Abgesehen von der Gefahr, war der Ausbruch auch ziemlich beeindruckend – viele Fotografen wollten im Jahr 2010 diesen Moment festhalten Bild: imago images / Nature Picture Library
Island war für den Rest der Welt lange nur eine Insel irgendwo im Nordatlantik – dann brach vor zehn Jahren der Eyjafjallajökull aus. Die Aschewolke legte tagelang den Flugverkehr lahm. Dann schoss etwas ganz anderes als Asche in die Höhe: die Zahl der Touristen.
Selbst die Kanzlerin hat ihre ganz persönliche
Geschichte mit dem unaussprechlichen Vulkan zu erzählen. Ihre
bisherige Bekanntschaft mit Island sei gewesen, dass sie 2010 von
einer Amerika-Reise nur über Umwege via Portugal, Rom und in einem
Bus voller Journalisten ins Kanzleramt zurückreisen konnte, sagte
Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Sommer bei ihrem ersten
Island-Besuch. Grund sei der Ausbruch des "berühmten Vulkans"
gewesen, sagte sie damals im Thingvellir-Nationalpark – des "Eyja...
fjatala... jö-tjül... naja, Sie wissen schon, wen ich meine".
Merkel ist bei Weitem nicht die einzige, die so ihre Probleme mit der
Aussprache des Eyjafjallajökulls hat. Seine Geschichte kennt trotzdem
jeder: Vor zehn Jahren brach der Vulkan inmitten des gleichnamigen
Gletschers rund 130 Kilometer östlich von Reykjavik mit heftigster
Naturgewalt aus, die darauf folgende kilometerhohe Aschewolke legte
über mehrere Tage den internationalen Flugverkehr lahm. Es folgte das – bis zur Corona-Krise – größte Reisechaos der jüngeren Geschichte.
Feuer, Eis – und eine riesige Aschewolke. Diese beeinträchtige den internationalen Flugverkehr insgesamt mehrere Wochen.Bild: imago images / ingimage
Millionen Menschen auch in Deutschland mussten nach der Eruption des Vulkans am 14. April 2010 am Boden bleiben, weil die Vulkanasche für einen
weitgehenden Flugstopp über Nord- und Mitteleuropa gesorgt hatte.
Angeblich waren sechs Prozent der Weltbevölkerung von der Aschewolke
betroffen, erzählt man sich heute, nicht ganz ohne Stolz, auf Island.
So haben es die Isländer erlebt
"Für uns war es seltsam, dass unser Gletscher Schuld daran war, dass
Millionen von Menschen irgendwo auf der Welt festsaßen", erinnert
sich Gudny Valberg. Sie und ihr Mann Ólafur Eggertsson hatten damals
ganz andere Sorgen als die Nöte gestrandeter Flugpassagiere: Nach dem
Ausbruch legte sich eine sechs Zentimeter dicke Ascheschicht über
ihren Hof, der direkt unterhalb des Eyjafjallajökulls steht. Bilder,
die damals um die Welt gingen, zeigten immer wieder dasselbe: die
Farm mit ihren weißen Häusern und roten Dächern, darüber die brutal
riesige Aschewolke.
"Da waren gewaltige Kräfte am Werk", sagt Eggertsson, als er auf
seinem Hof über die Vorkommnisse des Frühjahrs 2010 spricht. Die Familie ringt
wegen der vulkanischen Aktivitäten erst mit den Fluten eines Flusses,
der aufgrund von geschmolzenem Gletscherwasser über die Ufer getreten
ist, dann legt sich der schwarze Ascheteppich über die Farm.
"Am
helllichten Tag wurde es pechschwarz wie mitten im Winter", erzählt
Eggertsson. Die Familie kämpft in der Folge um ihren Hof, das Vieh
auf den ehemals grünen Wiesen und letztlich um ihre Existenz.
Zum Glück war Island vorbereitet. In den vergangenen 1500 Jahren ist
der Eyjafjallajökull nur fünfmal ausgebrochen. Dennoch hatten die
Isländer eine Vorahnung. "Wir haben vom Anfang des Jahres an
erwartet, dass irgendetwas passieren wird. Anfang März war klar, dass
etwas Großes vor sich ging", sagt der Geophysiker Magnús Tumi
Gudmundsson im Vulkanischen Zentrum der Universität von Reykjavik.
