Bei starken Geburtsschmerzen hilft eine Hebamme. Doch es werden immer weniger. Bild: getty / Martinns
Analyse
27.11.2022, 15:3727.11.2022, 19:18
Frauen, die ein Kind bekommen wollen, haben es nicht leicht. Und damit ist nicht das 18. Jahrhundert gemeint, sondern das Jahr 2022. Zwar steht Schwangeren die neueste Medizin zur Verfügung, doch ihre Versorgung ist selbst in einem Land wie Deutschland mangelhaft.
Es gibt kaum Plätze in Geburtsklinken, aber dafür lange Anfahrten in die Klinik, weil immer mehr Einrichtungen schließen. Seit 1991 sind es etwa 43 Prozent weniger. Die Kreißsäle sind überfüllt und die Hebammen überarbeitet, weshalb viele von ihnen kündigen – was die Lage noch verschlimmert.
Hebamme – eine Bezeichnung gilt für alle
Seit der Reform der Hebammenausbildung am 1. Januar 2020 werden männliche Hebammen nicht mehr als Entbindungspfleger bezeichnet. Die Berufsbezeichnung Hebamme gilt jetzt für alle Berufsangehörigen (weiblich/männlich/divers).
Die Ampel-Parteien hatten sich daher bei ihrem Regierungsantritt 2021 die Stärkung der Geburtshilfe in den Koalitionsvertrag geschrieben. Das Ziel: im besten Fall eine 1:1-Betreuung während der Geburt und der Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle. Die Realität 2022: Die Bundesregierung kündigte an, Hebammen künftig aus dem Pflegebudget zu streichen.
Wütende Frauen wegen Hebammenmangel
Dieser Beschluss sorgte deutschlandweit für große Empörung, gerade unter Frauen. Denn damit wären Hebammen von der Finanzierung ausgeschlossen. Sprich: die Kliniken würden weniger von ihnen einstellen. Die Petition der Jurastudentin Michelle Franco, "Keine Streichung der Hebammen aus dem Pflegebudget ab 2025" auf der Plattform Change.org erreichte in kurzer Zeit mehr als 1,5 Millionen Unterstützer:innen.
Die Petition fand schnelle viele Unterstützer:innen.Change.org
Der Protest war so heftig, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Plattform zurückruderte: Hebammen sollen nun weiterhin im Pflegebudget bleiben. Ab 2025 soll eine Krankenhausreform Hebammen auch aus dem Fallpauschalensystem nehmen, um ihre Leistungen gesondert zu bezahlen. Wie ernst diese Ankündigung ist, bleibt abzuwarten: denn das Finanzstabilisierungsgesetz wurde bereits final verabschiedet.
Aber nicht nur das Pflegebudget verschärft den Hebammenmangel, auch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung vom November 2021. Diese legt fest, wie viel Pflegepersonal für wie viele Patienten mindestens zur Verfügung stehen muss. Eigentlich eine gute Idee, doch für den Einsatz der Hebammen im Verhältnis zum Pflegepersonal gibt es Grenzen: Somit müssten Krankenhäuser sogar Strafen zahlen, wenn sie zu viele Hebammen beschäftigen.
Wehen erreichen auf der Schmerzskala von eins bis zehn, eine Acht, manchmal auch eine Zehn.Bild: imago/ Isbjorn
Die schwierige Suche nach einer Hebamme
Laura (Name v.d.Red.geändert), eine junge Hebamme aus Berlin, erzählt watson, wie oft sie Anfragen von werdenden Müttern absagen muss. Es seien im Schnitt gerade drei bis vier in der Woche, was sie als wenig empfindet: "Es gab auch mal eine Zeit, da waren es vier am Tag." Weshalb ihr Name inzwischen auch nicht mehr auf Internetseiten für Hebammen zu finden ist.
"Ich wollte keine Fließbandarbeit, sondern dass es auch um die Einzelne geht."
Hebamme Laura
Trotz der teuren Haftpflichtversicherungsbeiträge für Hebammen hat sich Laura inzwischen selbstständig gemacht, wegen des "schlechten Personalschlüssels und fehlender finanzieller Wertschätzung". Früher arbeitete sie in einem Krankenhaus, doch dort kündigte sie: "Ich konnte meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. Ich wollte keine Fließbandarbeit, sondern dass es auch um die Einzelne geht."
Der Deutsche Hebammenverband warnte schon Ende September davor, dass Krankenhäuser sich Hebammen in der stationären Betreuung künftig nicht mehr leisten könnten. Die Folgen von zu wenig Hebammen wären verheerend. Jede, die bereits ein Kind bekommen hat, weiß, wie traumatisch eine Geburt sein kann. Wie groß die Angst und der Schmerz, auch die Hilflosigkeit in einer solchen Situation ist.
