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Preise im Sinkflug: Warum Schweinehalter ihre Tiere nicht mehr loswerden

Schweine liegen in der Bucht eines Tierwohl-Schweinestalls. Der Stall ist einer von mehreren neuen, besonders tiergerechten Schweineställen im Landkreis Göppingen, aus denen Schweine über mehrere regi ...
Seit Beginn der Corona-Pandemie befinden sich die Preise für Schweinefleisch im freien Fall. Das treibt zahlreiche Betriebe in die Existenznot.Bild: dpa / Marijan Murat
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Preise im Sinkflug: Warum Schweinehalter ihre Tiere nicht mehr loswerden

12.10.2021, 12:2012.10.2021, 12:45
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Mit jedem Schwein, das sie verkaufen, machen Landwirte derzeit Verluste – bis zu 70 Euro pro Tier. Die Marktlage ist für zahlreiche Betriebe existenzbedrohend, und das bereits seit eineinhalb Jahren. Um ihre Lebenshaltungskosten zu decken, müssen viele Familienbetriebe von Rücklagen oder Eigenkapital leben. "Die Branche befindet sich in einer Preis-Kosten-Falle", erklärt Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen gegenüber watson. "Die Preise sinken, die Kosten sind aber im Vergleich zu letztem Jahr um 30 Prozent gestiegen – hauptsächlich wegen steigender Preise für Futtergetreide und Energie."

Um ihre Kosten decken zu können, müssten die Schweinebauern rund 1,85 Euro je Kilo Fleisch von den Schlachtbetrieben bekommen. Doch der Preis liege derzeit bei einem Tief von 1,20 Euro. "Insgesamt summieren sich die Verluste jetzt seit über einem Jahr zu gigantischen Beträgen auf", sagt Viktoria Große-Gödinghaus von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) im Gespräch mit watson. Ein Beispiel: Bei einem Familienbetrieb mit 300 Sauen für die Ferkelerzeugung und 2500 Mastplätzen würde ein Verlust von 70 Euro pro Schwein zu finanziellen Ausfällen von mehr als 500.000 Euro im Jahr führen.

Pandemie und Afrikanische Schweinepest drückten die Preise

Begonnen hat der Preisverfall für Schweinefleisch Anfang 2020 mit Beginn der Corona-Krise. Allerdings zeitversetzt, wie Hortmann-Scholten berichtet. "Auf geschlossene Restaurants und Kantinen im Lockdown folgten Stilllegungen von Schlachthöfen im Sommer wegen vieler Corona-Fälle unter Mitarbeitern." Die Preise gerieten unter Druck.

Am 11. September 2020 brach die Afrikanische Schweinepest aus. Es folgte ein Export-Stopp in die asiatischen Länder: Pfötchen, Ohren, Schnauzen: die Ausfuhr von Schweineteilen, die in Deutschland kaum gegessen werden, brach zusammen. Der Wegfall der asiatischen Märkte führte zu "erheblichen Erlösrückgängen" und schlechteren Erzeugerpreisen. Denn statt der Exporterlöse mussten die Nebenprodukte nun teuer entsorgt werden.

225.000 Tonnen Schweinefleisch haben sich in Kühlhäusern aufgestaut

Hinzu kommt: "Die Lager sind voll mit Fleisch, das Angebot an Schlachtschweinen nimmt saisonal zu", sagt Große-Gödinghaus. Das hänge mit der Fruchtbarkeit der Sauen und einem besseren Wachstum der Schweine generell zusammen. "In den Kühlhäusern haben sich in Folge von Corona, Afrikanischer Schweinepest, großem Konkurrenzdruck durch Schweinefleisch aus anderen EU-Ländern und schwacher Grillsaison riesige Mengen an Schweinefleisch aufgestaut", erklärt sie weiter. Im August seien es mit 225.000 Tonnen mehr als doppelt so viel gewesen wie im August 2019. Zudem sei der Schweinefleischkonsum in Deutschland seit Jahren rückläufig. So sank der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum von 36,7 Kilo im Jahr 2016 auf 32,8 Kilo im vergangenen Jahr.

Die Zahl an Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, steigt seit Jahren. Dass Bewegungen wie Fridays for Future mehr Menschen dazu bewegen, aus Klimaschutzgründen ihre Ernährung zu ändern und auf Fleisch zu verzichten, hält Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, für möglich. Er appelliert aber vor allem an die Konsumenten, durch politischen Protest bessere Bedingungen für die Tierhaltung einzufordern.

Kopatz sieht die Industrialisierung der Tierhaltung als politisch gewollten Prozess an. Der werde beispielsweise durch die Abschaffung der Flächenbindung bewirkt. Die sollte garantieren, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb über genügend Fläche verfügt, um seine Tiere davon zu ernähren und ihren Dung auszubringen. "Dadurch gehen natürlich die Preise runter, was den Wettbewerbsdruck für die Landwirte erhöht und das Höfesterben beschleunigt hat." Durch den fallenden Preis gehe auch die Wertschätzung für Fleisch verloren.

Menschen verdrängen Lebensbedingungen der Schweine in Massentierhaltung

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), sagt Kopatz, betone immer wieder, dass die eigentliche Macht und Verantwortung bei den Konsumenten liege. "Ich bezweifle aber, dass die Konsumenten sich bewusst für die Qualhaltung entscheiden, wenn sie billiges Fleisch kaufen."

"Kein Hundehalter würde solche erbärmlichen Bedingungen für sein Tier auch nur einen Tag akzeptieren, wie die Sauen leiden, wenn sie Ferkel bekommen... Es ist pervers."
Michael Kopatz

Die Verantwortung für die Landwirtschaft an den Konsumenten abzutreten, sei eine "seltsame Vorstellung", und vielmehr Sache der Politik.

Das sieht Viktoria Große-Gödinghaus ähnlich. Wie auch zahlreiche Landwirte wünscht sie sich mehr Unterstützung von der Politik. Aus Sicht der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschland (ISN) bräuchte es eine Zukunftsprämie, um Schweinehalter finanziell zu unterstützen. Im Klartext bedeute das: weniger Genehmigungshürden, mehr Platz für Entwicklungen.

In welche Richtung sich Landwirtschaft und Schweinezucht entwickeln, ist noch unklar. Aufgrund der unsicheren Lage empfiehlt aber selbst Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen jungen Menschen nicht mehr, in das Geschäft mit dem Schweinefleisch einzusteigen. "Alternative Produktionskonzepte können langfristig eine Option sein", fügt er hinzu – wenn die Vermarktung zu deutlich höheren Preisen gesichert sei.

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