Bereits 2006 gab es Notfallübungen für den Fall der Fälle. Als sich
am Eyjafjallajökull am 20. März erst geschmolzenes Gletscherwasser in
eine Schlucht ergießt, der nahe gelegene Fimmvörduháls dann einen Tag
später Lava spuckt und es am 14. April 2010 schließlich zur großen
Eruption kommt, sind die Menschen in der Region vorbereitet. "Die
meisten von ihnen waren nicht um ihr Leben besorgt, sondern um ihre
Existenzgrundlage", sagt Gudmundsson. Angst hätten sie überwiegend
aber nicht gehabt. "Feuer und Eis: So ist das eben in Island."
Der Flugverkehr wurde lahm gelegt
Die viele Kilometer in die Luft ragende Aschewolke dehnt sich derweil
zusehends aus. Aschepartikel erreichen das europäische Festland und
damit auch Teile Deutschlands, Anfang Mai ist zudem der gesamte
Nordatlantik mit Partikeln übersät – ein gehöriges Problem für den
Flugverkehr, der deshalb mehrere Tage brachliegt.
Island traf die Eruption unmittelbar nach der Finanzkrise, von der
sich die Insel nur langsam erholte. Bei den Banken, darunter viele
britische, standen die Isländer in der Kreide. In der Region um den
Eyjafjallajökull erzählt man sich heute, man habe den Briten nur
Asche statt Kohle – "ash" statt "cash" – über den Atlantik geschickt.
Der Tourismus blühte auf
Großer Gewinner des Ganzen ist auf lange Sicht Island selbst gewesen:
Denn nach der Asche schoss etwas ganz anderes in die Höhe: die Zahl
der Island-Touristen. Im Jahr 2010 durfte Island knapp 490 000
Reisende im Land begrüßen – 2018 waren mehr als 2,3 Millionen, nach
einem Rückgang 2019 immerhin knapp zwei Millionen.
Islandpferde vor der riesigen Aschewolke.bild: imago images / imagebroker
Der Ausbruch sei ein wahrer "Game Changer" gewesen, sagt die
Direktorin der Tourismusbehörde Visit Iceland, Inga Hlín Pálsdóttir.
Das bedeutet: Nicht nur Merkel wurde durch den Vorfall auf Island
aufmerksam, vielmehr pustete die Aschewolke die Nordatlantik-Insel
ins Bewusstsein zahlreicher Touristen.
"Das war vielleicht die größte Werbung für Island", sagt auch Valberg
vom Hof unterhalb des Eyjafjallajökulls. Irgendwann, als die dicke
Ascheschicht vom Hof und den umliegenden Feldern abgetragen war,
baute die Familie selbst ein Besucherzentrum am Fuße des Gletschers
auf. Mit der rapiden Zunahme der Touristenzahlen und dem Wegzug der
Kinder wurde all das letztlich aber zu viel: Das Zentrum wurde
geschlossen, die Eindrücke von damals verwahrt die Familie heute in
einem der weißen Häuser des Hofs. In einem dort bewahrten Film sagt
Valberg: "Es ist spannend, am Fuß eines aktiven Vulkans zu leben. Wir
hoffen aber, dass sich der Gletscher erstmal ausgetobt hat."
Ach ja, und Merkel? Die frühere Physikerin zeigte sich bei ihrem
Besuch auf der Nordatlantik-Insel immens beeindruckt von Islands
Naturgewalten. Es tue der Menschheit gut, ab und zu daran erinnert zu
werden, welche Kraft, aber auch welche Schönheit die Natur habe,
sagte die Kanzlerin damals. "Am Beispiel von Island können wir noch
einmal stärker lernen, dass der Mensch mit der Natur pfleglich
umgehen muss und dass er ein Stück Demut zeigen muss auch gegenüber
der Natur." Auf Island weiß man das nicht erst seit 2010.
(si/dpa)