Der Ton ist schwer zu beschreiben.
Ein Surren. Ein leises Pfeifen.
Kein nerviges Geräusch. Im Gegenteil. Es klingt mehr nach einem Versprechen: "Da, wo diese Kraft herkommt, ist noch mehr", säuselt mir der Tesla ins Ohr.
Es ist ein lauer Frühlingsabend. Ich sitze am Steuer eines Model S und cruise in den Sonnenuntergang.
Das kam so ...
Inhaltsverzeichnis:
Vor ein paar Wochen wandte ich mich in einem offenen Brief an die Tesla-Fans: Es war ein kritischer Artikel, der sich mit den Risiken und Missverständnissen rund um die Technologie befasst, die Tesla als "Autopilot" vermarktet.
Ich schrieb:
Der Artikel wurde intensiv diskutiert in der watson-Kommentarspalte. Auch Philippe87 meldete sich zu Wort – und machte mir ein überraschendes Angebot ...
Was ich mit seinem Tesla erlebt habe, folgt gleich. Spoiler: Ich war nicht nur einen Tag unterwegs, sondern vier.
Philippe möchte im Hintergrund bleiben. Als wir uns treffen, betont er, es gehe nicht um ihn, sondern um die Vorteile, die Elektroautos gegenüber "Verbrennern" bieten (gemeint sind herkömmliche Autos mit Verbrennungsmotor, Anmerkung der Red.). Und, fügt der Tesla-Fan leise an, er sei der Ansicht, dass Journalisten wissen sollten, worüber sie schreiben.
Das sitzt! So formuliert ein Gentleman, dass er die Berichterstattung absolut kacke total unausgewogen findet.
Ist dem wirklich so?
Ich stöbere im watson-Archiv und stelle fest: Wer in den letzten Monaten verfolgte, was wir über Tesla berichteten, musste sich in einem sehr, sehr schlechten Film fühlen. Erst nach längerem Scrollen stoße ich auf einen positiven Beitrag.
Ok, die Medien tendieren generell zu schlechten Nachrichten. Dass aber ein dermaßen einseitiger Eindruck vermittelt wird, hat niemand verdient. Schon gar nicht Tesla.
Das von Elon Musk geführte Unternehmen hat Elektroautos praktisch im Alleingang sexy gemacht. Mittlerweile stellt hoffentlich niemand mehr die Vorteile der Elektromobilität infrage. Und doch halten sich hartnäckig gewisse Mythen und Halbwahrheiten, die längst durch Fachleute widerlegt wurden (siehe Lektüre-Tipps am Ende dieses Artikels).
Doch nun zu meinen praktischen Erfahrungen mit dem Autopiloten ...
Ich verabrede mich mit Philippe in der Stadt, wo er arbeitet. Wir treffen uns am späten Nachmittag, plaudern kurz und schon sitze ich hinter dem Lenkrad seines Model S.
Nach 15 Minuten, in denen er mir ruhig und humorvoll erklärt, was ich über den riesigen Touchscreen bedienen kann ("praktisch alles"), geht es auch schon los.
Keine zehn Minuten später sind wir auf der Autobahn und Philippe meint, nun könne der "Autopilot" übernehmen. Das ist mein Stichwort, um richtig ins Schwitzen zu geraten ...
Wir sind im stockenden Kolonnenverkehr und ich betätige den kleinen Hebel unterhalb des Lenkrads zweimal. Nun leuchtet in der Cockpit-Anzeige ein Lenkrad-Logo blau und das Fahrzeug bleibt wie von Geisterhand gelenkt in der Spur.
Sobald der Vordermann abbremst, verlangsamen auch wir – wenn auch gefühlt relativ spät, so dass ich mehr als einmal versucht bin, mit dem Fuß auf die Bremse zu treten.
Philippe erklärt, wie ich durch simples Drehen am Rädchen den Standard-Abstand zu Fahrzeugen vor mir vergrößere.
