Tiktok-Star Natalie Jane über Belästigung: "Kann Männer einfach nicht ausstehen"
Ein 17-sekündiges Tiktok-Video machte sie vor drei Jahren über Nacht berühmt. Heute ist Natalie Jane längst nicht mehr nur ein Phänomen der Plattform, sondern hat sich als ernstzunehmende Künstlerin im Musikbusiness etabliert. Es folgten Auftritte auf Festivals. Nun steht ihre erste Tour im Rahmen ihres zweiten Studioalbums "the world i didn't want" bevor.
watson: Erinnerst du dich an den Moment, als dir klar wurde: "Ich bin jetzt ein Tiktok-Sound"?
Natalie Jane: Das erste Mal wurde es mir mit 18 Jahren klar. Ich habe gerade die High School abgeschlossen und hatte vor, zu studieren. Zwei Wochen vorher ging einer meiner Songs viral. Aber das war nur der Anfang. Als ich mein Cover von "Crazy" in der Garage aufgenommen und gepostet habe, hatte ich nach einer Stunde zwei Millionen Views. Das war verrückt.
Wie bist du damit umgegangen?
Es war komisch, weil ich nicht realisiert hatte, wie groß es wirklich war, während es passierte. Wenn die Augen plötzlich auf dich gerichtet sind, bedeutet das: Je mehr Leute dich lieben, desto mehr werden dich hassen. Zum ersten Mal bekam ich diese überwältigende Menge an 'Oh, dieses Mädchen schon wieder'-Kommentaren. Ich erlebte den meisten Hass und zugleich die größte Menge an Liebe, die ich je bekommen habe.
Wärst du lieber auf "normalem" Wege bekannt geworden?
Nein, Tiktok ist definitiv ein großartiges Tool und ich bin sehr dankbar, dass ich es benutzt habe, um dahin zu gelangen, wo ich heute stehe. Aber etwas, das mir in letzter Zeit aufgefallen ist, ist, dass ich Reichweite gefunden habe, bevor ich wusste, wer ich als Künstlerin bin. Erst im letzten Jahr habe ich zu mir als Künstlerin gefunden und eine klare Richtung festgelegt, wohin ich will, wer ich bin und wie ich präsentiert werden möchte.
Dein Tiktok von "Crazy" ging viral – wurde aber auch verspottet. Wie gehst du damit um?
Zu der Zeit war ich 19, alles war neu für mich und ich war nicht daran gewöhnt. Man sollte die Dinge nicht zu ernst nehmen und wissen, was man liebt – das ist alles, was zählt. Denn wenn du dir jeden Kommentar zu Herzen nimmst, wirst du irgendwann in eine Stressspirale geraten. Loslassen ist so wichtig. Im letzten Jahr gab es für mich einen Wandel, als ich das Album schrieb.
Wie viel von Natalie steckt in deinem Album?
Das Album war schwer zu schreiben. Es geht darum, deine Komfortzone zu verlassen, der Welt zu entfliehen, die du nicht wolltest, und neue Dinge zu tun, um die Person zu werden, die du sein willst. Das ist oft nicht einfach. Viele der Songs behandeln Themen, über die ich noch nie zuvor gesungen habe. Zudem gab es längere Sessions und ich war meinen Autoren gegenüber verletzlicher – und das, obwohl ich nicht gerne zu viele ernsthafte Gespräche führe.
Welcher Song war am schwierigsten zu schreiben?
"Anyone But Myself" ist wohl mein verletzlichster Song. Es war komisch, darüber zu reden. Sessions sind allgemein komisch, wenn man die Autoren nicht kennt. Man redet mit fremden Menschen über seine tiefsten, dunkelsten Ängste und Geheimnisse.
Dein Album klingt selbstbewusst und verletzlich zugleich. Wie vereinst du beides miteinander?
Mit der Tatsache, dass jeder diesen Stress, diese Angst und Emotionen empfindet. Es ist ermutigend und der Grund, weshalb ich Konzerte so liebe – weil es Menschen zusammenbringt. Egal, was du gerade durchmachst, alle sind zusammen da und fühlen die gleichen Dinge. Es bestätigt deine eigenen Gefühle.
Wie aufregend ist es, die eigenen Songs live zu performen?
