Plantagenwälder, Waldsterben, Klimakrise: Deutschlands Wälder leiden. Aber wie steht es wirklich um das Ökosystem Wald? Und trägt der Pakt, den rund 100 Staaten auf der Weltklimakonferenz COP26 beschlossen haben, um die Zerstörung der Wälder bis 2030 zu stoppen, tatsächlich zur Rettung des Waldes bei?
Darüber spricht watson mit Deutschlands bekanntestem Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben. Er äußert sich über die Wichtigkeit des Waldes, die Haupttreiber seiner Rodung und die Chancen, die ein Waldsterben von Plantagenwäldern und Monokulturen mit sich brächte.
watson: Warum ist der Wald so wichtig für uns?
Peter Wohlleben: Ohne Wald könnten wir weite Landschaften überhaupt nicht bewohnen. Wald kühlt – im Vergleich zur freien Landschaft um zehn, im Vergleich zu Städten teilweise sogar um bis zu 20 Grad, die Temperatur herunter. Mit weniger Wald hätten wir es auch ohne Klimawandel deutlich heißer hier. Wald sorgt für die Regulierung des Wasserhaushalts, das heißt: Über dem Wald regnet es mehr, mit Wald gibt es weniger Hochwasser – also alles Dinge, die uns in den letzten Jahren einiges an Sorgen bereitet haben.
Wie genau macht der Wald das denn?
Dafür machen wir einen kurzen Abstecher zurück in die Geschichte: Pflanzen gibt es schon seit über 500 Millionen Jahren, sie können sich nicht von der Stelle bewegen. Und deswegen ist klar, dass wenn irgendetwas nicht stimmt – gerade bei langlebigen Pflanzen, wenn sich etwas am lokalen Klima negativ verändert – sie anfangen, ihre Umwelt zu manipulieren. Und zwar aktiv.
Und wie manipulieren Bäume ihre Umwelt?
Das machen Bäume schon sehr lange, das wusste übrigens schon Alexander von Humboldt 1831. So ein ausgewachsener Baum wie eine Buche kann am Tag bis zu 500 Liter Wasser verdunsten und diese Verdunstungskälte – das kennen wir ja auch von uns Menschen, wenn sich unser Körper durch Schweiß abkühlt – macht diesen Kühlungseffekt aus, es ist nicht der Schatten der Bäume.
Was passiert mit dem ganzen verdunsteten Wasser?
Das Wasser ist nicht verloren, weil sich über intakten Wäldern Tiefdruckgebiete und Regenwolken bilden, die das verdunstete Wasser wieder abregnen. Es gibt sogar einen Forschungsbericht aus dem Kongo von diesem Jahr, dass 80 Prozent des Regens der ersten Regenzeit aus dem Wald selber stammt.
Ist das auch der Grund, weswegen der Wald eine so wichtige Rolle in Bezug auf den Klimawandel spielt?
Genauso ist es. Global ist die Entwaldung einer der Haupttreiber der Klimakrise. Indonesien, Brasilien, das sind Klimatreiber aus genau diesem Grund. Entwaldung, die allerdings schon früher stattgefunden hat, nämlich zur Gewinnung landwirtschaftlicher Fläche oder nicht stattfindende Wiederbewaldung großer Flächen, ist übrigens auch für uns persönlich der größte Teil des ökologischen Fußabdrucks. Wir haben große landwirtschaftliche Flächen, ungefähr so groß wie der Wald in Deutschland, am Ende für Tierfutter gerodet. Und das Problem ist: Für eine tierische Kalorie brauchen wir sieben pflanzliche Kalorien.
Das heißt also, dass der Haupttreiber für die Waldrodung unser Fleischkonsum ist.
Genau. Wenn wir den Konsum tierischer Produkte etwas zurückfahren würden, dann könnten wir wieder deutlich mehr Waldfläche direkt vor unserer Haustür gewinnen.
Nun haben ja hundert Staaten – unter anderem auch Brasilien – vor ein paar Tagen auf der COP26 einen Pakt geschlossen, um die Zerstörung der Wälder ab 2030 zu stoppen. Macht Ihnen das Hoffnung?
Das ist so ähnlich wie mit dem Kohleausstieg für das Jahr 2038 – das ist natürlich viel zu spät. Warum macht man das denn nicht jetzt sofort? Es gibt ja keinen zwingenden Grund, noch neun Jahre im großen Stil die Erde zu entwalden. Und genau das ist es letztendlich: Ein internationaler Freibrief, nochmal ordentlich für neun Jahre zuzulangen, weil man ja ein Ausstiegsszenario hat. Wir sehen das ja jetzt schon in Brasilien, da steht der Regenwald vor dem Zusammenbruch. Neun weitere Jahre starke Entwaldung möchte ich mir eigentlich nicht vorstellen.