Ein paar Autobahn-Kilometer weiter ist die anfängliche Nervosität verflogen. Zuverlässig folgt "mein" Tesla dem vor ihm rollenden Verkehr. Der Puls passt sich dem Tempo an.
Ich habe immer mindestens eine Hand am Lenkrad, und lasse die andere aufs Knie sinken. Der rechte Fuß bleibt leicht verkrampft über dem Pedal – allzeit bremsbereit!
Trotz höchster Konzentration finde ich Zeit, mich mit Philippe über die Stärken und Schwächen von Tesla zu unterhalten. Und über die Berichterstattung in den Medien.
Schnell wird klar, dass er ein Tesla-Fan, aber kein Fanatiker ist. Mit dem Model S habe er sich einen Traum erfüllt. Seinen habe er über die Tesla-Website gefunden.
Wir plaudern und plaudern – und treffen trotz Monsterstau im Feierabendverkehr entspannt und wohlbehalten am Wohnort von Philippe ein. Dann erklärt er kurz, wie ich den Elektroboliden über Nacht mit dem Stromkabel auflade.
"That's it." Der Tesla gehört für ein langes Wochenende mir. Philippe zeigt keinerlei Trennungsängste und übergibt mir entspannt lächelnd den Schlüssel.
"Denk daran, der Autopilot ist nur eine Fahrhilfe", sagt er mit ruhiger Stimme, "die Verantwortung liegt immer bei dir". Und als ich schließlich aufbreche: "Keine Sorge, das Auto ist gut versichert. Hauptsache, du kehrst wohlbehalten zurück."
Viel mehr weiß ich von meiner ersten Tesla-Fahrt nicht zu berichten. Außer dass sich einige Verkehrsteilnehmer über mein breites Grinsen gewundert haben dürften. 😜
Hier mein vorläufiges Fazit, nachdem ich die "Autopilot"-Funktion an vier Tagen immer wieder aktivierte und – so weit ich es verantworten konnte – auf diversen Strecken testete:
Weitere Überlegungen, was sich bezüglich Teslas Autopiloten und dem autonomen Fahren ändern sollte, folgen unten.
Doch zunächst zu meinen Eindrücken, die ich auf großer Fahrt rund um den Bodensee sammeln konnte.
Bei mir gings ohne Aspirin. 😉
Das Fahrgefühl ist unbeschreiblich. Dank tiefem Schwerpunkt gleitet man wie auf Schienen – und gleichzeitig spürt man beim geringsten Druck aufs Pedal die ungeheure Kraft.
Weil ich vorgewarnt bin, dass der Tacho die Geschwindigkeit sehr präzise anzeigt (angeblich bis auf 1 km/h genau), halte ich mich peinlich genau an die Tempo-Limits. Und stelle erstaunt fest, dass auch korrektes Fahren riesig Spaß macht.
Das gilt vor allem für Situationen, in denen man an der Ampel wartet und einen "dicken" BMW hinter sich hat, der zuvor immer drängelte, weil man sich ans Tempolimit hielt: Bei Grün das Strompedal durchdrücken und sehen, wie der trollige Luftverpester im Rückspiegel verschwindet: unbezahlbar!
Könglich ist auch das Gefühl, wenn man über einsame Landstraßen und durch Wälder gleitet und bei heruntergelassenen Scheiben den Vögeln beim Singen und Zwitschern zuhören kann. Oder waren das die fabrikneuen 21-Zoll-Reifen? 😜
Die rasante Beschleunigung ist das eine, aber als schlicht genial empfinde ich das Prinzip der Rekuperation bei Elektroautos.
Der aus dem Lateinischen stammende Fachbegriff steht für die Energierückgewinnung durchs Bremsen. Wobei nicht die Bremsen abgenützt werden, sondern der Akku auflädt.
