Nachhaltigkeit
Interview

Eckart von Hirschhausen im Interview zur Klimakrise: "Sind schon mittendrin"

Eckart von Hirschhausen ist einer von Deutschlands bekanntesten Ärzten. Er sorgt sich um die Erde, den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen unsere Gesundheit, die damit direkt zusammenhängt.
Eckart von Hirschhausen ist einer von Deutschlands bekanntesten Ärzten. Er sorgt sich um die Erde, den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen unsere Gesundheit, die damit direkt zusammenhängt.bild: julian engels
Interview

Eckart von Hirschhausen zur Klimakrise: "Gegen Viren kann man impfen, gegen Hitze nicht"

18.11.2021, 14:5524.01.2022, 11:11
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Hitzewellen, Artensterben, Mangelernährung: Die Klimakrise schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch der Gesundheit. Erst kürzlich warnten Fachleute im Bericht "The Lancet Countdown" vor der Erderwärmung und damit einhergehenden Gesundheitsrisiken. Insbesondere Kinder und ältere Menschen seien den klimabedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt – ihre Körper reagierten empfindlicher auf Krankheiten und Schadstoffe.

Aber wie steht es wirklich um unser Gesundheitssystem – ist es für die Folgen der Klimakrise gewappnet, oder muss es revolutioniert werden? Und haben Ärzte durch ihren Vertrauensbonus mehr Einfluss auf die Menschen und ihren Umgang mit der Klimakrise als Wissenschaftlerinnen und Politiker?

Darüber spricht watson mit Deutschlands bekanntestem Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen. Er äußert sich über die Wichtigkeit einer gesunden Erde, steigende Gesundheitsrisiken durch steigende Temperaturen und warum politisches Handeln so wichtig ist.

Der Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen spricht über die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und steigenden Gesundheitsrisiken.
Der Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen spricht über die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und steigenden Gesundheitsrisiken.bild: null / Dominik Butzmann

watson: Herr von Hirschhausen, Sie gehören zu den populärsten Ärzten Deutschlands. Dazu engagieren Sie sich für den Klimaschutz. Woher kommt diese Hingabe für die Umwelt?

Eckart von Hirschhausen: Aus einem Gefühl der Verantwortung – für mich, meine Nächsten und Übernächsten, also die Generation, die nach uns kommt. Wir sind die erste Generation, die hautnah miterlebt, wie instabil das Erdsystem wird. Und die letzte, die verhindern kann, dass weitere Kipppunkte überschritten werden.

Über die Kipppunkte wird in letzter Zeit immer wieder gesprochen. Welche zeigen in besonderem Maße, was gerade passiert?

Das Eis der Arktis schmilzt – wie vorhergesagt. Der Regenwald stirbt – wie vorhergesagt. Was lange als "Panikmache" verunglimpft wurde, ist in vollem Gange. Und so wie wir die Bilder aus Bergamo brauchten, um die Pandemie ernst zu nehmen, haben uns Bilder von Überschwemmungen in Bangladesch ja nie so bewegt wie die aus nächster Nähe in diesem Spätsommer aus dem Ahrtal. Jetzt kann keiner mehr sagen, er oder sie wisse von nichts.

"Ich hätte so viel mehr Respekt vor Politikern, wenn sie jetzt einmal ehrlich sagen würden: 'Wir haben seit 30 Jahren die Stimme aus der Wissenschaft ignoriert'"

Also hat die Politik zu spät gehandelt?

Ich hätte so viel mehr Respekt vor Politikern, wenn sie jetzt einmal ehrlich sagen würden: "Wir haben seit 30 Jahren die Stimme aus der Wissenschaft ignoriert und entscheidende Schritte nicht eingeleitet, zum Teil sogar aktiv verhindert." Wer jetzt noch ein "Weiter so" für einen gangbaren Weg hält, hat wirklich den Schuss nicht gehört.

Sie kommen ja gerade von der Weltklimakonferenz in Glasgow, die mit einem Tag Verspätung am Samstag geschlossen wurde. Was ist Ihnen besonders im Kopf geblieben?