Zumal ja kritisiert wird, dass 2014 bereits eine ähnliche Erklärung beschlossen wurde, die sich aber als wirkungslos erwiesen hat...
Ja, natürlich. Man sieht es wieder am Beispiel Brasilien – die Entwaldungen dort sind zu einem großen Teil auch jetzt schon nicht legal. Und was heißt nicht legal? Dass sie gegen das Gesetz verstoßen. Es müsste also geahndet werden. Und Brasilien hat Behörden, die das in der Vergangenheit zum Teil schon durchgesetzt haben. Aber Bolsonaro hat die Großkonzerne und Großgrundbesitzer regelrecht dazu ermutigt, illegal Wald abzuholzen – und das selbst in Schutzgebieten und Naturreservaten sowie Gebieten der indigenen Bevölkerung. Und schon jetzt ist das illegal. Was sollte sich da also ändern, nur weil sich die Staaten plötzlich auf das Jahr 2030 festlegen?
Sind der Wald und die Erde denn überhaupt noch zu retten? Nachdem, was Sie so berichten, klingt das, als hätten Sie da wenig Hoffnung.
Ich habe da ganz große Hoffnung! Die Natur als Prozess kriegt man ja nicht kaputt. Wälder kämpfen sich wirklich überall zurück – das kann jeder vor der eigenen Haustür und selbst im Blumenkasten auf dem Balkon sehen: Überall wachsen kleine Bäume. Also der Wald kommt zurück.
Aber?
Es geht um unsere ökologische Nische, die wir hier gerade zertrümmern – also die Erde als Ökosystem, auch wenn wir auf dem Weg nach unten noch einiges zerstören. Aber die Erde als System, die Natur als System, auch die Wälder als System, die können wir gar nicht vernichten. Und das ist eigentlich etwas sehr Positives, weil wir diese Entwicklung jederzeit stoppen und umkehren können. Es gibt keine negativen Kipppunkte, die das verhindern. Es wird schwieriger, wenn wir solche Kipppunkte überschreiten, gar keine Frage. Aber es ist nicht unmöglich und das gibt mir Hoffnung.
Ist es denn aber nicht problematisch, dass es so viele Plantagenwälder gibt, die ja keinen großen Effekt auf das Klima haben, aber nur noch wenige intakte Mischwälder?
Solche naturfernen Wälder haben wir auf weit über der Hälfte unserer Waldfläche. Das sind ja eigentlich nur ökologische Wüsten und keine Wälder – so wie Maisfelder auch keine Wiesen sind. Diese Plantagen haben hier immer schon Schwierigkeiten gehabt, da gab es bereits in der Vergangenheit katastrophale Zusammenbrüche dieser Monokulturen – und zwar schon seit 1840 und dann immer wieder, im Schnitt alle zehn Jahre. Und durch den Klimawandel verschärft sich die Situation nochmal. Aber dieser Zusammenbruch ist eigentlich eher eine Chance.
Wie das?
Weil es erst einmal "nur" ein ökonomischer Schaden ist. Ökologisch sind diese Plantagenwälder sowieso nicht viel wert. Und genau darin sehe ich jetzt eine Chance – wenn das alte System dieser Forstwirtschaft jetzt endet. Und das wird enden. Das ist auch den Beteiligten im Prinzip klar.
Heißt das, dass diese Plantagenwälder nicht viel CO2 speichern, oder warum spielen sie ökologisch gesehen keine große Rolle?
Langfristig speichern die ohnehin praktisch kein CO2, weil es sich um Plantagenbäume handelt. Die werden zum einen im Schnitt nur 78 Jahre alt und zum anderen werden sie abgeholzt und verarbeitet. Und wenn Produkte verarbeitet werden, gelangt das CO2 direkt oder indirekt wieder zurück in die Luft. Ökologisch sinnvoll können nur heimische Mischwälder sein, die sehr, sehr stabil sind. Die haben im Übrigen das Vierfache an Biomasse im Vergleich zu einer Plantage. Und das Vierfache an Biomasse bedeutet eben auch das Vierfache an gespeichertem CO2. Aber der schon angesprochene Kühlungs- und Regeneffekt der Wälder ist eigentlich viel, viel wichtiger als der CO2-Speicher der Bäume.
Was würde denn passieren, wenn das Waldsterben, von dem Sie in Interviews häufig sprechen, weiter voranschreiten würde?
