Mitten in der Energiekrise habe Putin mit Deutschland ein leichtes Spiel, sagt CDU-Politiker Norbert Röttgen am Sonntagabend bei "Anne Will". Die Ampel unternehme dagegen zu wenig, lautet sein Vorwurf. Dem setzen die drei Regierungspolitiker in der Runde zwar starke Argumente entgegen, doch immer wieder wird deutlich, an wie vielen Punkten sich die Koalition weiterhin uneinig ist.
Das waren die Gäste von Anne Will am Sonntagabend:
"You'll never walk alone", hatte Bundeskanzler Olaf Scholz vergangene Woche den deutschen Bürgern versprochen. Andere Worte für: Die Regierung wird die Menschen in der bevorstehenden Energiekrise im Winter nicht allein lassen. Mit diesem Versprechen habe sich Scholz sehr weit aus dem Fenster gelehnt, meint Journalistin Petra Pinzler. "Er suggeriert damit, dass der Staat das Auffangen kann." Das würde jedoch nicht der Wahrheit entsprechen, sagt sie. Denn auch auf die Bürger komme es in dieser Notlage an. Diese "Wir"-Stimmung würde Scholz aber nicht erzeugen.
Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, sieht das ganz anders. Scholz würde sehr wohl ein "Wir"-Gefühl schaffen. "'You'll never walk alone' ist ein bewusst gewähltes Zitat, um zu sagen, dass wir das hier zusammen machen," sagt er. Der Staat könne nicht alles ausgleichen, was auf Deutschland zukomme, gesteht Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne).
Für sie ist aber klar: Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket wirken und deswegen soll dafür eine Anschlussmöglichkeit gefunden werden. Der Tankrabatt sei dagegen sinnlos gewesen. "Der war nicht sinnlos", wirft Graf Lambsdorff von der Seite ein. Eine erste Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern bahnt sich an, die im Laufe der Sendung immer wieder aufflammen wird.
Doch die Ampel-Politiker halten auch zusammen. Denn Oppositionspolitiker Norbert Röttgen ist mit einer klaren Botschaft in die Sendung von Anne Will gekommen: Die Regierung macht nichts. Und immer wieder sagen Göring-Eckhard, Graf Lambsdorff und SPD-Politikerin Nina Scheer abwechselnd: "Das stimmt einfach nicht." Röttgen hat sein ganz eigenes Verständnis von der aktuellen Debatte. "Es ist zu viel und zu wenig gleichzeitig", betont er. Zu viel seien Wills kritische Nachfragen. Die Moderatorin wirkt verdutzt. Zu viel seien auch Scholz' Versprechen. Zu dünn, sei dagegen das Engagement der Regierung. Es gebe keine Einsparstrategie, wirft er der Ampel vor.
"Doch", sagt Göring-Eckardt und setzt mehrmals an, um ihn zu unterbrechen: "Ich möchte an Herr Röttgens Vergesslichkeit erinnern." Die Merkel-Regierung und auch er als damaliger Umweltminister habe den Ausbau der erneuerbaren Energien und das Loslösen von Russland verpasst, das müsse er in der Öffentlichkeit auch so eingestehen, sagt sie. Fehler der Vergangenheit würde er einsehen, Fehler der Gegenwart würde aber die aktuelle Regierung machen, versucht sich Röttgen rauszureden.
Scheer zählt zu ihrer Verteidigung auf, was in den letzten Monaten umgesetzt wurde: Das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das Gasspeicherfüllstandgesetz. "Wir waren im letzten Jahr zu 55 Prozent von russischen Gasimporten abhängig und sind jetzt bei 26: Das ist doch nicht nichts", entgegnet sie Röttgen. In der letzten Koalition sei vieles nicht gelungen, weil die Union auf der Bremse stand, wirft sie ihm vor. "In unverantwortlicher Art und Weise erklärt Ihre Fraktion, es würde nicht gehandelt werden, mit Beispielen, die sich schnell widerlegen lassen", meint sie. Göring-Eckardt ergänzt von der Seite: "Weil Sie keinen Plan haben." Die Talkshow-Runde wird zum Stimmen-Wirr-Warr.
Doch im Laufe der Sendung wird sich auch die Ampel zunehmend uneinig. Finanzminister Christian Lindner will die Pendlerpauschale erhöhen, davon würden überproportional die Besserverdiener profitieren, heizt Will die nächste Diskussion an. "Nein, alle Steuerzahler, die in die Arbeit fahren", sagt Graf Lambsdorff. Die Pendlerpauschale sei nicht sozial gerecht, widerspricht ihm Göring-Eckhard.
Weiter argumentiert sie gegen die FDP: Die Grundsicherungssätze müssen erhöht werden und die Schuldenbremse könne "in diesen Zeiten" nicht einfach so bleiben. Sie forderte für weitere Einsparung auch ein Tempolimit, und zwar "ganz unideologisch". "Ach, das ist ein Symbolthema, das irrelevant ist", winkt Graf Lambsdorff ab. Hauptstadtkorrespondentin Pinzler analysiert lachend: "Wir sind hier gerade in Koalitionsverhandlungen".
Das Tempolimit sei nicht irrelevant, widerspricht sie dem FDP-Politiker direkt. "Wenn wir ein Tempolimit von 120 hätten, 80 auf Landstraßen und wenn jede zweite Freizeitfahrt wegfällt, hätten wir schon 10 Prozent des Öls gespart. Es ist also nicht nur ein Symbolthema." Das Tempolimit sei ein identitätspolitisches Thema geworden.
"Wir lehnen es als Liberale ab, eine Regel für alle gleichermaßen durchzusetzen", versucht sich Graf Lambsdorff zu erklären. Er bleibt dabei: Es ist ein Minithema. "Sie haben immer noch nicht den Ernst der Lage verstanden", sagt Pinzler. Röttgen stimmt zu: "Das Tempolimit gehört dazu, zu verdeutlichen, dass es verdammt ernst ist." Das sei der Koalition aber nicht gelungen.
Ein weiteres Thema, um das die Ampel zunehmend ringt: Eine mögliche Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Die brauche man nicht, weil sie für diesen Winter nichts nützen würde, sagt Göring-Eckardt. Das "Sonderproblem" liege in Bayern, das noch immer Solar- der Windenergie bevorzugt.
"Herr Söder kann nicht einfach sagen: Wir machen weiter wie bisher," findet sie. Deswegen würde es jetzt einen Stresstest geben. Sollte ein Streckbetrieb nötig sein, würde es den geben, sagt Graf Lambsdorff. Göring-Eckardt ergänzt: "Wenn es dazu kommt, dass wir eine wirkliche Notsituation haben, dass Krankenhäuser nicht mehr arbeiten können, wenn eine solche Notsituation eintritt, dann müssen wir darüber reden, was mit den Brennstäben ist."
Pinzer vermutet, dass die Verlängerung von mindestens einem Kernkraftwerk noch beschlossen wird. "Wenn Bayern im Winter nicht frieren will, dann wird Bayern in den Streckbetrieb gehen."