Eine Frau, die sehr berührend davon sprach, wie ihre Tochter im Alter von neun Jahren qualvoll an Asthma starb. Sie hat über sieben Jahre vor Gericht erstritten, dass auf ihrem Totenschein als Todesursache "Luftverschmutzung" stehen muss.

Um ein Zeichen zu setzen?

Ja, denn durch das Leben in der Londoner Innenstadt sah die Lunge der Tochter aus, als hätte sie jahrelang geraucht. Damit war sie die Erste weltweit, die als Opfer der Klimakrise, dem Killer Nummer Eins, offiziell anerkannt wurde. Über acht Millionen Menschen sterben jedes Jahr vorzeitig an dreckiger Luft, mehr als an Covid. Es braucht aber zu den Zahlen die persönlichen Schicksale, die uns die Verbindung von fossiler Energie, Erderwärmung und gesundheitlichen Folgen bis hin zum Tod näherbringen.

Warum?

Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert. Das war eines der großen neuen Themen in Glasgow. Auf gut Deutsch: Wir müssen nicht "das Klima" retten – sondern uns.

"Das Körperteil, das am wenigsten Hitze abkann, ist unser Gehirn. Und lange bevor wir mit Hitzschlag zusammenbrechen, reduziert sich klammheimlich unsere geistige Leistung."

Wie steht es denn neben unserer physischen um unsere seelische Gesundheit – nicht nur in Bezug auf Depressionen und Panikattacken aus Sorge vor der Klimakrise, sondern auch mit Blick auf die zunehmenden Hitzetage – unterschätzen wir das?

Ja, ganz enorm. Wer hatte jemals einen wirklich klugen Gedanken bei 38 Grad im Schatten? Das Körperteil, das am wenigsten Hitze abkann, ist unser Gehirn. Und lange bevor wir mit Hitzschlag oder Sonnenstich zusammenbrechen, reduziert sich klammheimlich unsere geistige Leistung, unser Wohlbefinden und unsere seelische Gesundheit.

Wie geht es Ihnen selbst damit?

Ich habe das als junger Arzt in der Psychiatrie schon vor Jahrzehnten an den einzelnen Hitzetagen in der Klinik erlebt, aber was für die labilen Gemüter gilt, gilt auch für jeden Hirnträger unter der Sonne: Wir brauchen einen kühlen Kopf – sonst sind wir zu nichts zu gebrauchen. Es gibt aber noch einen indirekten Effekt, für den ich auch in der Recherche zu meinem Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben" auf ein neues Wort gestoßen bin: "Solastalgie".

Eckart von Hirschhausen: "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben"

Mit seinem Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben" setzt sich der Arzt, Fernsehmoderator und Schriftsteller mit den Risiken des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit auseinander.

Auf charmante Art wechselt von Hirschhausen zwischen Sachwissen, Beispielen und persönlichen Anekdoten. Dabei spricht er auch mit inspirierenden Persönlichkeiten wie dem Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker oder der Meeresbiologin Antje Boetius.

Verlag: DTV
Seiten: 528 Seiten
Preis: 24 Euro

Solastalgie?

Den Begriff prägte der australische Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht, nachdem intakte Landschaften durch riesige Kohlebagger brutal zerstört worden waren und die Menschen der betreffenden Regionen einen Schmerz fühlten, für den es keine Worte gab. Vor ihren Augen ging etwas verloren, das ihnen seit Kindertagen ans Herz gewachsen war. Der Trost, den die Natur zu spenden vermocht hatte, war ihnen genommen worden.

Kennt das nicht jeder?

Ja, ich persönlich erlebe es bei jedem Waldspaziergang, wenn ich sehe, dass 80 Prozent der Bäume im Sterben liegen. Oder wenn ich am Meer bin und statt mich an der Natur zu erfreuen, mich erstmal vor dem ganzen Plastikmüll ekle. "Solastalgie" hat aber auch eine spirituelle Dimension.

"Vielleicht hilft es auch zu wissen: Keiner von uns ist mit diesem Schmerz allein."

Eine spirituelle Dimension?

