Am 1. November begann der Lockdown light, eigentlich sollte er nur einen Monat andauern. Aber schon bald kam die Verlängerung und am 16. Dezember dann der harte Lockdown. In der vergangenen Woche wurde die Verschärfung der Regelungen beschlossen und nochmal bis Ende Januar verlängert.
Zwar hat der Lockdown das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen verhindert, aber wirklich gesenkt hat er die Zahlen nicht. "Länger, härter, einfallsloser: Wie sinnvoll ist der Dauerlockdown?", diese Frage stellt Frank Plasberg bei "Hart aber fair" und diskutiert mit folgenden Gästen:
Der Ton in den Corona-Diskussionen wird rauer. Nach Impf-Problemen, und Dauerlockdown ist immer mehr Kritik am Pandemie-Management der Bundesregierung zu hören. Und in diese Kerbe schlägt auch Frank Plasberg mit seiner Sendung. Unter seinen fünf Gästen sind gleich drei, die die Arbeit der Regierung äußerst kritisch sehen.
Allen voran der Virologe Alexander Kekulé. Zoff per Twitter gab es immer mal wieder zwischen ihm und dem Virologen Christian Drosten, der zu den entscheidenden Ratgebern der Bundesregierung gehört. Diesen Hintergrund sollte man kennen, um einordnen zu können, wenn Kekulé gegen die Arbeit der Bundesregierung in den vergangenen Monaten stichelt: "Die Exekutive war mir zu mächtig, weil sie auch teilweise nicht gut beraten war."
Zack, wieder ein kleiner Seitenhieb gegen Christian Drosten. Kekulé plädiert hingegen für ganz genau zielgerichtete Lösungen. "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es notwendig ist, jeden Kontakt zu unterbrechen, sondern nur gefährliche Kontakte." Wenn die Unterscheidung da so einfach wäre ...
Kekulé ist ein bisschen die trotzige Opposition unter den Virologen: Er kritisiert oft, wusste meist alles vorher besser und das alles im Schutz des Nichthandelnmüssens. Aber das heißt nicht, dass es sich nicht lohnen würde, seine Vorschläge mal zu durchdenken. Er empfiehlt: Die Alten schützen, Maskenpflicht in allen Büros und eine privatwirtschaftlich organisierte Nachverfolgung der Kontakte, zusätzlich zu den überlasteten Gesundheitsämtern.
Außerdem rüttelt er an der Fixierung allein auf die Inzidenz-Zahl: Wenn weniger Ältere aus der Risikogruppe erkranken, könne man es sich leisten, den Inzidenzwert höher wachsen zu lassen, weil dann trotzdem nicht so viele Intensiv-Betten belegt würden. Andersherum spekuliert er, wenn der Inzidenzwert wirklich von derzeit 167 auf 25 oder noch niedriger gebracht werden solle, wie von einigen Virologen und Politikern gefordert, werde der Lockdown bis Juni oder Juli dauern müssen.
Auch die Journalistin Susanne Gaschke ("Die Welt") ist äußerst unzufrieden mit dem Corona-Management der Bundesregierung. "Ich bin es leid, dass die Regierung ihre Aufgaben zurück delegiert an die Bevölkerung" und die Begründung der steigenden Zahlen mit dem Vorwurf: "Ihr wart nicht brav" weist sie ebenfalls zurück. Die Probleme seien "selbstgemacht" und die Politik in der Verantwortung, weil es auch nach einem knappen Jahr Pandemie noch keine Alternativ-Strategie zum Lockdown gebe. Man müsse sich fragen, ob die hohen Inzidenzen der eigentliche Feind seien. Wie auch Kekulé sieht sie vor allem die Älteren gefährdet, und vor allem die müsse man schützen:
Die Infektionszahlen auf null senken, "klappt nicht in einer offenen Welt", glaubt sie hingegen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther sieht bei der Bundesregierung "Kurzschlusspanik" statt "planvollem Handeln". Die Bundesregierung habe versäumt, auch andere Strategien neben dem "Vorschlaghammer" Lockdown zu entwickeln. Die Corona-App sei eine "Investruine" und das Gesundheitsamt noch immer überfordert. Er ist sich sicher: "Es wird zur Verlängerung der bestehenden Beschlüsse kommen." Und dann macht er das, was zuletzt außer bei Corona-Leugnern verpönt war: Er greift zur Grippe als Vergleich und plädiert für die Akzeptanz von Todeszahlen. 25.100 Grippe-Tote habe es 2017 gegeben, und darüber sei nicht öffentlich diskutiert worden. Niemand der Anwesenden protestiert oder entrüstet sich.
Wie tödlich Corona ist, weiß Cihan Celik, Lungenfacharzt auf der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt, sehr gut von der Arbeit auf seiner Station. Bei Plasberg schildert er seine Covid-Erkrankung, wie er es vor sechs Wochen auch schon bei Sandra Maischberger getan hat. Er ist 34 Jahre, fit, hat keine Vorerkrankungen und doch landete er in nur 72 Stunden auf der Intensivstation.
Solche Fälle sind es denn wohl auch, die die Politik zu restriktiven Regeln motivieren. Aber auch Rheinland-Pfalz‘ Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die als einzige die Position der Regierung bei Plasberg verteidigt, gesteht: "Der Lockdown macht mürbe."
Sie kenne niemanden, der keine negativen Wirkungen spüre, sagt Dreyer. Sie gibt zu, dass sie als Ministerpräsidentin auch nicht immer von allen Regelungen zutiefst überzeugt ist. "Es gibt manchmal auch Regelungen, die trägt man einfach mit." Gegen Ende rutscht ihr aber einmal kurz die Politikerprofessionalität beiseite und sie sagt in einer Mischung aus Empörung und Ermattung: "Leute, wir überlegen uns immer wieder, was wir tun."
Die Diskussion hat gezeigt, dass die Erwartungshaltung an die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin wächst, sich beim nächsten Treffen am 25. Januar etwas Besseres auszudenken, als nur eine weitere Verlängerung des Lockdowns.