Viren mutieren. Bei der Vermehrung in den Wirtszellen treten Kopierfehler auf, die sich auf den "Erfolg" der kopierten Erreger auswirken. RNA-Viren – zu denen das neuartige Corona-Virus gehört – mutieren in der Regel schneller als DNA-Viren, denn sie können im Gegensatz zu diesen die DNA-Korrekturmechanismen der Wirtszellen nicht nutzen.
Es ist daher kein Wunder, dass auch Sars-CoV-2 bereits mehrfach mutiert ist. Es handelt sich schon jetzt um einen der am meisten genetisch analysierten Erreger; die zentrale Datenbank GISAID listet inzwischen mehr als 16.000 Genomsequenzen der 29.903 Basen des Virus auf. Indem die Forscher diese viralen RNA-Sequenzen miteinander vergleichen, können sie nachverfolgen, wo und wie stark Sars-CoV-2 mutiert hat.
Im März warnten Wissenschaftler, es gebe schon zwei oder drei Stämme des Virus, von denen einer aggressiver als die anderen sei und schwerere Erkrankungen auslöse. Dies war keine gute Nachricht, denn falls mehrere Stämme des Erregers kursieren, könnte dies die Suche nach einem effizienten Impfstoff – den es bisher allerdings noch nicht gibt – erschweren.
Bei Influenzaviren, den Erregern der saisonalen Grippe, muss die Impfung zum Beispiel jedes Jahr angepasst werden, da sie schnell mutieren – schneller als Sars-CoV-2.
Eine neue Studie der Universität von Glasgow widerspricht nun dem früheren Befund vom März: Zwar ist Sars-CoV-2 tatsächlich mutiert, aber es hat sich dabei laut der Studie noch nicht so stark verändert, dass von verschiedenen Stämmen die Rede sein könnte. Überdies scheinen die meisten Mutationen, die bisher bekannt sind, keinen Einfluss darauf zu haben, wie schwer die vom Virus verursachte Erkrankung Covid-19 verläuft.
Die Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse im Fachblatt "Virus Evolution" veröffentlichten, untersuchten das Genom von Virenproben, die während der Pandemie gesammelt wurden. In diesen Samples konnten sie bisher 7237 Mutationen feststellen – was nach viel klingt, für ein RNA-Virus aber, wie die Forscher betonen, eher wenig ist.
Im Vergleich zu anderen RNA-Viren mutiere Sars-CoV-2 eher langsam. Da sich das Virus jedoch mittlerweile weltweit verbreitet hat und die Zahl der Infizierten – und damit die Zahl der Kopiervorgänge – hoch ist, sind dennoch schon viele Genveränderungen aufgetreten.
Die Zahl der Mutationen dürfte daher noch zunehmen, wenn sich die Pandemie noch weiter verbreitet. Dies sei freilich nicht unbedingt ein Grund, sich zu sorgen, wie Studien-Co-Autor Oscar MacLean sagt: "Es ist wichtig, dass sich die Leute keine Sorgen machen über Virusmutationen. Mutationen sind normal und man muss mit ihnen rechnen, wenn sich ein Virus durch eine Population bewegt."
Eine andere Studie, die sich mit dem Genom von Sars-CoV-2 befasst, ist im Fachmagazin "Infection, Genetics and Evolution" erschienen. Die Wissenschaftler des University College London analysierten die Sars-CoV-2-Genome, die von mehr als 7500 infizierten Personen stammten, und konnten dabei 198 Mutationen identifizieren, die mehrmals und unabhängig voneinander aufgetreten sind. Sie könnten daher die Evolution des Virus beeinflussen.
Die Mutationen waren jedoch nicht gleichmäßig über das Genom des Virus verteilt, sondern betrafen besonders häufig drei Proteine, die am Aufbau neuer Viren beteiligt sind. Auch die Bauanleitung für das wichtige Spike-Protein, das für die Bindung an die Wirtszellen sorgt, war häufig verändert.
Dies deutet darauf hin, dass sich das Virus besser an den neuen Wirt anpasst, indem die Bindungsstelle optimiert wird. Dies erleichtert es dem Erreger, in die Zelle einzudringen.
Auch hier betonen die Wissenschaftler, dass die Veränderungen an sich noch keinen Anlass zur Sorge geben. Co-Autor Francois Balloux stellt fest: "Mutationen als solche sind nichts Schlechtes und bisher weist nichts darauf hin, dass Sars-CoV-2 schneller oder langsamer als erwartet mutiert. Bisher können wir nicht sagen, ob Sars-CoV-2 mehr oder weniger ansteckend oder tödlich wird."
Die Ergebnisse zeigten zudem, dass die Diversität der Virenproben in vielen Fällen innerhalb eines Landes gerade so groß war, wie dies auch weltweit der Fall ist. Dies dürfte seinen Grund darin haben, dass mehrere infizierte Personen, die unabhängig voneinander reisten, das Virus ins Land schleppten. Es gab in diesen Fällen also keinen "Patienten null", von dem alle Infektionen ausgingen.
Auch eine noch ungeprüfte Studie des Los Alamos National Laboratory in New Mexico, die auf dem Preprint-Server BioRxiv publiziert wurde, lässt vermuten, dass sich das Virus schnell an den Menschen anpasst. Sie zeigt zudem, dass bestimmte Mutationen die Ansteckungsfähigkeit des Erregers erhöhen könnten.
Die Wissenschaftler identifizierten bisher 14 Mutationen, die ebenfalls das Spike-Protein betreffen. Sie konzentrierten sich auf eine Mutation mit der Bezeichnung "D614G", die sich an einer Stelle des Proteins befindet, die von Antikörpern des Immunsystems erkannt wird.
Möglicherweise beeinflusst diese Mutation deshalb die Immunreaktion des Körpers: Sie könnte für eine längere Dauer der Infektion sorgen, indem sich das Virus durch die Veränderungen gegen die Antikörper wappnet. Möglich wäre auch, dass "D614G" – das in der Nähe der Bindungsstelle des Spike-Proteins mit dem menschlichen ACE-Protein liegt – dem Virus das Eindringen in die Zelle erleichtert und so die Infektiosität erhöht.
Die Folge einer längeren Dauer der Infektion wäre eine längere und stärkere Ausscheidung und Verbreitung von Viren, was für diese ein Selektionsvorteil wäre. Das leichtere Eindringen in die Zelle wiederum würde durch die Verstärkung der Ansteckungsfähigkeit die Epidemie verstärken. Bisher ist jedoch noch nicht geklärt, ob sich "D614G" tatsächlich in dieser Art auf die Eigenschaften von SARS-CoV-2 auswirkt.
Dass dem so sein könnte, lässt eine Analyse von Viren vermuten, die in der englischen Stadt Sheffield gesammelt wurden. Sie zeigte, dass diese mutierten Viren sich in kurzer Zeit gegen andere Varianten durchsetzten – von diesem Typ Infizierte wiesen eine höhere Virenlast auf als andere Patienten. Es gab jedoch keine Hinweise auf einen schwereren Verlauf bei diesen Infizierten. Die Vermutung wird zudem dadurch gestützt, dass die Mutation "D614G" Ende Januar in Deutschland erstmals nachgewiesen wurde, Ende April aber in Europa bereits die häufigste Variante war.