
Entspannen: "Oddly satisfying"-Videos.Bild: iStock / Getty Images Plus
Digital
christopher hirsch, dpa
Videos der Kategorie "Oddly Satisfying" werden im Internet millionenfach angeschaut, obwohl sie mitunter nichtssagend erscheinen. Vermutlich ist genau das der Reiz.
04.01.2020, 19:1104.01.2020, 19:11
Langsam taucht der Löffel in die Schüssel mit pinkem
Spielzeugsand ein und hebt Kugeln heraus. Der Sand knirscht und
verformt sich, die Schüssel wackelt. Das Ganze in Nahaufnahme, einmal
vorwärts und einmal rückwärts – mehr passiert nicht.
116 Millionen
Mal wurde das Youtube-Video angeklickt. Seltsam? Genau so heißt auch
der Trend dahinter: "Oddly Satisfying" - seltsam befriedigend.
Wir sind tiefenentspannt.
Das Internet ist voll von Oddly Satisfying-Videos
Seifenstücke, die
in winzige Teile zerschnitten werden, Wasser, das eine Treppe
herunterfließt, Obst, das kunstvoll geschnitten wird – für nahezu
alles gibt es ein Publikum.
Ein mit mehr als sechs Millionen
Abonnenten besonders erfolgreicher deutscher Kanal ist "Ice Cream
Rolls". Zu sehen ist, wie zwei Hände mit Spachteln auf einer
gekühlten Metallplatte Eiscreme zubereiten, aus den verschiedensten
Zutaten: vom Energy-Drink bis hin zu Brokkoli.
Der Kanal verspricht seinem Publikum nicht nur Oddly Satisfying,
sondern auch ASMR. ASMR steht dabei für Autonomous Sensory Meridian
Response. Eine gute deutsche Übersetzung gibt es nicht.
Es geht um
Geräusche, die entspannend wirken oder ein leichtes Kribbeln auslösen
sollen. Man hört die Verpackung der Zutaten knistern, die Spachtel
über die Metallplatte schaben – keine Sprache, keine Musik. In
anderen ASMR-Videos streichen Menschen mit Pinseln oder Fingern über
Mikrofone, blättern Bücherseiten, oder flüstern ins Mikrofon. Manchen
hilft das angeblich sogar beim Einschlafen.
Aber wieso sind diese Videos so beliebt und was an ihnen ist befriedigend?
Laut David Daniel Ebert könnten sie als Pausen vom
digitalen Alltag dienen. Er ist Professor für Klinische Psychologie
an der Freien Universität Amsterdam und beschäftigt sich unter
anderem mit Online-Psychotherapie.
Oddly-Satisfying-Videos zeigten
häufig sich wiederholende und ruhige Handlungen. Nutzer müssten nur
wenige Informationen verarbeiten und könnten ihre Aufmerksamkeit auf
wenige Eindrücke konzentrieren. Im Alltag würden sie hingegen durch
zahllose Informationen häufig übermäßig stimuliert. Er vergleicht die
Videos mit Achtsamkeitsübungen und Schäfchen zählen.
Studien zur visuellen Wirkung gibt es laut Ebert noch nicht.
Lediglich das ASMR-Phänomen sei schon etwas erforscht. Es rufe laut
Studien bei manchen Menschen tatsächlich psychophysiologische
Veränderungen hervor, sagt Ebert. Das Herz schlägt ruhiger, die
Stimmung hellt sich auf.
Sehen wir uns alle nach mehr Handarbeit?
Für den Psychologen könnte der Reiz der Oddly-Satisfying-Videos auch
damit zu tun haben, dass sie häufig händische Tätigkeiten zeigen und
viele Menschen im Alltag kaum noch mit ihren Händen arbeiten.
Das
sagt auch Trendforscher Ulrich Köhler: "Der Reiz dieser
Oddly-Satisfying-Videos liegt vor allem darin, dass ich Tätigkeiten
sehe, manuelle Tätigkeiten (...), das heißt Sachen, wo ich ein Gefühl
von Struktur habe, von einem bestimmten Anfassgefühl."
Das sei die Sehnsucht nach dem echten Erlebnis in einer immer digitaleren Welt.
Doch woher kommt dieser Trend?
"Die Geschichte der
Oddly-Satisfying-Videos geht vermutlich zurück auf Werbefilme", sagt
Köhler. Fernseh- und Kinowerbung zeige häufig stark überhöhte
besonders ansprechende Bilder. "Ob jemand in Schokolade beißt, ob es
die Eiscreme ist, die aus der Box geholt wird."
Als wahrscheinlich eines der ersten Oddly-Satisfying-Formate nennt
Youtube die Videos eines Mixerherstellers. Unter der Überschrift
"Mixt es sich?" zeigen die Videos, was mit Murmeln oder einem Ipod in
einem Mixer passiert. Der Youtube-Kanal besteht seit 2006.
Ähnlich
zerstörerisch ist der deutsche Youtube-Kanal "HaerteTest". Er zeigt
unter anderem in Nahaufnahme, wie Smartphones, Obst oder ein Kaktus
von einem Auto überrollt werden. Mehr als neun Millionen Follower
machen den Account laut Youtube zum zweitgrößten deutschen Kanal.
Und woher kommt der Begriff Oddly Satisfying? "Meines Wissens nach
ist genau diese Begrifflichkeit auf der Online-Plattform Reddit
entstanden", sagt Trendforscher Köhler. In einem Forum hätten sich
Nutzer speziell diesen Videos gewidmet. Der Begriff ist auch in der
Werbung angekommen.
Deutsche "oddly satisfying"...
Autohersteller BMW zeigt in einem Video "Oddly
satisfying BMW-Momente": Eiskratzen in Nahaufnahme, einen perfekt
gepackten Kofferraum oder Schmutz, der von einem Hochdruckreiniger
weggespült wird.
Im Video ""Oddly Ikea": Ikea ASMR" des gleichnamigen
Möbelherstellers richten Hände knapp eine halbe Stunde lang ein
Zimmer ein, begleitet von einer flüsternden Stimme – irgendwie
seltsam, seltsam befriedigend.
(pcl/dpa)