RTLs Stefan-Raab-Dilemma spitzt sich zu: "Stimmung intern ist wegen Raab angeheizt"
Inga Leschek musste sich während der letzten 13 Monate vor allem an diesem Satz messen lassen, den sie in einem Interview mit dem Branchen-Dienst "DWDL" aussprach: "Der Raab-Deal ist das smarteste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Das wird nur schwer zu toppen sein."
Noch interessanter ist aber, was Lescheck, Chief Content Officer bei RTL Deutschland, zuvor gesagt hatte und sie zu dieser selbst vor der Raab-Rückkehr durchaus kühnen Prognose verleitete: "Wir haben uns zusammen mit Stefan Raab in den letzten Monaten sehr genau überlegt, wie sich die Bewegtbildnutzung in den nächsten Jahren verändert und gemeinsam einen Plan erarbeitet."
RTL+ sollte darin eine "zentrale Rolle" spielen, denn Streaming ist die Zukunft. Raab sollte ein Magnet sein, der Abonnent:innen in Massen zu RTLs Anbieter zieht. So wollte man "größere Potenziale heben".
Fast alle RTL-Versuche mit Stefan Raab schlugen fehl
Raabs erste wöchentliche RTL-Show nach dem Comeback, "Du gewinnst hier nicht die Million", lief zunächst exklusiv auf RTL+. Der Mix aus Spiel-Show und Late-Night habe laut Lescheck zwar "eine Vielzahl von Abo-Abschlüssen generiert". RTL holte die Show dennoch irgendwann ins lineare TV.
Die Quoten sanken. Im Mai wurde bekannt, dass RTL "DGHNDM" beendet. Man war mit den Quoten nicht zufrieden, vor allem in der jüngeren Zielgruppe fehlte das Publikum. Man habe "mit dieser Show viel für RTL und RTL+ gelernt".
Leschek kritisierte das Konzept überraschend offen: "Du gewinnst hier nicht die Million" habe das TV-Publikum nicht ausreichend überzeugt. Mischformate (wie eben "DGHNDM") seien grundsätzlich schwer vermittelbar.
In der Zwischenzeit brachte Raab mit "Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli" eine Art "Schlag den Raab"-Remake auf den Weg, eine Samstagabendshow. Die Zahlen sind zufriedenstellend, aber nicht überragend.
RTLs Millionen-Wette auf Stefan Raab
Seit Ende September läuft "Die Stefan Raab Show" bei RTL, es ist der zweite Versuch einer wöchentlichen Late-Night. In der Woche vor dem Start belegte RTL die Primetime um 20.15 Uhr mit fünf 15 Minuten langen Mini-Ausgaben der Show – eine Promo-Offensive, um Aufmerksamkeit zu garantieren.
Mittlerweile liegen die Zuschauerzahlen zum Teil unter denen von "Du gewinnst hier nicht die Million", 820.000 waren es zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Absetzung. Bei "Der Stefan Raab Show" schauten am vergangenen Mittwoch 670.000 Menschen zu. Digitale Zugriffe sind da nicht eingerechnet.
RTL Deutschland soll der Produktionsfirma von Stefan Raab laut "DWDL" ein Produktionsvolumen von mindestens 90 Millionen Euro zugesagt haben. Der gelieferte Raab-Gegenwert fällt bislang eher schmal aus.
Raab ist RTLs größte Wette auf die Zukunft in einem extrem umkämpften Entertainment-Markt, der zunehmend von digitalen Plattformen dominiert wird – Netflix, Youtube, Tiktok graben Publikum ab, nicht nur junges.
Der allem Anschein nach teure und in der Öffentlichkeit überaus aufmerksam beobachtete Deal hat RTL in ein Dilemma gezwungen. Es hat sich eine pikante Schieflage zwischen Aufwand und Ertrag ergeben. Das blieb wohl auch der RTL-Belegschaft nicht verborgen.
Entlassungen bei RTL wegen schlechter Raab-Perfomance?
Der Youtuber Klengan – 621.000 Abonnent:innen, bekannt für medien- und Social-Media-kritische Inhalte – veröffentlichte Mitte der Woche ein Video. Der Titel "Ist Stefan Raab am Ende?" verrät die Richtung: Klengan beleuchtet verschiedene Entwicklungen, die die prekäre Lage des Entertainers darstellen sollen.
