"Irrer Streit um Drag-Queen-Lesung", lautet die Überschrift, unter der der neueste Kulturkampf bei "Stern TV" ausgetragen wird. Dieter Könnes moderiert am Sonntagabend eine Sendung, die wieder einmal einiges an Brisanz birgt. "Kann man Kinder schon so früh mit Transsexualität konfrontieren?", fragt der Moderator eingangs.
Das fragt er wegen einer Mitte Juni in der Münchner Stadtbücherei geplanten Kinderbuchlesung, bei der Dragqueen Vicky Voyage, Dragking Eric Big Clit und der Autorin Julana Gleisenberg Kindern ab vier Jahren vorlesen. Sie würden aus drei Büchern, in denen kindgerecht Genderrollen aufgebrochen werden, lesen wollen. Susann Enders, Generalsekretärin der bayerischen Freien Wähler, wirft Eric Big Clit in der Sendung "Frühsexualisierung" vor – auf der Linie mit der CSU, mit der sie in Bayern regiert.
Bevor es in die Diskussion geht, die "Stern TV"-Redaktion blendet einen zentralen Punkt aus. Dabei geht es darum, wer das Thema überhaupt gesetzt hat – nämlich US-amerikanische, religiöse Ultra-Rechte. Der Mechanismus, der gerade auch in München greift und aus den USA kommt, ist dieser: Dragqueens und Dragkings lesen in den USA seit 2015 Kindern aus Büchern, die traditionelle Geschlechterrollen und Hierarchien in Frage stellen, vor. Jahre später proklamiert dann die Rechte, dass trans* Menschen jetzt die Minderheit sind, die besonders unterdrückt gehört, um die existierende Herrschaftsordnung zu stabilisieren. Und schießt sich unter anderem auf Drag-Lesungen ein.
Der "irre Streit" entfaltet sich hauptsächlich am Namen von Eric Big Clit, der behauptet: "Es hat mich noch nie ein Kind nach meinem Namen gefragt." "Der spinnt doch", sagt Susann Enders (Freie Wähler) dazu, Kinder mit dem Begriff der großen Klitoris zu konfrontieren. Sie schiebt hinterher:
Die Diskussion ist aufgeheizt. Eric Big Clit bleibt cool und erklärt: "Mein Körper darf auch abseits von Sexualisierung und Sexualität existieren." Christian Lüdke, Kinderpsychologe, meint dagegen: "Kinder können das in diesem Alter noch nicht verstehen." Warum es einer Vierjährigen direkt schadet, zu wissen, was der weibliche Schwellkörper ist, sagt er nicht. Der Kabarettist Serdar Somuncu provoziert Eric Big Clit: "Kannst du deine Identität nicht für dich ausleben?"
Eric Big Clit wiederum versucht, zu versachlichen. "Es geht um Bücher." Bücher, die auch noch vom Jugendamt auf ihre Kindgerechtheit geprüft seien. Die Bücher sollen jedem Kind zeigen, "was du anziehen kannst, und dass es mehr Kategorien gibt als rosa und blau".
Somuncu fällt Eric Big Clit so oft ins Wort, dass Moderator Könnes eingreifen muss. Und was der Kabarettist in den Raum wirft, hat es in sich: "Bist du für Kreuze im Klassenzimmer?", "Bist du für muslimischen Religionsunterricht in Schulen?", fragt er und impliziert, das wäre das gleiche wie eine Kinderbuchlesung, die Familien freiwillig besuchen. Eric Big Clit kommt kaum zum Antworten, weil das Könnes zu weit vom Thema wegführt.
Denn Somuncu vermischt hier einiges. Nämlich die Frage nach der Trennung von Staat und Religion mit der nach der freien Entfaltung der eigenen Identität. Die Trennung von Kirche und Staat wurde zur individuellen Entfaltung – auch der Erich Big Clits und der Kinder, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht unwohl fühlen – erkämpft. Was Somuncu hier impliziert, ist das Gegenteil davon.
Er unterstellt Eric Big Clit eine missionarische Motivation. Eric Big Clit würde den "schutzbedürftigen" Kindern in der Lesung, die sie mit ihren Eltern freiwillig besuchen, etwas aufzwingen wollen, wie es der Staat und Kirche Jahrhunderte lang mit der Religion getan haben. Bei Social Media gibt es Kritik für Somuncu, unter anderem wird sein Auftritt als "unangenehm" bezeichnet:
Der Kinderpsychologe Lüdke bemüht sich um Versachlichung, eine Drag-Lesung sei ein "guter Anlass für Kinder, Toleranz und Vielfalt" zu erfahren. Über das richtige Alter der Teilnehmenden könne man diskutieren, aber das sei in diesem Fall auch die Entscheidung der Eltern. Er hält sich wacker, während Könnes bereits ankündigt, bald wieder "kontrovers diskutieren" zu wollen.