Sehr. Besonders wenn ich sehe, wie jedes Jahr dieselben Fans auftauchen und sie nicht nur auf die neue Musik reagieren, sondern auch darauf, wie ich mich entwickle. Manchmal hat man als Künstler das Gefühl, den Leuten am Ende des Tages alles auf einem perfekten Silbertablett servieren zu müssen.
Hast du musikalische Vorbilder?
Billie Eilish – ich bin besessen von ihr und ihrer Musik. Jemand, der meine Musik und mich besonders inspiriert, ist Loreen. Ihr Song "Tattoo" hatte einen großen Einfluss auf mein Album. Ich liebe Eurodance-Pop und deswegen diente er als Inspiration für mein Album. Ich finde Loreen unglaublich, liebe die Welten, die sie kreiert und ihre Präsenz.
Wir leben im Zeitalter der Pop-Girls. Wie wichtig ist der Erfolg von dir und anderen jungen Frauen?
Die Pop-Girlies liefern ab, und es ist so unglaublich zu sehen, weil alle Mädchen jemanden brauchen, zu dem sie aufschauen und den sie als Vorbild sehen können. Aber auch jemanden, der ihnen zeigt, dass sie Spaß haben können. Die Frage nach dem Erfolg hängt davon ab, was man als Erfolg definiert. Es hängt davon ab, ob man Erfolg mit Streams oder Ticketverkäufen verbindet.
Wie sieht es bei dir aus?
Für mich passierte der Erfolg in mehreren Schüben. Es ist schwer, all das zu begreifen. Während eines Meet and Greets sagte mir ein Fan, ich hätte sie gerettet. Das war unglaublich und ein sehr erdender Moment. Zahlen und Streams sind natürlich eine Art von Erfolg, den ich erreichen will, aber trotzdem frage ich mich, warum ich all das wirklich brauche, wenn ich eine Person so massiv beeinflussen kann.
Frauen werden oft dafür kritisiert, zu provokativ in ihrer Musik zu sein. Glaubst du, dass sie es in der Branche schwerer haben?
Ich kann Männer einfach nicht ausstehen. Natürlich liebe ich sie auch, ich will einen heiraten. Und trotzdem hasse ich sie, weil alles von Männern ausgeht, nicht von Frauen. Gerade erst haben wir einige meiner Poster in Hollywood aufgehängt. Ich habe dann Fotos davor gemacht und hatte eine kurze Hose an. In der Zeit sind so viele Typen vorbeigefahren, die verrückte Dinge zu mir sagten. Wenn ich eine Jogginghose und einen Hoodie getragen hätte, hätten sie diese Dinge nicht ausgesprochen.
Was willst du damit sagen?
Ich finde, alles ist auf Männer zurückzuführen. Ich liebe die Jungs, die meine Musik hören, aber ich bin so dankbar, dass es hauptsächlich Frauen sind, weil es einfach immer eine sicherere Umgebung ist.
Wie gerechtfertigt findest du die Kritik, dass Frauen in der Musik zu provokant sind? Hält sie dich davon ab, mit deiner Musik zu provozieren?
Nein, den Stress habe ich mir nie gemacht. Ich habe eher ein Problem damit, dass die Kritik darauf beruht, dass selbst 12-Jährige die Musik hören können sollen. Das müssen sie aber nicht. Man kann nicht für immer in eine Schublade gesteckt werden, die einen dazu zwingt, nur Dinge zu kreieren, die jugendfrei sind. Niemand will so eingeschränkt werden.
Heißt?
In den letzten rund 50 Jahren haben Frauen ihre Rechte zurückgewonnen, singen und schreiben, worüber sie wollen, und was auch immer sie selbstbewusst fühlen lässt. Männer und Eltern verurteilen das. Die Männer sollten es sich dann halt nicht anhören und Eltern sollten warten, bis ihre Kinder alt genug sind, um sich diese Songs anzuhören. Künstler sollten nicht in eine Schublade gesteckt werden, die ihnen vorschreibt, was sie machen dürfen und was nicht.
Du spielst auf deiner Europa-Tour am häufigsten in Deutschland – was zieht dich gerade hierher?
Deutsche Fans haben einfach immer Spaß bei den Shows und es ist eine einzige große Party. Vor allem in Berlin. Letztes Jahr war meine Lieblingsshow in München. Meine diesjährige Geburtstags-Show wird also dort sein.
