Die russischen Wähler haben mit großer Mehrheit für eine Verfassungsänderung gestimmt.Bild: SOPA Images via ZUMA Wire / Sergei Mikhailichenko
Russland
02.07.2020, 06:4902.07.2020, 07:41
Der russische Präsident Wladimir Putin kann
nach der Annahme der neuen Verfassung die Atom- und Rohstoffmacht mit
mehr Machtbefugnissen noch auf Jahre weiter führen. Bei einem
Referendum erzielte das neue Grundgesetz, mit dem der 67-Jährige bis
2036 regieren könnte, nach Angaben der Wahlleitung in Moskau haushohe
Zustimmung. Putin wäre dann 83 Jahre alt.
Nach Auszählung fast aller Wahlzettel gab es rund 78
Prozent "Ja"- und etwa 21 Prozent "Nein"-Stimmen, wie die
Wahlkommission am Donnerstagmorgen mitteilte. Die Wahlbeteiligung
wurde mit 65 Prozent angegeben. Die Leiterin der Wahlkommission, Ella
Pamfilowa, sagte, dass es keine Verstöße gegeben habe, die das
Ergebnis beeinflussen könnten.
Dagegen sprachen unabhängige Wahlbeobachter von Hunderten
Verletzungen des Wahlrechts während der siebentägigen Abstimmung, die
am Mittwochabend geendet hatte. 110,5 Millionen Menschen waren im
flächenmäßig größten Land der Erde aufgerufen, über die von Putin
initiierte Verfassung abzustimmen. Das neue Grundgesetz verspricht
zahlreiche soziale Wohltaten, wie eine jährliche Rentenanpassung.
Verfassung beendet "Bevormundung" durch internationale Gerichte
Die Verfassung dürfte aber auch das politische Leben in Russland
verändern. Das Mitglied im Europarat muss sich demnach künftig nicht
mehr internationalen Urteilen beugen. Vorrang haben künftig stets die
nationalen Interessen der Rohstoff- und Atommacht. Russland hatte
sich bereits in den vergangenen Jahren immer wieder an Strafurteilen
internationaler Gerichte gestört.
Vor allem aber für russische Bürger, die gegen ihren Staat
klagen, ist etwa bisher der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg eine wichtige Instanz für Gerechtigkeit
gewesen. Besonders nationalpatriotische Kräfte in Russland hatten
immer wieder gefordert, eine "Bevormundung" durch andere Gerichte zu
beenden und die teils hohen Geldstrafen nicht zu bezahlen.
Von einem "Abgesang auf die letzten Reste der Demokratie" in
Russland sprach die Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Gyde Jensen. Die FDP-Politikerin
kritisierte, dass Russland sich abwende von einer konstruktiven
Arbeit auf internationaler Bühne.
"Auf Ebene des Europarats müssen wir deshalb auch über einen Entzug des Stimmrechts der russischen Delegation sprechen."
Gyde Jensen
Das gab es schon einmal zeitweilig nach der russischen Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Jensen sagte, sie erwarte eine "scharfe Reaktion auf diese
Schein-Abstimmung und Verfassung" durch Außenminister Heiko Maas und
Kanzlerin Angela Merkel. Westliche Diplomaten hatten allerdings
erklärt, dass die Einmischung schwierig sei, weil es hier um eine
innere Angelegenheit des Landes gehe. Auch der staatliche Werbeslogan
"Unser Land, unsere Verfassung, unsere Entscheidung" hatte vor der
Abstimmung auf die Souveränität gesetzt.
Die Staatspropaganda verbreitete zudem, dass die alte Verfassung
von 1993 von den USA und Deutschland diktiert worden sei. Putin lässt
mit dem neuen Grundgesetz nach Meinung von Experten eine
nationalkonservative Ausrichtung des auf der Weltbühne heute wieder
selbstbewussten Landes zementieren.
Der Kremlchef sah den Liberalismus im Westen zuletzt nach eigener
Darstellung am Ende. Putin hatte auch in das Grundgesetz aufnehmen
lassen, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich sei. Eine
gleichgeschlechtliche Ehe werde es nicht geben, solange er im Amt
sei. Putin wurde 2000 erstmals Präsident. Mit der neuen Verfassung
werden seine bisherigen vier Amtszeiten auf Null gesetzt. Er kann
damit 2024 wieder zur Wahl antreten und dann 2030 noch einmal. Nach
der alten Verfassung hätte er den Kreml 2024 verlassen
müssen.
(pcl/dpa)
Als der russische Präsident Wladimir Putin im Februar 2022 seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, rechnete er mit einem schnellen Sieg. Zwei Jahre später setzt sich die Ukraine noch immer gegen die Russland-Truppen zur Wehr.