Gegen Ende des 20 Minuten langen Videos teilt Klengan eine Beobachtung: "Deswegen ist die Stimmung bei RTL auch nicht so supidupi gerade".
Er habe "im Vorbeigehen verstanden", dass die schwächelnden Werbeeinnahmen mit Raab-Shows bei RTL "[dazu] führten, dass bei RTL schon Leute gekündigt wurden oder Verträge nicht verlängert wurden, weil man die einfach nicht mehr bezahlen kann."
Eine Verknüpfung zwischen Personaleinsparungen und dem Raab-Deal lässt sich schwer belegen. Das Personal, das für Raabs Sendungen arbeitet, ist nicht direkt bei RTL angestellt, sondern bei Raabs Produktionsfirma Raab Entertainment, die er 2024 mit dem ehemaligen ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann gründete.
Klengan verrät zudem nicht, woher genau er seine Informationen hat. Die Aussagen decken sich aber zum Teil mit Recherchen von watson.
Ein RTL-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, erklärt: "Bei uns selbst, bei RTL, sind einige befristete Verträge nicht verlängert worden." Aber gibt es eine direkte Verbindung zwischen Entlassungen bei RTL und den "hohen Kosten" für Raab? Diesbezüglich würde "RTL bestimmt anders argumentieren", sagt der Mitarbeiter.
Auf Anfrage von watson verneint RTL einen Zusammenhang zwischen Entlassungen von RTL-Mitarbeiter:innen und hohen Kosten für Stefan-Raab-Shows. Die Transformation im Bewegtbildmarkt erfordere "von allen Marktteilnehmern ein ständiges Überprüfen des eigenen Setups", sagt eine RTL-Sprecherin.
Wegen Raab: Stimmung bei RTL angeblich schlecht
Der RTL-Mitarbeiter bestätigt gegenüber watson aber: "Die Stimmung intern ist wegen Raab angeheizt, weil wir auf der einen Seite massiv sparen müssen, auf der anderen Seite er [Stefan Raab, Anm. d. Red.] aber so wahnsinnig viel Geld von RTL bekommt und miserable Quoten einfährt …" Die Stimmung bei den Mitarbeiter:innen sei deshalb "echt mies."
Vorbehalte innerhalb der RTL-Belegschaft gegen die Zusammenarbeit mit Stefan Raab dementiert RTL gegenüber watson zumindest nicht. "Kreative Prozesse brauchen Vertrauen, Diskurs und immer wieder auch Zeit", heißt es. "Darauf basiert unser Erfolg bei RTL Deutschland seit über 40 Jahren."
Die RTL-Sprecherin erklärt weiterhin zum vermeintlichen Raab-Frust in der Belegschaft: "Die Reichweite über alle Kanäle – TV, Streaming, Social Media – zeigt, dass Raabs Arbeit starke Resonanz erzeugt und das Publikum bewegt. Das kann auch unsere Belegschaft entsprechend einordnen."
Bei der Bewertung der bisherigen Zusammenarbeit zeigt RTL sich zufrieden und verweist auf "sechsstellige Neukunden für RTL+, Millionen Abrufe auf YouTube, eine enorme mediale Reichweite – und Inhalte, über die ganz Deutschland spricht".
Gibt es einen Ausweg aus dem Raab-Dilemma?
Das Comeback von Stefan Raab wurde während der neun Jahre währenden Auszeit ersehnt, nicht nur von RTL, auch von nostalgischen Fernsehfans, die mit "TV total" sozialisiert wurden.
Die Warnungen, dass Raabs Vorstellungen von Unterhaltung veraltet sind, existierten aber schon vor dessen Comeback. Der Downfall, der sich nun abspielt, war absehbar. Und ja, er wird von Schadenfreude begleitet – Raabs Humor-Benzin.
Auch bei watson erschienen mehrere Meinungsartikel, Kommentare und Rezensionen, die sich fast immer kritisch mit Raabs Post-Comeback-Projekten auseinandersetzten. Man beschrieb schlichtweg schlechtes Fernsehen. Kritik verwandelte sich in Verwunderung. Wohin soll das mit Raab noch führen? Wieso tut er sich das an? Was hat RTL sich erhofft?
Der Glaube an Stefan Raab war groß. Wahrscheinlich zu groß. Vieles spricht dafür, dass RTL sich mit dem Deal verkalkuliert und nun mit daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen zu kämpfen hat. Knapp drei Jahre läuft der Vertrag zwischen Raab und RTL noch.
