"Was würde Dieter Nuhr tun?", wird sich wohl Headautor Markus Hennig gefragt haben, als er sich an die "ZDF Magazin Royale"-Sendung vom Freitag gesetzt hat. Herausgekommen ist die gag-dichteste Folge der Show seit, gefühlt, Monaten. Ohne Tischnummer mit eher schwerem Thema, ohne reizüberflutendes Intro und ohne Böhmi-Stand-Up. Jan Böhmermann begnügt sich diese Woche mit einem Cameo-Auftritt – die Bühne gehört einem Ensemble um einen persiflierten Dieter Nuhr.
"Die vornehmste Aufgabe der Satire ist es, den Menschen den Spiegel vorzuhalten. Triggerwarnung, es ist nicht auszuschließen, dass heute Abend Gefühle verletzt werden", gibt der durchaus akkurate Nuhr-Imitator den Ton der Sendung vor. Wer den berüchtigten Boomer mimt, da lässt uns die Redaktion auch im Abspann im Dunkeln. Etwas Recherche ergibt: Es darf spekuliert werden, ob es Sebastian Rüger sein könnte.
Mit vier Kolleg:innen startet der falsche Nuhr einen Frontalangriff auf die deutsche Comedy-Szene. Deswegen erstmal ein kleines Who is Who: "Soko"-Krimidarsteller Phillip Lind spielt Falk MacAllister, einen Comedian, der nach einer "Pause" zurückkommt. Datteltäter Younes Al-Amayra wird als Öztürk Özcan vorgestellt, steht als Öner Ömer im Abspann und trifft mit seinen Witzen über Deutsche genau die Punkte, die das klassische Nuhr-Publikum eher nicht hören will.
Fernsehschauspieler Harald Burmeister jammert als 52-jähriger Jochen Heppmann über seine "Innenbanddehnung" und spricht dem Klischee entsprechend über die nicht mal halb so alte Melody, mit der er eine Affäre hat. Die österreichische Schauspielerin Sophie Berger schießt als Milli Probst mit Sidecut und auf hohen Schuhen in Richtung sexueller Minderheiten und Jüd:innen. Die fünf zielen auf diskriminierende Iinhalte, die sie aus Teilen der deutschen Comedy-Szene herauslesen, auch das Publikum dieses Humors nehmen sie ins Visier. Und sie treffen teils sauber.
"Entschuldigung", würde Falk MacAllister sagen, wenn er, "etwas falsch gemacht hätte". Damit kommt die Kunstfigur aus ihrer "Pause" zurück. Vorwürfe hätten ihn "nachdenklich gemacht". "Ich habe sehr viel mit meiner Mama darüber geredet", gibt er an. Er liebe seine Mama, denn sie "ist einfach hot". Ödipus MacAllister mutet zwar fast klassisch an, aber er will eigentlich nur zurück in die 1990er Jahre. Das scheint sein Happy Place gewesen zu sein, als er noch unwidersprochen machen konnte, was er wollte, ohne jede Rücksicht. Kostprobe? Ein Zwischenruf aus dem Publikum: "Machst du heute auch noch Kabarett?". Ödipus unterstellt der Zuschauerin, ihr Geld mit Prostitution zu verdienen. Gelächter.
Das Publikum ist der heimliche Star der Sendung. Lacht man am oberen Ende der Alterspyramide der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft noch über solche oder die folgenden Witze? Vielleicht nicht, wenn sie so offen menschenfeindlich sind, aber den richtigen Nerv trifft das "ZDF Magazin Royale"-Ensemble hier allemal. Das Publikum, das sich über jeden Gag wegschmeißt, verdeutlich den Kunstgriff des Teams um Hennig teilweise verstörend glaubwürdig.
Treffend sind auch die Witze, die peinliches Schweigen auslösen. Öztürk Özcan, der vom falschen Nuhr seinem falschen Publikum als "der Ausländer, der einer von uns ist" vorgestellt wird, spielt in diesem Setting mit dem Feuer. Er beginnt mit ein paar seichten Witzen über Deutsche, die ihr Essen nicht würzen. "Aber das ist etwas Gutes, ihr kennt eure Grenzen – außer zwischen 1933 und 45." Stille im Publikum. Und nochmal erinnert er die Deutschen vor ihm daran, dass sie das "größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte" begangen haben.
Al-Amayra spielt den Comedian, der sein Publikum verliert, nicht schlecht. Seine Kunstfigur versteigt sich in rassistische Witze und er hat seine Fans zurück. Dasselbe Publikum, dem er vom falschen Nuhr mit einem rassistischen Witz im AfD-Sprech, der den Begriff "Fachkräfte" für mutmaßlich nicht deutsche Straftäter verwendet, anmoderiert wurde. Pikantes Detail: Der Falsche Nuhr stehtdabei vor einer Headline der "Jungen Freiheit", einer Wochenzeitung der Neuen Rechten.
Mit Cancel-Culture-Panikmache kennt sich auch die Kunstfigur Millie Probst aus. Im breiten Wiener Schmäh beginnt sie von der "Wokestapo" zu fabulieren. Die Österreicherin Sophie Probst trifft ihre Rolle wohl am Besten. Und so arbeitet Millie Probstsich zügig von Pointen über Männern, die sich feministisch reflektieren, Frauen, die keine Frauen mehr sind, weil sie sich nicht unterordnen und transfeindlichen Witzen hin zu dem Catch-Phrase, bei dem jede:r verstehen sollte wen sie mimt: "Ich hab nichts gegen Juden."
Hier wagt das "ZDF Magazin Royale"-Team einen Kunstgriff im Schnitt, der dem Sendungskonzept würdig ist: "Ja, auch jüdische Männer finden mich attraktiv", sagt Probst. "Wissen Sie, was ein Jude..." – harter Jumpcut. Das komplette Publikum und Nuhr lachen Tränen.
Aufgebaut ist die ganze Sendung aber auf dem falschen Nuhr. Der liefert ab. Wer den echten Nuhr nur aus den Video-Schnipseln auf Twitter kennt, ist sich kurz unsicher, ob er es nicht vielleicht doch sein könnte. In seinem Stand-Up drischt er auf alle ein, die sich auch nur im Entferntesten für progressive Ziele engagieren. Die deutlich überzogenen Zwischenmoderationen triefen nur so vor offenem Rassismus und Sexismus. Aber die "vornehmste Aufgabe der Satire" will ja erfüllt werden, da darf auch mal überzeichnet werden.
Zwischen all der im deutschsprachigen Raum erfrischenden satirischen Innovation bleibt eine Rolle etwas zurück. Die des 52-jährigen Jochen Heppmann, gespielt von Harald Burmeister. Sein Kernproblem ist, dass er das Klischee eines deutschen Boomer-Kabarettisten verkörpert, der ab und zu mal auf eine TV-Bühne gelassen wird. Nur kennt den leider niemand. Und das ist schade, da er fragile Männlichkeit und Alltagssexismus mit guten Pointen aufs Korn nimmt. Doch ohne die persiflierte Person auf Anhieb erkennbar werden zu lassen, zieht das nicht ganz.
Mit einem Track der realen Bremer Punk-Band Team Scheisse zielt "ZDF Magazin Royale" nochmals auf deutsche Verhältnisse. "Es ist eigentlich ganz einfach – bist du Anti-Antifa, dann bist du Fa", schreit der Sänger ins Publikum. Das gespielte Publikum bleibt relativ verstört zurück.