Solange es sich nur um das Plantagensterben handelt, ist es erst einmal eine Chance wieder zu einem stabileren Ökosystem zu kommen. Aber da, wo Wälder verschwinden, wird es in der gesamten Landschaft erstmal wärmer. Dass diese Plantagenwälder wegen Borkenkäferbefalls kahlgeschlagen werden, verschlimmert die ganze Situation nochmal – denn auch tote Bäume spenden Schatten, auch tote Bäume würden Wasser speichern und die Landschaft zumindest etwas kühlen. In der Regel werden diese Flächen aber kahlgeschlagen, was zu einer Aufheizung und weiteren Austrocknung großer Landschaften führt. Wir werden deutlich mehr Sommertrockenheit erleben, wenn diese Plantagen verschwinden. Das ist im ersten Schritt so.
Und im zweiten Schritt?
Wenn das vernünftig wiederbewaldet wird, nämlich mit heimischen Laubbäumen, dann wird dieser Effekt irgendwann ausgeglichen und sogar überkompensiert. Das heißt: In Jahrzehnten – das dauert halt leider relativ lange – wird es so sein, dass die Landschaften im Vergleich zu heute noch kühler werden könnten. Aber aktuell sieht es leider nicht danach aus, stattdessen werden im großen Stil Nadelholzplantagen angelegt und vielleicht ein paar Laubbäume dazwischengesetzt.
Das heißt aber, dass es für die normalen Mischwälder erst einmal kein Problem wäre, wenn es durch das Absterben der Plantagenwälder wärmer würde?
Das wissen wir nicht. Wir haben zum Beispiel ein Projekt, wo wir sehr alte Buchenwälder unangetastet lassen – bei diesen intakten alten Laubwäldern sehen wir momentan noch überhaupt keine Schwächung. Also die können sich noch sehr gut selbst regulieren. Wenn es jetzt wärmer werden sollte, haben wir nur das Problem, dass wir nicht wissen, ab was für einem Punkt es dann zu warm ist, sodass auch diese Bäume unter Stress geraten. Leider können wir gerade beobachten, dass in den intakten alten Laubwäldern ein sehr starker Holzeinschlag stattfindet, weil da die wertvollen Hölzer zu finden sind, da kann man jetzt gut Geld verdienen.
Und was genau passiert mit den Wäldern?
Sie werden aufgelichtet und mit Maschinen zerfahren. Durch dieses viele Licht, was da jetzt reinfällt, heizen sich die Wälder auf. Da können wir erste Ausfallerscheinungen bei Laubwäldern beobachten.
Glauben Sie also, dass die Menschen noch immer nicht verstanden haben, wie wichtig der Wald für uns ist – auch in Bezug auf den Klimawandel?
Ich glaube schon, dass die Bevölkerung das mehrheitlich verstanden hat. Aber wir haben dieses alte Forstbewirtschaftungssystem, das behördlich nicht nur gestützt, sondern sogar betrieben wird.
Die staatlichen Kontrollbehörden, die die Entwaldung eigentlich unterbinden müssten, sind selbst die größten Holzverkäufer Deutschlands, die größten Dienstleistungsgeber und die kontrollieren das, was sie selbst machen. Es ist also ein System, das sich selbst nicht erneuern kann. Und das arbeitet momentan unter Hochdruck in die falsche Richtung – also von dem weg, was sich auch die breite Bevölkerung wünscht. Und genau darin liegt die Problematik. Dass die Menschen das verstanden haben, daran habe ich überhaupt keine Zweifel – das System ist das Problem, das muss sich ändern.
Kleiner Themenschwenk: Nun gibt es ja viele Aufforstungsprojekte, durch die CO2 kompensiert und der Klimawandel entschleunigt werden soll. Bringt das was, oder ist das reines Greenwashing?
Jein. Wenn man Waldfläche vergrößern und langfristig das Ökosystem zurückbekommen möchte, dann ist das gut. Vorausgesetzt man pflanzt nicht auf Kahlschlägen, die die Forstverwaltungen zuvor angelegt haben. Auf solchen Kahlschlägen zu pflanzen, ist komplettes Greenwashing – aus zweierlei Gründen.
Nämlich?
Zum einen unterstützt man damit die Kahlschlagpraxis und es wird noch medienwirksam verbreitet, dass da etwas für die Zukunft getan wird. Aber in Wirklichkeit ist kurz zuvor ein Kahlschlag erfolgt und nochmal: Auch tote Bäume sind wertvoll für das Ökosystem. Wenn man die alle abholzt, und sei es wegen des Borkenkäfers, dann setzt die Katastrophe erst ein. Das zweite ist, dass diese Flächen sowieso wieder aufgeforstet werden würden. Da entstehen keine zusätzlichen Wälder. Die Leute, die Kahlschläge machen, sind nämlich dazu verpflichtet, diese wieder aufzuforsten. Dadurch gibt es also keinen einzigen zusätzlichen Baum.
