Es sind beängstigende Zeiten, in denen wir leben. Der Krieg in der Ukraine findet kein Ende, der Nahostkonflikt eskaliert immer weiter. Gleichzeitig rüstet Deutschland auf und ein "zunächst" freiwilliger Wehrdienst soll her. Ob mein kleiner Bruder, wenn er in einigen Jahren volljährig wird, aufgrund einer Wehrpflicht in den Krieg ziehen muss, ist für mich nicht ausgeschlossen.
Ausgerechnet in dieser Zeit kommt nun ein Kriegsdrama in die Kinos: "Warfare" ("Kriegsführung") ist einer der am heißesten antizipierten Filme des Jahres. Meine erste Reaktion war: nicht noch ein Kriegspropagandafilm.
Ich liege wohl falsch, es soll kein Propagandafilm sein, zumindest soll es in dieser Geschichte kein "gut" und "böse", keine Heldenreise und kein Happy End geben. Stattdessen soll er einen ungeschönten Blick auf die Gräuel des Krieges geben.
Erschreckend realistisch soll er die Geschehnisse einer US-Einheit während des Irakkrieges im Jahr 2006 nacherzählen. Gestartet wurde der Krieg von den interventionistischen Fantasien des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, der damit den "Krieg gegen den Terrorismus" nach 9/11 auf die nächste Eskalationsebene heben wollte. Es artete aus in einen tödlichen, völkerrechtswidrigen Krieg, der noch heute weltweit seine Folgen zieht.
Geschrieben nach den Erinnerungen des Kriegsveteranen Ray Mendoza, mit Unterstützung des Oscar-nominierten Alex Garland, wird "Warfare" von Kritiker:innen gefeiert und auf Tiktok geyhped.
Für diese Aufmerksamkeit gibt es meiner Meinung nach vor allem einen Grund: Manege frei für einige Lieblinge der Hollywood-Filmindustrie – und des Internets.
Sie alle vereint kometenhafte Aufstiege als junge Schauspieler. Und ihre Karriere steht gerade erst in den Startlöchern: Co-Hauptdarsteller Joseph Quinn wird in drei kommenden Marvel-Filmen mitspielen und in den vier Beatles-Biopics die Hauptrolle des George Harrison übernehmen. Ein künftiger Weltstar also, wie alle in diesem Cast.
"BBC" erklärte Mendoza und Garland ganz naiv, sie hätten eine Reihe an "Internet Boyfriends" gecastet. Die beiden tun überrascht, springen aber sofort in die Defensive: Sie seien natürlich großartige Schauspieler, aber man hätte sie ausgewählt, weil sie die "Richtigen" gewesen seien. Richtig für diesen Film zu sein, hieß laut den Macher:innen die absolute Bereitschaft, zu leiden.
Dass die Darsteller schön anzusehen sind, hat die Vermarktung sicherlich vereinfacht. Denn auf Social Media drehen User:innen durch. Ein Kommentar trifft es auf den Punkt: "Mir egal, worum es in dem Film geht, Tickets bitte."
Man könnte meinen, für die Macher:innen eines Kriegsdramas würden diese Kommentare bitter aufstoßen. Stattdessen wird dieser geschmacklose Clickbait von ihnen sogar in die Höhe getrieben.
Denn A24 weiß sehr genau, wie die Werbetrommel zu drehen ist. Nicht grundlos ist es das erfolgreichste, unabhängige Produktionsstudio. Jede Filmvermarktung verfolgt A24 mit innovativen Methoden und im Falle von "Warfare" schwingt eine klare Botschaft mit: "Sex sells", auch wenn es um den völkerrechtswidrigen Irakkrieg geht.
Es geht die gesamte Pressetour darum, wie toll sich die Schauspieler verstanden haben. Und dann präsentieren alle ihre Partnertattoos von einem Song, den die tatsächlichen Soldat:innen der Mission hörten, bevor sie in die echte Schlacht zogen. Was für eine tolle Kameradschaft, sie den Zuschauenden doch darbieten.
Ein Kuss zwischen den Co-Stars Charles Melton und Kit Connor verdrängt schließlich endgültig, dass wir es mit Werbung für einen Kriegsfilm zu tun haben.
Vor dem Hintergrund der Millionen Geflüchteten, den mehr als Hunderttausend Toten und der Destabilisierung der gesamten Region, fällt es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren, was die Produzent:innen mit dem Casting eigentlich aussagen wollen: Das Kriegsthema zieht die Gen Z nicht ins Kino, also sollen die homoerotischen Spannungen zwischen dem Cast das lösen. What the fuck?
Versteht mich nicht falsch, ich habe kein Problem damit, dass diese Schauspieler für diesen Kriegsfilm vor der Kamera stehen. Aber ich habe ein Problem damit, wie wenig sich kritisch damit auseinandergesetzt wird, was der Film eigentlich behandelt.
Immerhin betont Mendoza in einem Interview mit "Fox News", der Film sei nicht dafür gemacht, den Kriegsdienst zu "glorifizieren", stattdessen soll er eine "ehrliche Darstellung" sein, anhand derer Interessent:innen dann eine "fundiertere Entscheidung" treffen können. "Krieg ist manchmal nicht schwarz und weiß", erklärt er.
Da bleibt aber dennoch die Frage: warum klärt der Film dann nicht auf? "Der Irak ist im Moment ein vergessener Krieg in der populären Kultur der USA", sagt auch der Militärhistoriker David Silbey, in einem Interview gegenüber "NBC News". Diesen Film also nicht zu nutzen, um aufzuklären, ist eine verpasste Chance der Macher:innen und ein Hohn allen Opfern des Irakkriegs gegenüber.
Immerhin war der weltgrößte Protest der Geschichte ein Widerstand gegen den Irakkrieg. Weltweit versammelten sich 36 Millionen Menschen, um sich gegen den US-Feldzug zu positionieren.
Will Poulter, einer der Darsteller, findet schließlich gegenüber "PA Media" kritische Worte zum Krieg: "Ich denke, dies ist so ziemlich der Antikriegsfilm, den man sich nur vorstellen kann."
Der Film mag also kein Propagandafilm für Kriegstreiberei sein, gleichzeitig bestärkt er dennoch die westliche Obsession mit Militarisierung und Kriegsdienst. Die Ideologie, die auch mit der Pressetour vorangetrieben wird, ist klar: Im Krieg zu dienen ist das nobelste, was ein Junge tun kann. Ja, Krieg ist hart. Aber die Kameradschaft und die Gewissheit, irgendetwas zu tun, machen es wohl wieder wett. Zumindest dem Film zufolge.
Der Macher erklärt gegenüber "Fox News": "Dort bin ich ein Mann geworden". Klar, alle Männer, die nicht sofort für ihr Land zur Waffe greifen, um im Zweifel auch Zivilist:innen zu ermorden, sind einfach verweichlicht.
Der Film will uns glauben machen, dass er eine ehrliche Darstellung des Krieges ist, aber was er wirklich zeigt, ist, wie einfach es ist, das Grauen zu einem nett-verpackten Film zu machen. Ganz nebenbei wird dann auch noch die amerikanische Militarisierungs-Ideologie verbreitet. Krieg ist nicht sexy. Das ist keine Aufklärung, das ist Geschmacklosigkeit im Filmformat.