Während Markus Lanz an diesem Donnerstag Corona den Rücken kehrt und sich einem Mordfall widmet, der vor Jahrzehnten einen Deutschen in den USA ins Gefängnis brachte, dreht sich bei Maybrit Illner im ZDF alles um das Virus. "Vom Stillstand in den Aufstand" leitet Illner die Sendung ein. Es soll um Spaltung gehen, um die Frage, ob die Covid-19-Pandemie das Land entzweien kann.
Einer, der gerne mal polarisiert, ist Boris Palmer, Bürgermeister von Tübingen. Er ist zugeschaltet und hat sich an diesem Abend auf den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach eingeschossen, der zwar nicht vor Ort ist, aber trotzdem für seine Forderungen viel Kritik von Palmer abbekommt. Der Grünen-Politiker kennt sich mit Kritik allerdings ebenfalls ganz gut aus. Er hatte vor kurzem in einem Interview gesagt, man rette in der Corona-Phase vielen Menschen das Leben, die möglicherweise sowieso nur noch wenige Monate zu leben hätten. Der Bundesvorstand der Grünen entzog Palmer daraufhin die Unterstützung für erneute Kandidaturen.
Der Bürgermeister entschuldigt sich in der Sendung für seinen "dummen Satz", betont dann aber nochmal den Punkt, den er damit aufmachen wollte. Er zitiert eine Statistik des Robert-Koch-Instituts die zeige, dass ein Drittel der Corona-Toten in Deutschland in Alten- oder Pflegeheimen gelebt hätten.
Und eine andere Statistik belege, dass dort wohnende Menschen im Schnitt noch elf Monate zu Leben hätten. Was er damit aber nicht meine ist, dass man alte Menschen aufgeben solle. Palmer stört sich mehr an der Art und Weise, wie diese oftmals der Einsamkeit überlassen worden seien. Man müsse sich seiner Ansicht besser um diese Menschen kümmern.
Für den Physiker Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ist es damit aber nicht getan. "Ich möchte eine Falschinformation erwähnen, die hier offenbar ohne Widerspruch entgegengenommen wurde", antwortet er auf Palmers Monolog. Er zitiert eine Untersuchung, der zufolge die Menschen, die an Corona gestorben sind, im Durchschnitt noch neun Jahre zu leben gehabt hätten. Also weit von den von Palmer genannten elf Monaten entfernt. "Das halte ich für falsch, das halte ich für objektiv falsch", fällt der Grünen-Bürgermeister dem Wissenschaftler dann auch prompt ins Wort.
Meyer-Hermann gefällt der Einspruch offensichtlich nicht. "Es geht hier nicht um Meinungen, es geht um wissenschaftliche Fakten." Doch ob es jetzt elf Monate oder neun Jahre sind: Es geht um Menschenleben. Und das bringt Christiane Woopen auf den Plan. Die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats betont genau diesen Punkt, dass es doch völlig egal sei, wie lange die Menschen gelebt hätten. Dem stimmen dann erstmal alle zu.
Doch damit nicht genug vom polarisierenden Palmer. Er äußert eine eher spekulative Theorie darüber, wie sich die Todeszahlen in Entwicklungsländern entwickeln könnten. Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans verzieht daraufhin deutlich sichtbar das Gesicht. "Was sie gerade nicht sehen können, Herr Palmer, hier in der Runde gibt es heftigen Widerspruch", fasst Moderatorin Illner die Stimmung zusammen.
Es ist die konfrontativste Runde seit langer Zeit. Der "Spiegel"-Journalist Nikolaus Blome zweifelt eine Studie an, die Michael Meyer-Hermann und seine Kollegen vom Helmholtz-Zentrum gemeinsam mit dem ifo-Institut auf den Weg gebracht hatten und streitet sich mit Christiane Woopen über das Thema Digitalisierung.
Einig ist man sich am Ende vor allem in einem Punkt: Einen zweiten Lockdown überleben viele Unternehmen nicht und einige Menschen möglicherweise auch nicht. Es braucht Verständnis für diejenigen, die auf die Straße gehen. Ob sich Deutschland aber spaltet oder nicht: Das kann die Runde nicht beantworten.