Das heißt, es bräuchte brachliegende, zusätzliche Flächen?
Ja. Wenn man beispielsweise Ackerflächen aufforsten würde, gibt es zwei Aspekte, die wichtig sind. Der eine ist: In den ersten Jahren bis Jahrzehnten gasen die Böden mehr CO2 aus, als die Bäume aufnehmen können. Eine frische Aufforstung als Ausgleich für den CO2-Ausstoß andernorts auszugeben, ist also ebenfalls Greenwashing. Das geht überhaupt nicht anders, weil es Jahre bis Jahrzehnte dauert, bis das CO2 auf dieser Fläche kompensiert wird.
Und der zweite Aspekt?
Wenn ich einen Acker aufforste, auf dem vorher beispielsweise Futtermais angebaut wurde, dann fällt diese Produktionsfläche weg und das Futter wird entsprechend importiert. Im Worst Case Scenario ist das Soja aus Brasilien. Und dort wird die entsprechende Regenwaldfläche gerodet.
Klingt nach einer Zwickmühle...
Man müsste entsprechend den Fleischanteil in der Ernährung reduzieren, damit die Ackerflächen oder auch andere Tierfutterflächen wie Wiesen auch tatsächlich frei werden. Reduzieren müsste man den Anteil tierischer Produkte zum Beispiel in den Firmenkantinen, dort wäre das ja überhaupt kein Problem. Und erst dann ist es eine saubere Sache: Eine Fläche, auf der vorher kein Wald gewachsen ist, wird frei und bewaldet. Und nochmal auf das CO2 bezogen: Langfristig ist das eine gute Sache – es wird ein wunderschöner Wald daraus, ein Ökosystem, das kühlt und Regen bringt. Aber kurzfristig gesehen ist diese CO2-Kompensation absolut untauglich.
Was braucht es denn, damit der Wald gesund wird und es auch bleibt?
Der braucht vor allem Ruhe. In den allermeisten Wäldern wird mittlerweile mit der Motorsäge gearbeitet. Und diese Auflichtung, Biomasseentzug – das verträgt gar kein Ökosystem und der Wald eben auch nicht. Wir brauchen mehr wilde Wälder, dichte Wildnis, wo der Mensch sich nicht aktiv einmischt. Und echte Wildnis haben wir in Deutschland nur auf 0,6 Prozent der Fläche – das ist viel zu wenig. Global gefordert wird ein Minimum von 30 Prozent, was übrigens auch in Deutschland denkbar wäre: Ohne, dass wir weniger zu Essen haben, ohne, dass wir weniger Holz haben.
Das klingt, als würde jetzt ein großes "Aber" kommen...
Ja, denn das würde eine erhebliche Einschränkung bei der Nutzung tierischer Produkte bedeuten. Möglich wäre das aber. Und was man dazu nicht verkennen darf: Andere Länder schauen genau hin, wie das hier in Deutschland läuft. Vielen Experten ist mittlerweile aufgefallen, dass hier mit Doppelmoral und sehr scheinheilig gearbeitet wird. Deswegen ist es auch dringend erforderlich, dass wir hier bei uns anfangen, Natur zurückkehren zu lassen.
Hat Deutschland also eine Art Vorbildfunktion was den Wald angeht?
Auf jeden Fall. In der Vergangenheit, vor etwa 150 Jahren, war es die deutsche Forstwirtschaft, die auf viele Länder übertragen wurde. Im Übrigen zum Leidwesen der Ökologen heute, die sagen, dass deutsche Förster die lokalen Wälder in anderen Erdteilen kaputtgemacht haben. Aber damals galten sie als ein absolutes Vorbild, was noch bis heute nachklingt. Und das ist eigentlich eine schöne Chance, an eine neue Art der Forstwirtschaft anzuknüpfen. Das machen wir übrigens gerade auch mit dem Magazin "Geo" und dem Biologen Professor Pierre Ibisch: Wir initiieren den neuen Studiengang „Sozialökologische Waldbewirtschaftung“, der in eineinhalb Jahren starten wird und es sich zum Ziel gemacht hat, Wald anders zu behandeln und eine neue Art der Waldbewirtschaftung zu entwickeln.
Wenn das mal nicht ein optimistisches Schlusswort ist.
Das stimmt. Man muss den Karren manchmal erst gegen die Wand fahren, damit es danach wieder bergauf geht.