Auf dem Weg zur Kirche am Weihnachtsfest zum Beispiel, wenn ich merke, dass es für "mitten im kalten Winter" viel zu warm ist. Oder wenn ich ein Foto von meinem Vater betrachte, auf dessen Nase sich während einer Wanderung ein Schmetterling niederließ und ziemlich lang dort sitzen blieb. Wir haben weite Teile der Insekten bereits getötet. Das ist alles unfassbar traurig. Ein Wort dafür zu haben, macht die Lage nicht besser, aber greifbarer. Vielleicht hilft es auch zu wissen: Keiner von uns ist mit diesem Schmerz allein.

THE CANADIAN PRESS 2021-10-14. A monarch butterfly feeds on a large flowering bush near The Beaches in Toronto on Thursday, October 14, 2021. THE CANADIAN PRESS/Evan Buhler URN:63063474
Ein mittlerweile seltener Anblick in Deutschland: Ein Schmetterling.Bild: The Canadian Press / Evan Buhler
"Im Moment steuern wir mit enormer Geschwindigkeit auf eine unbewohnbare Erde zu."

Mit dem Wissen, dass die Klimakrise einen dramatischen Einfluss auf unsere Seele, unseren Körper und damit unsere Gesundheit hat: Muss unser Gesundheitssystem nicht revolutioniert – und an den Klimawandel angepasst werden?

Unbedingt. Und sehr rasch. Wenn wir in der ersten großen Hitzewelle 2018 über 20.000 Hitzetote in Deutschland zu beklagen hatten, fragt man sich: Warum ist das kein nationaler Notfall? Und warum gibt es nicht wie in Frankreich in jeder Kommune Hitzeschutzpläne? Gegen Viren kann man impfen, gegen Hitze nicht.

Wer ist denn vor allem gefährdet?

Besonders gefährdet sind Kinder, Ältere und Vorerkrankte. Unsere Schulen, Pflegeheime und Krankenhäuser sind baulich aber weder mit Klimaanlagen, Verschattung oder Dachbegrünung gegen Hitze gewappnet. Hier braucht es eine intelligentere Stadtplanung, denn in Städten ist die Hitzebelastung besonders hoch – sie werden im Sommer zu Hitzefallen. Die Bäume sterben. Erst regnet es gar nicht und dann plötzlich zu viel – dann knallen die Gullideckel. Dann ist im wahrsten Sinne die Kacke am Dampfen. Alles nicht schön. Im Moment steuern wir mit enormer Geschwindigkeit auf eine unbewohnbare Erde zu.

"Wir sind viel verletzlicher als wir gedacht haben und müssen Gesundheit global denken."

Das klingt erschreckend.

Die großen Themen unserer Zeit hängen tatsächlich viel enger miteinander zusammen als oft wahrgenommen wird. Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Und ohne die Zerstörung von Lebensräumen, das Artensterben und den Wildtierhandel hätten wir auch kein Corona. Wir sind viel verletzlicher als wir gedacht haben und müssen Gesundheit global denken. Ein Virus fragt nicht nach einem Visum, um Ländergrenzen zu überspringen. So wenig wie ein CO2-Molekül in der Atmosphäre fragt, aus welchem Land es kam.

Was heißt das genau?

Naturschutz und Tierschutz sind eben auch Gesundheitsschutz. Wenn wir was aus dem letzten Jahr gelernt haben, war es wenigstens zu etwas gut. Dieser Kerngedanke nennt sich international "one health" oder auf Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen.

"Wir wollen atmen können, essen, trinken und das bei erträglichen Außentemperaturen. Alle diese Grundbedürfnisse von uns sind in Gefahr."

Ärzte, Kranken- und Altenpfleger genießen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ein besonders hohes Ansehen in der Gesellschaft. Hat diese Berufsgruppe vielleicht also mehr Einfluss auf ein besseres Bewusstsein und den Umgang der Menschen mit der Klimakrise als Politikerinnen und Wissenschaftler?

Ja, und endlich nehmen mehr und mehr Ärztinnen und Ärzte diese Verantwortung auch als Botschafter in der Mitte der Gesellschaft wahr. Klimawandel und Gesundheit waren das zentrale Thema des letzten Ärztetages. Zusammen mit der Allianz Klimawandel und Gesundheit haben wir auf dem größten Ärztekongress der Internisten viele Podien und Pressekonferenzen organisiert, auch auf dem deutschen Pflegetag. Und jetzt eben zusammen mit der WHO auf dem World Health Summit und in Glasgow.