Natürlich hat der Tesla auch ein herkömmliches Bremspedal. Nach ein bisschen Übung und vorausschauendem Fahren braucht man es aber kaum mehr. Man geht stattdessen sanft vom Strompedal – und gewinnt Reichweite zurück.
Der Tesla ist ein Computer auf Rädern. Als Fahrer ist man in gewisser Weise Versuchskaninchen. Oder wie es auf Neudeutsch heißt: Beta-Tester. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlimm.
Im Gegenteil. Mit jedem Kilometer sammelt der Hersteller wertvolle, ja unbezahlbare Daten. Alle Teslas tragen also ihrerseits zu einer besseren (mobilen) Zukunft bei.
Was den Autopiloten betrifft, gilt festzuhalten: Es gibt nicht die eine Ausführung, die in allen Modellen gleich ist, sondern eine Vielzahl Systeme, basierend auf unterschiedlicher Hardware (Autopilot 1.0 und 2.0) und Firmware (Software).
Beides gelingt im Fahralltag. Auch wenn ich mir nach wenigen hundert Kilometern kein abschließendes Urteil anmasse.
Sicher ist: Man muss sich immer wieder die Grenzen der Technik in Erinnerung rufen. Ein gewisses Risiko fährt mit. Aber das war bekanntlich schon immer so im Straßenverkehr.
In den bisherigen Ausführungen ist der Autopilot lediglich ein Fahrassistenzsystem, das gemäß der anerkannten Klassifizierung das teilautomatisierte Fahren (Level zwei) ermöglicht.
Das bedeutet für Tesla-Fahrer:
Nicht unerwähnt bleiben dürfen gewisse systembedingte Schwächen: Unbewegliche Objekte auf der Fahrbahn werden unter Umständen nicht erkannt, zum Beispiel wenn sie plötzlich hinter einem spurwechselnden Fahrzeug auftauchen.
Das ist auf die Hardware zurückzuführen: Tesla setzt auf eine Kombination von Vorwärts-Radar, Kameras und Ultraschall-Sensoren, um andere Autos und die Straßenmarkierungen zu erfassen. Was hingegen fehlt, ist ein LIDAR-Aufbau auf dem Dach, der mithilfe von Laserstrahlen eine vollständige dreidimensionale Karte der Umgebung (und Hindernissen) erstellt.
Was beruhigend ist, aber auch immer wieder zu Diskussionen führt und Fragen aufwirft: Wie bei PC's und Smartphones kann der Hersteller Fehler im Betriebssystem fortlaufend beheben und Sicherheitslücken durch Updates schließen.
Fazit: Entspannt zurücklehnen wird man erst bei selbstfahrenden Autos, die Level drei erfüllen. Dann soll man auch mehrere Sekunden Reaktionszeit haben, um eingreifen zu können.
Tesla hat bereits für mehrere tausend Dollar Aufpreis die Option "Full Self Driving" (FSD) verkauft. Dabei handelt es sich vorläufig nur um ein Versprechen, bereits bestellte und ausgelieferte Modelle entsprechend aufzurüsten. Denn noch ist es ein sehr weiter Weg bis Level vier.
Meines Erachtens sind all diese Punkte durch Tesla kommuniziert worden. Die praktischen Schwächen dürften den meisten Kunden bekannt sein, dem breiten Publikum eher nicht.
Daraus folgt: Tesla muss noch besser informieren und das Verständnis für seine Technik fördern.
Kommt hinzu, dass Elon Musk mit vorschnellen Ankündigungen und fragwürdigen Äußerungen Ärger und Missverständnisse verursacht. Hier sollte sich der Chef zurücknehmen.
Am Autopiloten erstaunt hat mich, dass das Assistenzsystem auch in fragwürdigen Situationen, also bei problematischen Straßenbedingungen, grundsätzlich verfügbar war.
