Die Klimakrise ist zu groß, um jetzt den Aktivismus aufzugeben.Bild: dpa / Christian Charisius
Gastbeitrag
anael back, gastautorin
Trauer, Angst und Gewalt verbreiten sich im Nahen Osten, in Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern. Antisemitismus und antisemitische Gewalt nehmen rasant zu. Muslime und Muslimas sowie migrantisch gelesene Personen sind mit mehr Rassismus konfrontiert.
Ohnmacht und Hilflosigkeit durch Antisemitismus bei Fridays for Future
Die Entwicklungen beeinflussen den Diskurs von und über Fridays for Future Deutschland. Selten habe ich diese Bewegung in einer so angespannten Situation erlebt, schon beinahe in einem durchgängigen Krisenmodus, mit dem niemand umgehen kann. Ich würde die Situation fast als ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit bezeichnen.
"Die Angst vor Antisemitismus prägt meinen Alltag und meinen Aktivismus. Schon immer und aktuell verstärkt."
Diskussionen über die Positionierungen und Statements, die erfolgt sind, finden von früh bis spät, an jedem Wochentag und zu jeder Uhrzeit statt. Dazu wird eine dominante Angst verstärkt, welche wir schon seit Monaten verspüren: Dass die bisher hart erkämpften Erfolge gekippt werden und die gesamte deutsche Klimabewegung möglicherweise einen großen öffentlichen Schaden davon tragen wird.
Gleichzeitig existiert ein unfassbar großes Bedürfnis danach, den pluralen Meinungen zum Nahost-Konflikt in der Bewegung Raum zu verschaffen. Jetzt ist es notwendig, die internen und auch medienwirksamen Ereignisse der Bewegung zu reflektieren. Allein, zusammen mit Freund:innen und in der breiten Masse von Aktivist:innen.
Antisemitismus gibt es überall – und schränkt den Alltag von Juden ein
Bei mir und anderen jüdischen Mitaktivist:innen führt eine Öffnung des Diskurses zu Sorge. Man findet Antisemit:innen in linken, rechten, akademischen, migrantischen oder christlichen Räumen, in der gesamten Gesellschaft – und damit auch bei Fridays for Future und anderen klimapolitischen Gruppen.
Auch Fridays for Future-Aktivistin Greta Thunberg schockierte mit pro-palästinensischen Äußerungen. Bild: Emilie Holtet / NTB Oslo Norge
Antisemitismus und antisemitische Narrative sind gesellschaftlich seit Jahrhunderten international tief verankert und prägen viele Diskurse. Bis heute. Mit dieser Lebensrealität sind viele Juden und Jüdinnen so wie ich aufgewachsen. Die Angst vor Antisemitismus prägt meinen Alltag und meinen Aktivismus. Schon immer und aktuell verstärkt.
Halbwissen über den Nahen Osten oder auch das Judentum kann zur Reproduktion von Antisemitismus führen. Denn besonders in linken Kreisen, wo über viele Formen der Diskriminierung viel Wissen existiert und diese daher nicht geduldet wird, wird mit Antisemitismus anders umgegangen. Es wird mehr Verständnis für antisemitische Aussagen eingefordert.
Anael Back (18) ist bei FFF Deutschland bundesweit in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Berliner Ortsgruppe aktiv.bild: privat
Das hat auch viel mit der deutschen Erinnerungskultur zu tun, Juden und Jüdinnen von heute und deren Lebensrealitäten werden zum Beispiel in der Schule kaum bis gar nicht thematisiert. Zudem ist Antisemitismus vielschichtig.
Die Gefahr von Antisemitismus wurde bei Fridays for Future zu spät erkannt
In der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), welche wir als Fridays for Future Deutschland in unser Selbstverständnis übernommen haben, wird definiert, dass Antisemitismus sich auch gegen den Staat Israel richten kann, wenn dieser beispielsweise dämonisiert wird.
Es gibt keine klare Grenze.
Wo hört legitime Kritik am Staat Israel auf und wo beginnt Antisemitismus? Dazu muss man sagen, dass israelbezogener Antisemitismus bei Personengruppen weit verbreitet ist, die sich für internationale Gerechtigkeit einsetzen. Denn jede Form des Antisemitismus, explizit auch israelbezogener Antisemitismus, führt nicht zu einer gerechteren Welt, sondern verbreitet Hass und Hetze.
Die Gefahr, dass sich in unseren Reihen Antisemit:innen befinden, die antisemitische Narrative verbreiten, hätte früher erkannt werden müssen. Zu spät wurde intern gehandelt.
Zum jetzigen Zeitpunkt erkenne ich einen Wandel, eine interne Reflektion über Antisemitismus innerhalb von Fridays for Future. Es besteht der Wunsch nach Bildungsarbeit, damit es zu weniger Verbreitung von gefährlichem Halbwissen kommt und dieses reduziert wird.
Aktivismus hinterfragen: Warum ist Anael noch bei Fridays for Future?
Erst dann können antisemitische Aussagen schneller und besser erkannt werden. Und obwohl diese notwendigen und guten Entwicklungen passieren, hatte ich noch nie eine so ambivalente Haltung zu Fridays for Future und der gesamten Klimabewegung.
Denn wenn ich von Freund:innen gefragt werde, was bei Fridays for Future los sei, und wieso ich trotz der ganzen Ereignisse noch aktiv bin, hinterfrage ich meinen Aktivismus. Das habe ich in den letzten Tagen und Wochen häufiger gemacht, als in den gesamten vier Jahren, in denen ich bereits aktiv bin.
Im Moment aber sehe ich die vielen Menschen, die sich daran setzen, dass möglichst viel Wissen über Antisemitismus verbreitet wird. Das gibt mir die Kraft, auch in dieser Zeit weiter aktiv zu sein. Stimmen von Betroffenen wird ein Raum gegeben und unseren Sorgen wird zugehört, auch wenn es viel zu lange gedauert hat.
Das lässt mein Vertrauen in die Bewegung und die Personen, die hinter ihr stehen, wieder wachsen. Und trotz jeder Kritik, die ich äußere, ist Klima-Aktivismus wichtig. Besonders in Zeiten, wo die einzige rechtliche Grundlage für Klimaschutz – das Klimaschutzgesetz – entkernt werden soll und Finanzminister Christian Lindner den Kohleausstieg 2030 infrage stellt. Allein deswegen müssen wir weitermachen.
Innerhalb von Fridays for Future Deutschland müssen wir uns als Aktivist:innen klar gegen jede Form von Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen stellen – und nicht aufhören zu kämpfen