Traumata durch Geburten sind weit verbreitet
Der Mangel an Betreuung unter der Geburt kann nicht nur das Leben der Gebärenden gefährden, sondern auch ihre Psyche. Man spricht vom sogenannten "Geburtstrauma": Betroffen sind "sehr viele, vor allem in den ersten Wochen nach der Geburt", sagt Laura. Diese Frauen hatten ein "für sie traumatisches Erlebnis, mit dem sie nicht gerechnet haben". Viele würden sich im Vorhinein auch schlecht aufgeklärt fühlen.
Etwa 20 Prozent der Geburten werden von Frauen als traumatisch erlebt, 10 Prozent zeigen in den ersten Wochen nach der Geburt eine traumatische Stressreaktion. Bei etwa 3 Prozent entwickelt sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach der Geburt, in Hochrisikogruppen bei 15,7 Prozent.
Manch ein Kaiserschnitt könnte mit guter Betreuung verhindert werden. pexels/jonathan borba
Gebärende werden allein gelassen
Traumatische Erfahrungen hatte auch die 39-jährige Theresa (Name v.d.Red. geändert) bei der Geburt ihres ersten Kindes. Trotz der schmerzhaften Einleitung, bekannt für "besonders fiese Wehenschmerzen", war keine Hebamme vor Ort: "Meine diensthabende Hebamme saß draußen hinter der Theke des Kreißsaals und erledigte Schreibkram, während ich mich allein mit meinem Mann durch den Wehensturm quälte."
Irgendwann, "zu einem Zeitpunkt, als ich vor Schmerzen schon fast ohnmächtig war", bot die Hebamme ihr eine PDA, eine lokale Betäubung durch das Rückenmark, an. Doch zu spät. Als die Anästhesisten gerade loslegen wollten, setzten bereits die Pressewehen ein.
Theresa ist sich sicher:
"Wäre die Hebamme kontinuierlich bei mir geblieben und hätte meinen Zustand und den Geburtsfortschritt besser im Blick gehabt, wäre das so nicht passiert. Es hätte mir unendliche Schmerzen erspart und eine zwei Stunden kürzere Geburt beschert."
Eine bessere Betreuung hilft bei der Geburt
Laut einer Studie zur stationären Hebammenversorgung für das Bundesgesundheitsministerium aus dem Jahr 2019 hat sich die Zahl der Geburtsstationen in Deutschland seit den 1990er-Jahren halbiert. "Eine Hebamme kann an den meisten Tagen im Kreißsaal nur entscheiden: Welche Frau blutet am schlimmsten? Welche Frau hat die stärksten Schmerzen?", sagt Andrea Ramsell, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbands der Wochenzeitung "Die Zeit".
Hebammen lindern auch die Angst bei der Geburt.pexels/jonathan borba
Die junge Hebamme Laura findet, dass auch Frauen in weniger schmerzhaften Phasen der Geburt Unterstützung brauchen. "Da fehlt es total oft an Betreuung." In manchen Kliniken gebe es Vorwehen-Zimmer, oft werden Schwangere jedoch lieber spazieren geschickt, bis es so richtig losgeht. Heißt in der Praxis zum Beispiel: Beim Bäcker neben der Klinik sitzen und zwischendurch Wehen wegatmen.
"Erst ab dem Kreißsaal gab es eine gute Betreuung."
Hebamme Laura
Doch auch Frauen am Anfang der Geburt brauchen Unterstützung. "Ich sehe immer wieder, dass gerade diese Phase klein gemacht und übersehen wird. Und dass Frauen nicht die Betreuung gegeben wird, die sie gerade brauchen", sagt Laura. "Erst ab dem Kreißsaal gab es eine gute Betreuung."
Die Folge seien dramatisch: "Frauen kommen so auch schlechter in die Geburt an sich rein oder gehen schon mit dieser Angst rein, ob dann auch jemand für sie da ist."
Mehr Hebammen, weniger Risiken
Auch Theresa, zweifache Mutter, weiß aus eigener Erfahrung, wie sehr es Schwangeren hilft, während der Geburt ausreichend Betreuung zu haben: "Bei meiner zweiten Geburt war es genau umgekehrt: Ich hatte die ganze Zeit sowohl eine Hebamme als auch eine Hebammenschülerin bei mir, die beide ständig versuchten, mir die Geburt so leicht wie möglich zu machen", sagt sie zu watson.
Durch die engmaschige Betreuung wurde eine plötzliche Komplikation während der Geburt schnell festgestellt: Das Kind hatte sich kurz vor der Geburt noch einmal gedreht, lag mit dem Gesicht nach oben. "Eine sogenannte 'Sternengucker'-Lage kann zu Komplikationen bis hin zum Notkaiserschnitt führen. Doch durch die einfühlsamen Tipps der Hebamme habe ich mein zweites Kind sehr schnell und ohne Komplikationen auf die Welt bringen können."