Die Tesla-Sensoren erfassen ja bekanntlich auch den Zustand der Strecke, die Straßenmarkierungen etc. Diese Daten werden in Echtzeit an die Tesla-Server in Kalifornien übermittelt und fließen dort in die Mutter aller Straßenkarten ein.
Wie wäre es mit einem darauf basierenden Geofencing, sodass der Autopilot nur dann aktiviert werden kann, wenn gemäß den vorliegenden Daten alles im grünen Bereich ist?
Tesla-Fahrer sind Idealisten, wie ich aus zahlreichen Gesprächen gelernt habe. Sie tauschen sich mit Gleichgesinnten und Kritikern aus, helfen sich gegenseitig mit Rat und Tat und versuchen, andere für die Elektromobilität zu begeistern.
Bei Elektroauto-Fans ist spürbar, dass sie zu einer besseren Zukunft beitragen wollen. Über dieses Sendungsbewusstsein mag man lächeln. Aber es hat bereits einiges verändert.
Jeder Tesla ist sozusagen ein Botschafter für das anbrechende neue Verkehrszeitalter.
Bleibt ein Problem: das Geld.
Die bislang erhältlichen Tesla-Modelle sind für die meisten Leute zu teuer, geradezu unerschwinglich. Ob sich das mit dem Model 3 wirklich ändern wird, ist fraglich.
Tesla muss die Produktionsprobleme in den Griff kriegen. Die meisten Käufer dürften viel mehr hinblättern als der von Elon Musk angekündigte Einstiegspreis von 35.000 Dollar.
Kritiker wenden zudem ein, dass Teslas schwer seien. Bei einem Gewicht von rund 2,1 Tonnen – so viel wog das von mir gefahrene Model S – kann man nicht widersprechen. Das bessert ein wenig mit dem Model 3, das bis zu 1730 Kilo wiegt.
Wenn man sich auf unseren Straßen bewegt und umschaut, stellt man fest: Es herrscht zwar kein Krieg, doch die Aufrüstung ist in vollem Gang. "Größer und schwerer" scheint bei den Automobilisten hoch im Kurs – zum Nachteil der Umwelt. Viele glauben offenbar, ihre Liebsten nur in einem SUV sicher transportieren zu können. Egal mit welchem Treibstoff.
Tesla trägt bislang nicht zur Deeskalation bzw. Abrüstung bei. Das hohe Fahrzeug-Gesamtgewicht ist nicht zuletzt dem leistungsfähigen (und darum schweren) Akku geschuldet. Mit dem technischen Fortschritt wird sich dies ändern. Halten wir fest:
Ich fange jedenfalls mit dem Sparen an. 😉
Das muss kein Tesla sein – in den nächsten Jahren kommen einige attraktive Modelle mit akzeptabler Reichweite auf den Markt. Der Tesla verspricht aber einfach einen bislang unerreicht hohen Spaßfaktor. Abgesehen vom guten Gewissen.
Bleibt das Aufladen.
Wer in der Pflicht steht, sind die Gemeinden und Städte. Sie müssen endlich "Gas geben" (Entschuldigung!) mit den Ladestationen. Hier gibt es Nachholbedarf. Auch wenn der Blick auf die Online-Karte viele Kritiker verstummen lassen dürfte.
Wünschenswert sind weitere innovative Projekte, wie etwa Überbauungen mit Elektroautos, die allen Bewohnern zur Verfügung stehen. Denn es ist absehbar, dass immer weniger Leute viel Geld für ein eigenes Fahrzeug ausgeben, um es anschließend die meiste Zeit in einer Garage stehen zu haben.
Die Generation Spotify will nutzen, nicht zwingend besitzen. Womit wir wieder bei Elon Musk sind.
Mit Tesla hat er der Automobilindustrie Beine gemacht und wird weitere Branchen aufrütteln. Das ist ein Verdienst, den man dem exzentrischen Nerd nicht hoch genug anrechnen kann.
Elon hat darum auch das (vorläufig) letze Wort: