Der Impfstoff – der Heiland? Diese Frage stellt sich nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt. Am 21. Dezember soll der Impfstoff aus der deutsch-amerikanischen Kollaboration Biontech/Pfizer die europäische Zulassung bekommen, noch in diesem Jahr sollen die ersten Impfungen erfolgen. Doch wie gut ist das Mittel? Darüber diskutierten in der letzten Sendung von "Maybrit Illner" im Jahr 2020 folgende Gäste:
"Wir können davon ausgehen, dass dieser Impfstoff sicher ist", ordnet SPD-Mann Karl Lauterbach das Biontech/Pfizer-Mittel ein und setzt noch einen drauf:
Seiner Meinung nach hätte es die Zulassung aber auch noch früher geben können. "Wenn der Impfstoff in Pflegeeinrichtungen früher zur Verfügung gestanden hätte, hätte der ein oder andere den Impfstoff bekommen und sich nicht mehr infiziert", sagt der Gesundheitspolitiker.
Ein Impfstoff bringt allerdings wenig, wenn keiner sich impfen lassen will. Und die neuesten Umfragen zum Thema Impfbereitschaft sind ein wenig ernüchternd – seit dem Frühjahr sei sie stetig gesunken, teilte die Ständige Impfkommission der Bundesregierung kürzlich mit. Vor allem bei medizinischem Personal ist die Bereitschaft überraschend gering. Nicht zur Freude von Lauterbach.
Er verstehe die Zurückhaltung vieler Ärztinnen und Ärzte nicht, sei sich aber sicher, dass sich das noch ändern wird.
Die geringe Impfbereitschaft könnte aber auch damit zusammenhängen, dass sich noch kaum jemand wirklich über die Impfung und den Impfstoff aufgeklärt fühlt – und das, obwohl es in den nächsten zwei Wochen schon losgehen soll. Abhilfe könnte eine Impf-Werbekampagne schaffen, die auch in Planung sei, wie Karl Lauterbach verrät. Ob das allerdings reicht, um die Bereitschaft deutlich zu steigern, darf zumindest bezweifelt werden.
Denn oft sei es vor allem der Faktor Vertrauen, der Menschen dazu bringe, die Impfung machen zu lassen, wie der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit erklärt. Und dafür brauche es die richtigen Personen. Diese Meinung vertritt auch die Ethikerin Christiane Woopen. Eine solche Kampagne habe vor allem Erfolg...
Und damit meint sie nicht in erster Linie Politiker und Wissenschaftler. Sie erzählt vom Beispiel Angelina Jolie, die eine große Zahl von Frauen in den USA dazu animiert hatte, sich gegen Gebärmutterhalskrebs impfen zu lassen.
Die Anregung von Christiane Woopen ist eine, die bislang zumindest in der Öffentlichkeit noch viel zu selten diskutiert wurde.
Doch wie sind wir überhaupt in diese Lage geraten, dass der Impfstoff als vielleicht einziger Weg aus der Lockdown-Spirale angesehen wird? Und: Wer hat Schuld an dem neuesten Hammerhart-Lockdown?
Das bringe niemanden weiter, Schmidt-Chanasit plädiert für eine konstruktive Debatte auf Basis wissenschaftlicher Fakten. Na gut, dann halt dieser Weg. Mittlerweile gibt es zumindest zum Thema Lockdowns nämlich immer mehr Erkenntnisse. Ein Beispiel: Eine Studie verschiedener großer Forschungseinrichtungen, darunter zum Beispiel die US-Universität Harvard, hat nun verlässlich gezeigt, dass es ohne die Schließung von Schulen und Universitäten schwierig ist, ein Infektionsgeschehen mit einem Lockdown zu brechen.
Doch diese Erkenntnis gab es nicht immer – was dazu führte, dass Gesundheitsminister Jens Spahn Anfang September noch davon sprach, die Schulen beim nächsten Lockdown nicht mehr schließen zu wollen. Nun sind die Schulen wieder zu, zumindest die Präsenzpflicht ist ausgesetzt. Auch alle Einzelhandels-Geschäfte sind zu, Deutschland ist seit Mittwoch heruntergefahren.
