Sowohl in der Migrationskrise an der EU-Außengrenze, als auch bei den steigenden Coronazahlen und den Versäumnissen im Klimaschutz, könne man nach der Sendung von Markus Lanz resümieren: Die Dringlichkeit der Fragen ist erkannt, wie der geschäftsführender Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ausdrückte. Doch der Weg zu Lösungen scheint schwer – besonders in der Pandemie wurde im Sommer erneut zu viel versäumt, sagt Intensivmedizinerin Carola Holzner und für die Klimakrise findet Autor Frank Schätzing noch deutlichere Worte: "Man muss von einem globalen politischen Vollversagen sprechen."
Das waren die Gäste bei Markus Lanz am Dienstagabend:
An der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus spitzt sich die Situation mit Tausenden gestrandeten Migranten weiter zu. "Wir werden den Polen helfen und wir sind als Europäische Union dazu bereit", sagt der geschäftsführende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Man müsse die Grenze sichern, sowie auch humanitären Verpflichtungen nachkommen. Wird beides klappen, fragt Lanz nach. Konkret wird Altmaier, der von 2015 bis 2018 Flüchtlingskoordinator war, aber nicht. "Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Diktator wie Lukaschenko darüber entscheidet, wie viele Menschen nach Deutschland kommen."“ Sein Verhalten sei völkerrechtswidrig, die Bilder von der Grenze "menschlich anrührend".
Politikjournalistin Claudia Kade bemängelt, dass Polen derzeit keinen Rückhalt von der Bundesregierung und der EU bekäme. Das werde sich ändern, so Altmaier, man sei aktiv in Gesprächen mit Polen. "Man müsste auch Putin in den Blick nehmen", sagt Kade, die das Politikressort der "Welt" leitet. Die EU, auch Fluggesellschaften, könnten sanktionieren. Das werde derzeit untersucht und soll mit 26 Ländern in der EU einstimmig entschieden werden, sagt Altmeier. Aber: "Die Dringlichkeit der Frage ist erkannt."
Schon leitet Lanz zum Thema der Stunde – Deutschland verzeichnet derzeit die höchsten Infektionszahlen seit Beginn der Pandemie, die Boosterimpfungen laufen nur schleppend an, die Impfquote stagniert weiter bei etwa 70 Prozent. Die Politik scheint für diesen Winter keinesfalls gewappnet. "Man kommt sich vor wie in einer Endlosschleife an Zitaten wie ‚Wir konnten es nicht ahnen‘," sagt Kade. Die Aussage des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetscheks, dass die Dynamik nicht vorhersehbar war, bezeichnet sie als "irgendwo zwischen Wählerverarsche und intellektueller Unterforderung." Es gab genug Warnungen, räumt Altmaier ein, allen voran von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Trotz der dramatischen Lage hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Altmaier nennt ihn einen "guten Freund und Kommentator", dafür plädiert, die pandemische Lage auslaufen zu lassen, die Ampel-Parteien das bekräftigt. "Ich habe das trotz aller Solidarität zu meinem Freund kritisiert – es wäre das falsche Signal."
Spahns Kommunikation fördere nicht gerade Vertrauen und bringe die Menschen durcheinander, dabei sei die Lage verheerend, sagt Carola Holzner, Oberärztin am Duisburger Klinikum. Autor Frank Schätzing stimmt zu: Über solche Debatten sprechen, könne man nicht mit unklaren "Hintergrundsätzen" wie Spahns.
Altmaier findet, dass über eine Impfpflicht für bestimmte Berufe bald entschieden werden müsse. Für welche, will Lanz wissen? Das beantwortet Altmaier nicht, schließlich sei dafür nun die Ampel verantwortlich. Holzner schüttelt nur den Kopf – sie finde eine Impfpflicht im Gesundheitswesen für richtig. "Wir müssen darüber diskutieren, ob eine Impfung in einer nationalen Notlage noch Privatsache ist", sagt Schätzing. Sei sie nicht, scheint die einstimmige Meinung der Runde zu sein.
Ab einer bestimmten Inzidenz müsse man über ein flächendeckendes 2G nachdenken, sagt Altmaier, so wie es bereits in Sachsen kürzlich festgelegt wurde. "Das war eine mutige, aber auch richtige Entscheidung." Dann kommt Altmaier ins Stottern: Die Bundestagswahl habe in gewisser Weise von Corona abgelenkt, doch vor allem Spahn habe natürlich immer auf die Wichtigkeit der Impfung hingewiesen, betont er.
Über die Boosterimpfung, über Impflicht für Pflegepersonal, habe kein CDU-Politiker gesprochen, wirft Kade ein. Das war im Sommer auch noch kein Thema, rechtfertigt sich Altmaier. "Ja, warum denn nicht?", wirft Kade ein. Auch die Bundestagswahl würde einen nicht davon abhalten, einen Plan zu entwerfen, wenn führende Virologen auf Gefahren in der Entwicklung hinweisen würden, so Holzner. "Es gibt nicht diesen einen Masterplan"“, redet sich Altmaier heraus. Kein Land hätte diesen gefunden – und führende Wissenschaftler hätten ja zudem auch nicht die eine Meinung.
Ein weiteres politisches Versäumnis, zeigt sich auch beim dritten Thema des Abends. Dass Angela Merkel schon 1995 vor den Folgen der Erderwärmung warnte und sie bei der aktuellen Weltklimakonferenz 26 Jahre später mitteilen musste, dass die Bemühungen der Länder nicht ausreichen werde, ist ein "Eingeständnis politischen Scheiterns", resümiert Schätzing.
Nun müsse man bis 2030 raus aus allen fossilen Energien und allen Subventionierungen und eine Vollversorgung durch erneuerbare Energien schaffen – nur dann könne Deutschland volkswirtschaftlich noch haltbar sein.
300 bis 400 Milliarden habe man bereits für erneuerbare Energien ausgegeben, verteidigt sich Altmaier. Solarenergie gehe sehr gut voran, sagt er, bei den Windrädern liege das langsame Tempo am langen Genehmigungsverfahren und dem Widerstand der Bürgerinitiativen. Doch er ist zuversichtlich: "Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich knapp 2 Gigawatt an Windkraftenergie neu in Betrieb genommen haben", sagt Altmaier. Wie viele Windräder das sind, könne er auf Nachfrage von Lanz aber nicht sagen. "Ich kann das gerne auf Twitter morgen mitteilen", setzt er dann hinterher.