Hunger ist, wenn die Gedanken nur noch um etwas Essbares kreisen. Wenn alles drum herum verschwimmt, unwichtig wird. Schmerz. Schwindel. Zittern. Und immer nur noch dieser furchtbare Hunger. Kaossara Sani, Klimaaktivistin aus Togo, weiß, wie sich Hunger anfühlt. Und hat ihn immer wieder um sich herum erlebt. "Ich denke an all die Kinder und Menschen in Madagaskar, Nordkenia, im Jemen und den vielen anderen Ländern, die hungern müssen – die nichts zu essen, nicht einmal was zu trinken haben", sagt Sani gegenüber watson. Ihre Stimme bricht. Sie macht eine Pause, flüstert dann fast. "Hunger ist nicht einfach. Hunger bedeutet Schmerz."
Kaossara Sani, 26 Jahre alt, braune, wache Augen, lebt mit ihrer Mutter und ihren zwei jüngeren Brüdern in einem einfachen Haus in Lomé, der Hauptstadt Togos. Sie ist weder arm noch reich – auch wenn sie nicht viel besitzt. "Aber ich habe eine gute Bildung. Und Bildung ist der Schlüssel zu allem. Bildung ist die einzige Waffe, um den Klimawandel zu bekämpfen." Und den Klimawandel, den Hunger und die Ungerechtigkeit auf der Welt zu bekämpfen, ist Sanis große Mission.
Dafür hat Sani die Bewegung "Africa Optimism" und "Act on Sahel Movement" ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Den Klimawandel durch Bildung zu bekämpfen. "Ich würde die naturwissenschaftlichen Fakten hinter der Krise doch gar nicht verstehen, wenn ich nicht gebildet wäre." Also geht Sani zu den Menschen – nach Burkina Faso, in den Senegal, nach Mali. Sie unterstützt Landwirte, die die Auswirkungen der Klimakrise am eigenen Leib erfahren. Sie baut Büchereien auf, liest Kindern vor, klärt sie über die Klimakrise und ihre Folgen auf.
Die Temperaturen in Afrika steigen, der Regen bleibt aus. Dürren und Wassermangel sind die Folge. Und dann wieder kommt der Regen – plötzlich, heftig. Und er reißt alles mit sich, ganze Existenzen. "Für ein Projekt habe ich einen Landwirt unterstützt, der wochenlang auf Regen wartete. Aber der Regen kam nicht." Und dann plötzlich kam er doch. "Viel zu viel Regen, er hat alles mit sich gerissen. Alles, an dem er über Monate gearbeitet hatte, war weg, nicht mehr da." Und der Landwirt stand nur da, schweigend. Und blickte auf das, was einmal sein Leben, seine Zukunft gewesen war. "Er konnte nicht mehr sprechen. Alles, was er hatte, sein ganzes Geld, war quasi weggespült."
Sani holt tief Luft. Ihre Verzweiflung, ihre Wut sind greifbar. Ihre Augen glänzen. Sie könnte weinen, so schwer wiegen all diese Krisen, so sehr belastet sie das Leid der Menschen. Aber sie entschließt sich zu lachen, auch wenn es gebrochen klingt. "Ich spüre die Klimakrise am eigenen Leib. Aber wenn man nicht den Mut hat, für Veränderungen zu kämpfen", sagt Sani, "dann wird man seine Hoffnung und Zuversicht verlieren". Sie fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen, blickt zu Boden. "Aber wenn wir der Realität ins Auge sehen, ist es schon schwer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Die Zukunft ist ungewiss. Und das macht mir Angst."
In einem kleinen afrikanischen Dorf, in dem Sani vor einiger Zeit half einen Brunnen zu bauen, blickt sie dem Elend direkt in die Augen. Die Menschen dort hatten fast nichts: Kein Essen, kein sauberes Wasser, keine Perspektive. "Sie waren dazu gezwungen, kontaminiertes Wasser zu trinken", sagt sie. Sie schüttelt den Kopf. Ihre Stimme wird leise. "Als ich da war um zu helfen, musste auch ich dieses kontaminierte Wasser trinken, darin baden. Und ganz ehrlich, das hat mich psychisch fertig gemacht."
Sani lernt zwei junge Mädchen kennen, fragt, ob sie sich ihre Farm ansehen kann und wie sie arbeiten. Was sie nicht weiß: Jeden Morgen um 5 oder 6 Uhr, noch bevor sich die trockene Hitze über dem Himmel staut, laufen die beiden los, zehn Kilometer zu ihrer Farm. Die steigenden Temperaturen machen es unmöglich für sie, später loszulaufen und mit der Arbeit anzufangen. Und der Weg zur Farm ist weit.
In gebückter Haltung arbeiten sie auf dem Feld. Sanis Rücken schmerzt. Die Sonne knallt. "Wie haltet ihr das nur durch?", will sie von den beiden Mädchen wissen. "Wir haben keine Wahl", antworten sie. Auch ihre Rücken schmerzen, auch ihre Beine sind müde. Eines der Mädchen krümmt sich plötzlich, übergibt sich. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Hitze steht. Aber sie arbeitet weiter, sie muss.
"Ihre Eltern sind arm, sie kann nicht zu Hause bleiben, weil sie krank ist. Sie hat sich übergeben und immer weiter übergeben und sie wollte einfach nicht aufhören zu arbeiten." Sani und das andere Mädchen bekommen Angst, rufen Hilfe. "Als jemand kam, war sie schon so krank, dass sie nicht mehr laufen konnte. Der Mann hat sie in seine Tasche gelegt und ins Krankenhaus gebracht." Die Diagnose: eine schwere Form von Malaria. Und Blutarmut. Aber sie kann nicht im Krankenhaus bleiben. Sie hat kein Geld. "An diesem Tag wollte ich einfach nur weinen. Aber ich konnte nicht weinen – ich musste stark sein, ihnen zeigen, dass ich sie unterstütze. Aber sie leiden so sehr unter diesem System. Was ist der Unterschied zwischen ihnen und mir? Warum müssen sie so sehr leiden?"
Eine Antwort darauf hat Sani nicht. "Aber das System muss sich ändern." Zwar sei nicht die Klimakrise allein für das Leid der Menschen verantwortlich, aber sie habe einen gehörigen Anteil daran. Und der werde immer größer.
Um auf die Lage und das Leid der Menschen im globalen Süden aufmerksam zu machen, hat Sani eine Petition gestartet – und fordert eine Kompensation für den Ökozid und die Zerstörung des Ökosystems. "Ich habe eine so unbeschreiblich große Angst vor der Klimakrise und ihren Auswirkungen. Aber ich habe noch größere Angst davor, aufzugeben und die Hoffnung zu verlieren. Denn momentan sieht es nicht gut aus."