Ethikerin Christiane Woopen möchte die Lockdown-Zeit dafür nutzen, um Massentests auf das Coronavirus in Deutschland durchzuführen.
Mit dieser Methode sei es in einigen Regionen der Welt bereits gelungen, die Zahl der Neuinfektionen drastisch zu senken. Aber es scheint ein Problem zu geben, stellt zumindest Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans fest.
"Die Kapazitäten von Tests sind begrenzt", sagt Hans. Doch da schüttelt Christiane Woopen vehement den Kopf. "Stimmt nicht", wirft sie ein, lässt Hans aber in der Folge ausreden. Dann antwortet sie, dass es durchaus genug Tests gebe – wenn man die Antigen-Schnelltests mit berücksichtige.
Ihr Vorschlag: Mit einer Kraftanstrengung des Bundes über die Zeit des Lockdowns könne es gelingen, alle Menschen in Deutschland einmal durchzutesten. Sie verweist auf den Harvard-Forscher Michael Mina, der die Bedeutung von Tests ebenfalls immer wieder betont hatte.
Aber offenbar anders, als Woopen es dargestellt hatte – sagt zumindest Karl Lauterbach, der sich dann einschaltet. Er hält eine einmalige Massentestung für keine gute Idee und erklärt auch gleich warum. Zwar seien die Tests hilfreich, so ein Vorhaben könne aber leicht nach hinten losgehen.
Denn wenn Menschen negativ getestet würden, würden sich viele sicherer fühlen und dann möglicherweise risikoreicher in ihrem Umgang mit anderen sein. Sicher sei eine Testung nur, wenn sie zweimal pro Woche durchgeführt wird – und dafür reiche die Menge der Schnelltests auf gar keinen Fall. Eine Massentestung hätte deshalb lediglich die Wirkung eines "Strohfeuers". "Das ist auf jeden Fall nicht die Denkweise von Michael Mina", fasst Lauterbach zusammen und setzt dabei noch einen Seitenhieb auf Woopen, die sich ja als erste auf Mina bezogen hatte.
Dann wird Lisa Federle zugeschaltet. Die Notärztin aus Tübingen ist in ihrer Stadt dafür verantwortlich, dass sich seit Monaten Menschen kostenlos testen lassen können und ältere Menschen nicht mehr mit dem Bus fahren müssen, weil sie Taxigutscheine bekommen. Für sie ist es unverständlich, warum diese Vorgehensweise nicht überall im Land umgesetzt wird.
Stattdessen habe die Politik versucht, es mit dem "Lockdown light" möglichst der ganzen Bevölkerung recht zu machen. "Letztlich haben wir es dem Virus besonders recht gemacht", ist ihr bitteres Fazit.
Apropos Tübingen, wo Boris Palmer Oberbürgermeister ist. Ein Punkt war Lauterbach noch wichtig, wie er anmerkte. "Wenn ich Boris Palmer höre, dann entsteht oft der Eindruck, dass wir damit uns den Lockdown hätten sparen können. Das ist falsch", sagt Lauterbach.
Dann schildert er eine Beobachtung, die ihm Sorgen macht. Es geht um eine Entwicklung bei der Altersstruktur der schweren Corona-Fälle.
"Wenn wir zum Beispiel jetzt in die Charité gehen: Das durchschnittliche Alter des Patienten, der auf der Intensivstation um sein Leben ringt, ist 61 Jahre." Das sei in Köln genauso. "Das Alter hat sich verschoben. Wir haben jetzt die mittleren Lebensphasen, die mit Risikofaktoren, aber teils auch ohne, massiv befallen sind." Er möge daher die Diskussionen nicht, die einen harten Lockdown in Frage stellen.
"Wir brauchen den harten Lockdown. Ich würde sogar noch weitergehen. Ich würde den Lockdown so lange runterfahren, bis wir auf eine Inzidenz von 25 pro 100.000 pro Woche kommen, so dass wir einmal Ruhe reinbringen und dann bis zur Durchimpfung wirklich mal das Geschehen kontrollieren", so Lauterbachs Appell.