niantic), eine Kategorie zugeteilt, anhand der die Künstliche Intelligenz dann entscheidet, welche Gegenstände dort auftauchen. Unsere Redaktion gehört den "Dunklen Künsten" an. (Okaaay...?)
Sie heißt Constance Pickering, ist mir völlig unbekannt, aber sehr sympathisch, denn sie liebt komplizierte, verschachtelte Nebensätze mit möglichst vielen Kommata.
Und sie haben sich so lieb, dass sie komplett vergessen, dass ich existiere – und eeeewig lange Dialoge vor meiner Nase halten.
Die begegnet mir dann auch schnell. Sie ist zwar nämlich die krasseste Hexe, die die Welt je gesehen hat, verbringt ihre Zeit aber scheinbar damit, reisende Ministeriums-Praktikanten wie mich darüber zu informieren, wo ich was zu futtern bekomme. Danke, Hermine, aber mach lieber was BEEINDRUCKENDES!
Das geht in diesen... Shit. Wie heißen sie? Ich habe es vergessen, aber sie sehen so aus:
Schwierigkeitsgrad: 71. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das bedeuten soll, aber es klingt erstmal eher schwierig. Puh, na, vielleicht bekomme ich noch Unterstützung von anderen Spielern, die hier sonst so bei 35 Grad durch die Straßen Berlins ziehen! Aber... sie hätten dazu nur 13 Sekunden Zeit. Nee, das wird nichts.
Nicht schlimm, "Ichbinskeptisch" wird das schon rocken. Das bin übrigens ich und aus mir unersichtlichen Gründen musste ich mir einen Namen und einen Spitznamen geben. Das hier ist Letzteres, denn ja, ich bin skeptisch. Und kapiere nicht, warum das Spielersymbol neben meinem Namen nicht a) mein Spielerfoto oder zumindest b) Ravenclaw-blau ist.
Als hätte das Spiel nicht ohnehin schon genug Menüs, Items, Ingame-Währungen und Dialog-Pop-ups, wird mir hier nun noch die Aufgabe aufgedrückt, einen Runenstein für mein bevorstehendes episches Duell auszuwählen. Keine Ahnung, was das heißen soll, aber yeah, Runensteine!!!
Ich muss gestehen: Diese Kämpfe sind bisher mein persönliches Highlight im Spiel. Es ist nicht so, als würde ich jubelnd und stöhnend vorm Handy hängen, aber immerhin finde ich es ganz... nett. Mithilfe meines Fingers muss ich vorgemalte Formen auf dem Display nachzeichnen, um anzugreifen oder mich zu verteidigen. Also immerhin ein bisschen anspruchsvoller als die "Pokémon GO"-Kämpfe.
Es gibt verschiedene Zauber und damit auch verschiedene Bewegungen, die ausgeführt werden müssen, und das bringt zumindest etwas Abwechslung in den Kampf. Wer hier jetzt aber ein legendäres Kampfsystem mit auswendig zu lernenden Tastenkombis à la "Mortal Combat" erwartet, wird enttäuscht.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Zumindest vorerst habe ich die magische Community mit meinen überlegenen Kampf-Skills gerettet und kann mich wieder auf die Sache nach "Findbaren Gegenständen" machen. Die übrigens gefühlt nur sehr selten echte Gegenstände sind, sondern irgendwelche Leute. So wie dieser böse aussehende Henker, dessen Beinfessel ich mittels Alohomora lösen muss (hä, warum?), bevor ich ihn mir in meine Sammeltasche stecke. Gotta catch them all!
Seht euch bitte diesen fast perfekten Zauber an. Hermine kann einpacken, ich bin die Queen in Zauberkunst.
Oder versuche es zumindest. Leider stürzt mein Spiel mittendrin ab und ich darf Hedwig hilflos dabei zusehen, wie sie immer und immer und immer wieder ihre Runden in diesem Tornado dreht.
Der verwandelt sich vor meinen Augen in eine Gummiente, weil... darum. Die Gummiente mache ich aber fertig, Arthur verwandelt sich zurück und auch er findet schließlich seinen Platz in meinem Stickerheft.
Denn der arme Mann wurde offensichtlich viergeteilt und ich darf die einzelnen Stückchen, oder "Fragmente", nun aufsammeln. Heilige Sch****, ist das brutal hier.
Beim ersten Ei/Schlüssel muss ich schon fünf Kilometer laufen?! Was zur Hölle, dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Ihr werdet nie erfahren, was aus meinem Portschlüssel schlüpfte, denn für fünf Kilometer ist es heute echt zu heiß.
Denn natürlich gibt's NOCH EIN Menü, diesmal für Tränke. Hier haue ich die ganzen Zutaten, die irgendwo auf der Straße rumliegen, in einen Kessel und kann dann coole Sachen brauen. Die brauchen aber so ihre Zeit. Die ganz Ungeduldigen können den Vorgang mit Münzen beschleunigen, und wenn die mal ausgehen, kann man auch echtes Geld ins Handy stopfen. Das ist doch mal eine sinnvolle Taschengeld-Anlage, Kinder!
Und liefern mir Erklärungen, die irgendwie ein bisschen zu spät kommen. Egal, learning by doing!
Fassen wir es kurz: Nicht sehr aufregend. Wer sich gewünscht hatte, hier eine detailreiche Ergänzung der "Potter"-Story zu bekommen, wird zwangsläufig enttäuscht werden. Zwar bietet "Wizards Unite" durchaus mehr Handlung als "Pokémon GO" – letztlich geht es aber eben doch hauptsächlich darum, durch die Straßen zu ziehen, "Findbare Gegenstände" aufzuspüren, mit diesen sein Sammelalbum zu füllen und zwischendurch ein paar Bösewichte zu bekämpfen.
Und das ist, zumindest für mich, das größte Problem an "Wizards Unite": Im Gegensatz zu "Pokémon GO" bietet sich das Ursprungsmaterial hier eben nicht für das Spielkonzept "Rumlaufen und Sammeln" an. In "Harry Potter" wurden höchstens Horkruxe gesammelt; in "Pokémon" hingegen ging es von Anfang an nur um das "Schnapp sie dir alle!".
Ja, auch "Pokémon GO" kassierte anfangs (berechtigte) Kritik – insbesondere bezogen auf die fehlenden Spielerkämpfe, die später nachträglich eingeführt wurden. "Wizards Unite" fühlt sich aber, trotz seines kampflastigeren Gameplays, deutlich leerer an – eben weil man merkt: Hier versucht eine große Marke, auf der Erfolgswelle einer anderen per Huckepack mitzutreiben, indem die Story eben auf Teufel komm raus so angepasst wird, dass à la "Pokémon" gesammelt werden kann.
Und, sorry, aber das hat mit "Harry Potter" wenig zu tun.