
Die Optik von "Rain on Me" erinnert stellenweise an Cyberpunk-Videospiele.Bild: Screenshot Youtube
Musik
29.05.2020, 15:4729.05.2020, 16:06
Na, macht Corona euch auch noch Angst? Bevor ihr mit euren Hamster-Horrorstorys zur Therapeutin rennt, haben wir einen Tipp für euch: Lady Gaga hat am Freitag ihr neues Album gedroppt – und das ist nicht weniger, als tanzbare Traumatherapie.
Stefani Joanne Angelina Germanotta alias Lady Gaga hat schon oft über ihre Traumata gesprochen. Die 34 Jahre alte
amerikanische Popmusikerin sprach über Mobbing, Depressionen,
chronische Schmerzen und eine Vergewaltigung.
Das ist wichtig zu
wissen, wenn man sich ihr neues Album "Chromatica" anhört. Denn die
Verarbeitung dieser Erlebnisse zieht sich durch die Lieder – auch
wenn man das dem Elektropop beim ersten Hören kaum anmerkt.
Zum Beispiel in der Single "Rain on Me", einer Zusammenarbeit mit
Ariana Grande. "I'd rather be dry, but at least I'm alive" (etwa: Ich
wäre lieber trocken, aber zumindest bin ich am Leben), singen die
Musikerinnen und tanzen im Musikvideo durch den Regen, der wohl eine
Metapher für die Tränen der beiden Frauen ist.
Grande hat selbst in ihrer Karriere schlimme Erfahrungen gemacht.
Dass "Rain on Me" am dritten Jahrestag des Selbstmordattentats
veröffentlicht wurde, bei dem am 22. Mai 2017 auf einem Konzert von
Grande in Manchester 22 Menschen und der Attentäter starben, ist
vermutlich kein Zufall. Der Song kommt trotz schwieriger Lyrics gut an bei den Fans, über 61 Millionen Mal wurde er bei Youtube schon gestreamt.
Mit dem Track ist der Grundstein gelegt für das Thema, das
"Chromatica" bestimmt: Tanze mit dem Schmerz und mache ihn dadurch
erträglich. Ein Album wie eine Therapie.
Wer Lady Gaga kennt, weiß aber, dass Theatralik zum Gesamtkunstwerk gehört, und so ist es neben der Botschaft auch das
Visuelle, das "Chromatica" charmant macht.
In den ersten beiden Musikvideos feiert Gaga eine 90er-Jahre-Ästhetik
mit Neonfarben, Plateaustiefeln und Latex. "Stupid Love" sieht aus
wie ein Retro-Videospiel. Ein rotes und blaues Team kämpfen in der
Wüste gegeneinander, bis Gaga sie mit ihren pinkfarbenen "Kindness
Punks" zum Schweigen und letztlich zum gemeinsamen Tanzen bringt.
Das könnte ein politischer Kommentar sein, sagte Gaga im Interview
mit dem Apple-Music-DJ Zane Lowe. "Die Art, wie ich die Welt sehe
ist, dass wir gespalten sind, und das sorgt für eine sehr angespannte
Umgebung, die sehr extremistisch ist."
Safe-Space-Popmusik
Interessant ist auch hier die Verarbeitung von Traumata, die noch
durch die schmissigsten Beats dringt. "Gotta quit this cryin',
nobody's gonna heal me if I don't open the door", heißt es in "Stupid
Love" an einer Stelle (etwa: Ich muss mit dem Weinen aufhören,
niemand wird mich heilen, wenn ich nicht selbst das Tor öffne).
In dem Lied "911" singt Gaga, wie sie ebenfalls im Interview mit Lowe
erläuterte, über die antipsychotischen Medikamente, die sie nimmt.
Dahinter stecke das Konzept der "radikalen Akzeptanz", so die
Musikerin:
"Ich weiß, dass ich mentale Probleme habe, ich weiß, dass diese manchmal dazu führen, dass ich nicht funktioniere als Mensch, aber ich akzeptiere, dass das geschieht."
Lady Gaga betont in Interviews immer wieder, dass Selbstliebe und
Güte ihr Schaffen motivierten. Nebenher betreibt ihre "Born This
Way"-Stiftung neuerdings eine digitale Plattform, auf der junge
Menschen etwa ihre Erfahrungen mit Mobbing schildern können.
Dahinter mag Marketing-Kalkül stecken. Doch es gibt selten
Popmusikerinnen, die so offen Themen wie Psychopharmaka, psychische
Gesundheit oder sexuelle Gewalt ansprechen. In Zeiten, in denen etwa
Mobbing im Internet erschreckend weit verbreitet ist, ist es deshalb
eine gute Geste, wenn Popstars ihrem Millionenpublikum sichere
digitale Räume schaffen oder ermächtigende Botschaften mit auf den
Weg geben.
(pcl/dpa)
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