"Allein durch eine pflanzenbasierte Ernährung könnten wir 150.000 Todesfälle in Deutschland jedes Jahr verhindern. Weniger Fleisch zu essen ist also ein echter Verzicht: Der Verzicht auf Herzinfarkt und Schlaganfall."

Warum ist es so wichtig, dass das Thema auch auf Ärztekongressen ankommt?

Es ist das entscheidende Argument, was jeder partei- und generationenübergreifend unterschreibt: Wir wollen atmen können, essen, trinken und das bei erträglichen Außentemperaturen. Alle diese Grundbedürfnisse von uns sind in Gefahr.

Aber?

Die Dringlichkeit, alle unsere Intelligenz, unser Geld und unsere Kreativität dieser Aufgabe zu widmen, ist noch längst nicht in allen Köpfen, Herzen und Disziplinen angekommen. Dabei sind die großen Hebel bekannt: Erneuerbare Energien sofort weiter ausbauen, Kohle in der Erde lassen, Konsum und Flüge reduzieren, Häuser so bauen, dass sie Energie gewinnen, statt verlieren und, und, und. Allein durch eine pflanzenbasierte Ernährung könnten wir 150.000 Todesfälle in Deutschland jedes Jahr verhindern. Weniger Fleisch zu essen ist also ein echter Verzicht: Der Verzicht auf Herzinfarkt und Schlaganfall.

Haben Sie – auch wenn die Dringlichkeit zum Handeln noch bei Weitem nicht überall angekommen ist – noch Hoffnung, dass das 1,5 Grad-Ziel erreichbar ist?

Wenn ich keine Hoffnung hätte, würde ich mich ja nicht mit Haut und Haar diesem Thema widmen. Wir haben alles zu verlieren – und gleichzeitig enorme Chancen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich atme lieber die Abgase von zehn Radfahrern ein als von einem SUV. Mobilität ist eben nicht nur eine individuelle Entscheidung.

Flutkatastrophe 2021, zerstoerte Nepomuk-Bruecke ueber den Fluss Ahr, Rech, Ahrtal, Eifel, Rheinland-Pfalz, Deutschland, Europa
Die Einsicht, dass wir uns mitten in der Klimakrise befinden, kam vielen laut Eckart von Hirschhausen erst nach der Flutkatastrophe in diesem Sommer, bei der über 200 Menschen starben.Bild: Zoonar.com/Stefan Ziese / Stefan Ziese

Sondern?

Eine gesellschaftliche. Wir müssen uns endlich von den alten Klimaerzählungen lösen: Wie viel Klimaschutz können wir uns leisten – oder der Wirtschaft zumuten? Wir haben alles zu verlieren an Gesundheit und Wohlstand, und sehr viel zu gewinnen an Lebensqualität. Der Klimawandel kommt nicht irgendwann – wir sind jetzt schon mittendrin.

Eine späte Einsicht?

Nun, diese Einsicht kam erst mit der Flutkatastrophe in diesem Sommer, bei der mehr als 200 Menschen starben und in einer Nacht mindestens 30 Milliarden Euro Schaden entstanden. Wir könnten es schöner haben als jetzt. Und viel gesünder. Meine Botschaft an die Ampel ist also: Das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist Nichts!

Kann man vor diesem Hintergrund als Arzt noch unpolitisch sein?

Ich habe für mich entschieden: Nein!

Warum?

Es ist falsch, alle persönliche Kraft auf die Vermeidung von Plastiktüten zu legen, wenn in Deutschland Flüge weiterhin billiger sind als Bahnfahrten. Und wenn Milliarden an Subventionen in der Landwirtschaft und in der Energieerzeugung genau die falsche Richtung befeuern. Jeder von uns hat nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen "Handabdruck" – also die Möglichkeit durch politisches Handeln aktiv Einfluss zu nehmen. Jeder kennt wen, der wen kennt. Also: Mund aufmachen – und vorher schlaumachen.

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