Osama bin Ladens ehemaliger Leibwächter wurde nach Tunesien abgeschoben. Führten Behörden dabei ein Gericht in die Irre? Entscheidende Fragen sind noch nicht beantwortet.
Nur auf den ersten Blick ist alles einfach: Es scheint nachvollziehbar, dass der ehemalige Leibwächter Osama bin Ladens Sami A., aus Deutschland abgeschoben wurde. Er gilt schließlich als Gefährder und war, wie es juristisch heißt, ausreisepflichtig.
Auf den zweiten Blick wird der Fall aber sehr kompliziert – und potentiell skandalös.
Sami A. wurde am Freitag nach Tunesien abgeschoben, aber das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sagt, er hätte nicht abgeschoben werden dürfen; und es sagt nicht explizit, aber zwischen den Zeilen sehr deutlich, es sei vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hereingelegt worden.
Entscheidend ist jetzt, wer was wann wusste; und wer was warum verschwieg. Je nachdem, wie die Antwort auf diese Fragen ausfällt, handelt es sich nur um eine Schlamperei zwischen vielen Behörden, oder um einen Skandal, der sogar den Bundesinnenminister betreffen könnte.
Was unstrittig ist – die Vorgeschichte:
Welche Behörden beteiligt sind:
Das Gericht kündigte an, für den Fall einer bevorstehenden Abschiebung einen eiligen so genannten "Hängebeschluss" treffen zu wollen; der hätte eine Abschiebung verhindert, bis das Gericht endgültig entschieden hätte.
Am 12. Juli traf offenbar ein Fax aus Nürnberg in Gelsenkirchen ein, wie ein Sprecher des Gerichts gegenüber t-online.de sagte. In einer Pressemitteilung zitiert das Gericht daraus: Das zuständige Flüchtlingsministerium in NRW habe dem Bamf "mitgeteilt, dass die in der Akte der Ausländerbehörde aufgeführte (vorsorgliche) Flugbuchung für den 12.07.2018 storniert wurde." Außerdem hätte Sami A. ja die Möglichkeit, mit Bitte um eine einstweilige Anordnung gegen eine Abschiebung vorzugehen. Eine Stillhaltezusage sei deshalb nicht nötig.
Heißt: Keine Abschiebung am Donnerstag. Keine Eile geboten. Von einem bereits gecharterten Abschiebeflug am Freitag sei nicht die Rede gewesen, teilt das Gericht mit. Ob diese Darstellung der Ereignisse auch dem Bamf zufolge stimmt, ist unklar.
Das Gericht entschied sich gegen einen Hängebeschluss und arbeitete eine vollständige Entscheidung aus. Es verbot die Abschiebung. Die 22-seitige Entscheidung war nach Angaben des Gerichts am Donnerstag um 19.20 Uhr fertig, wurde aber noch nicht an das Bamf und die Ausländerbehörde verschickt. Erst am nächsten Morgen ab 08.09 Uhr gingen Fax und Mail raus.
Da war Sami A. schon in der Luft.
Am Morgen, am Freitag, 13. Juli, verließ nämlich der Flug mit Sami A. um 6.53 Uhr den Flughafen Düsseldorf. Um 9.11 deutscher Zeit landete der Flieger in Tunesien. Warum wurde der Beschluss erst am Morgen verschickt? Die Servicestelle in der Geschäftsstelle sei nicht mehr besetzt gewesen und man habe keinen Anlass gehabt, anzunehmen, dass extreme Eile geboten sei, sagte ein Gerichtssprecher auf Anfrage.
Am Morgen des Freitags entschied das Verwaltungsgericht außerdem über einen Eilantrag gegen die drohende Abschiebung, der am Abend vorher eingegangen sein soll, als niemand mehr bei Gericht war; das Gericht bat nach eigenen Angaben den Vorsitzenden der Ausländerbehörde um 09.25 Uhr, Sami A. nicht aus dem Transitbereich des Flughafens in Tunesien zu lassen; damit wäre er nicht in Tunesien eingereist und könnte wieder zurückgebracht werden. Er solle sofort zurückgebracht werden.
Da war also ein Gefährder, dessen Fall seit Monaten durch die Öffentlichkeit geht, abgeschoben worden; aber ein Gericht entschied, er müsse zurückgebracht werden, weil das Verfahren nicht sauber abgelaufen sei. Das Ergebnis ist verheerend. Die einen sehen den Rechtsstaat geschwächt, weil Verfahren verletzt wurden; die anderen sehen den Staat blamiert, weil er einen Gefährder nicht los wird.
Wer also trägt dafür die Verantwortung?
Wer wusste von der Abschiebung?
Nur das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das die Abschiebung wohl verhindert hätte, wusste nach eigenen Angaben nichts davon.
Wer wusste, dass ein Verfahren läuft und das Verwaltungsgericht darum gebeten hat, über eine Abschiebung informiert zu werden?
Was heißt das: Wer hat einen Fehler gemacht?
Was also passiert ist? Kann derzeit niemand sagen. Es fehlen entscheidende Informationen. Die aktuell möglichen Szenarien lauten so:
Dieser Artikel erschien zuerst auf t-online.de