Die Generation Merkel war am Donnerstagabend Thema in der Runde bei "Maybrit Illner" – die Menschen, die ein Deutschland ohne Angela Merkel an der Spitze kaum kennen. Nun stehen sie vor großen Herausforderungen: Deutschland muss klimaneutral, die digitale Infrastruktur ausgebaut, die Rentenaussichten stabiler und die Gesellschaft sozial gerechter werden. Das bewegt die junge Generation nicht nur, es betrifft sie auch meisten.
Diese Gäste diskutierten am Donnerstagabend in der Talkshow-Runde von "Maybrit Illner":
Für knapp drei Millionen Wählerinnen und Wähler ist diese Bundestagswahl die erste und für viele weitere Millionen auch die erste nach Merkel. Grundsätzliches wurde während ihrer Amtszeit nicht angepackt, sagt Sarah-Lee Heinrich von der "Grünen Jugend". Merkel als Krisenmanagerin? So könne man sie nicht wirklich betiteln, findet Heinrich. Jessica Rosenthal, Bundesvorsitzende der Jusos, stimmt zu: "Wir haben vieles verschlafen."
Verschlafen haben vor allem die älteren, die Boomer, die "Turbo-Umweltsünder", wie es oft heißt. "Wir haben auf den Kosten der jungen Generation gelebt", gibt Journalist Hajo Schumacher zu. Man hätte es schon früher besser wissen müssen, welche Folgen der ökologische Fußabdruck eines jeden Einzelnen haben würde. Aber richtig viel hat sich offenbar noch nicht geändert – geschlafen wird noch immer. "Wir kennen die Herausforderung, aber wir reagieren zu langsam," so Schumacher.
Journalist Mirko Drotschmann war frischer Abiturient, als Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde. Er soll Illner das größte Versäumnis der Kanzlerin nennen. Die Digitalisierung, sagt Drotschmann, der den Youtube-Kanal "MrWissen2Go" betreibt. Sein Resüme: "Angela Merkel war und ist eine Kanzlerin der Stabilität – sie regiert für das Heute." Dabei habe sie zu wenig an das Morgen gedacht, an soziale Gerechtigkeit, den Klimaschutz, die digitale Infrastruktur.
Es gehe um viel, der Klimawandel stehe dabei an oberster Stelle, sagt Christoph Ploß, Landesvorsitzender der CDU in Hamburg. Nun müsse man sich entscheiden, wie Deutschland klimaneutral wird. "Verbote, Gängelung, Bevormundung" seien falsch, argumentiert Ploß im typischen Unions-Jargon gegen die Grünen. Seine Partei bevorzuge dagegen Innovationen und die freie Marktwirtschaft. Ria Schröder von der FDP ist ähnlicher Meinung: Es gehe um Innovationen, die nicht nur Deutschland klimaneutral machen, sondern global zum Klimaschutz beitragen. Sie bringt die schnelle Entwicklung und Produktion des Impfstoffs von Biontech mit ins Spiel, der "Gamechanger" der Pandemie.
Die beiden Vertreterinnen von SPD und Grüne sehen das anders und argumentieren dabei äußerst ähnlich. Auf den Markt zu setzen und nur auf den CO2-Preis zu schauen, sei nicht maßvoll, findet Rosenthal. "Ich bin kein Fan davon, alles nur über den Preis zu regeln," stimmt Heinrich zu. Das würde dazu führen, dass Politik "unsozial" werde und Teile der Gesellschaft "elendig leben" müssten.
Erneut hetzt Ploß gegen die Grünen-"Verbote". "Sonst wird das Land deindustrialisiert", warnt er. Unternehmen würden in die USA oder China abwandern, wo der CO2-Ausstoß viel höher sei. Weswegen? Innovationen, Innovationen, Innovationen. Es solle einen Wettbewerb der klimaneutralen Technologien geben, der Markt regelt das schon. Vielmehr als Innovation sei im Wahlprogramm der CDU auch gar nicht erwähnt, stichelt Rosenthal.
"Wenn ich Herrn Ploß höre, dann ist das Friedrich Merz, die alten Evergreens, die wir schon seit zwanzig Jahren sehen", findet Schumacher. Die meisten Bundestagsabgeordneten würden nur in kurzfristigen Maßnahmen denken. Eine Legislaturperiode reiche kaum, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten.
Viele Menschen haben immer noch Vorbehalte gegenüber Klimaschutz. Die größte Sorge: Wer soll das alles bezahlen? "Wir diskutieren immer nur darüber, was kostet uns der Klimaschutz, aber nie darüber, was es uns kostet, wenn wir nichts tun", sagt Drotschmann.
Mit den Grünen wird auch alles teurer, wirft Ploß ein. Eine Pflegekraft auf dem Land könne nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, ist deswegen auf ihr Auto, möglicherweise erst neu gekauft, angewiesen. Einen sparsameren Wagen, dann möglicherweise noch ein E-Auto in ein paar Jahren, könne sie sich finanziell nicht leisten. Wenn Pflegekräfte mehr verdienen würden, wäre das anders, kontert Heinrich. Die CDU habe in der aktuellen Regierung viel für steigende Löhne auf den Weg gebracht, argumentiert Ploß dagegen. "Und die Arbeitsbedingungen sind immer noch schlecht", beendet Heinrich den Schlagabtausch.
Nächster Problempunkt: Die Rentenpolitik. Ein Viertel des Bundeshaushalts fließt derzeit in ein Rentensystem, das sich eigentlich selbst finanzieren sollte. Hat Ploß hohe Erwartungen an seine eigene Rente, will Illner von dem CDU-Politiker wissen. Die Rente sei immer abhängig von der Arbeit und dem Beruf, argumentiert Ploß. "Also mir bringt Arbeit Spaß" – Vorschläge hat er zunächst keine. Rosenthal grätscht dazwischen und kritisiert seine Aussage.
Die Bildung sei doch für das alles der Schlüssel, argumentiert Schröder nach ihrer Partei-Leitlinie. Man könne noch so sehr über höhere Sozialleistungen und höhere Renten diskutieren, aber jeder Mensch sei für Bildung und Karriere auch selbst verantwortlich. Doch was bringt das dann, fragt sich Heinrich. Selbst wenn alle jungen Menschen mit dem Abitur ihre Schullaufbahn beenden und studieren, landet ein Fünftel von ihnen im Niedriglohnsektor. "Gute Bildung ist der Weg für gute Löhne", wirft Schröder ein. "Nein, gute Arbeitsplätze sorgen für gute Löhne", widerspricht Heinrich.
Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter? Heinrich und Rosenthal könnten sich ein Rot-Grün-Rotes Bündnis vorstellen. Dass nun Angst vor einem Linkrutsch geschürt wird, könne Heinrich nicht nachvollziehen. In ihrem Umfeld hätten die meisten wohl eher ein Problem damit, wenn man sich nicht genug von der CDU abgrenze wie von der Linkspartei. "Dann sind wir wohl in anderen Milieus unterwegs", wirft Ploß dagegen. Und was ist mit der FDP? Für Jamaika sind die Unterschiede doch sehr gravierend, stimmen alle zu.