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"Pandemiemüde" und "Omikron-Wand" – Experten erklären die Verharmlosung von Corona

Menschenmengen und Coronakrise BEARBEITET LAUT DSGVO: Die Essener Innenstadt wird auf der Einkaufsstra
Eine Fußgängerzone in Essen. Trotz Inzidenz-Rekorden und der Gefahr einer Infizierung mit Omikron sind die Einkaufsstraßen gut gefüllt, Abstände werden oft nicht eingehalten.Bild: www.imago-images.de / Gottfried Czepluch
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Von der "Welle" zur "Wand": Experten erklären, was die Sprache der Pandemie bewirkt – und warum viele Menschen trotz aller Warnungen nicht mehr in Alarmstimmung verfallen

27.01.2022, 15:4128.01.2022, 08:15
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"Lockdown", "Notbremse", "Maskenverweigerer" – in zwei Jahren Corona-Pandemie hat sich der Wortschatz vieler Menschen um ungeahnte Ausdrücke erweitert. Wissenschaftler, Politikerinnen und Journalistinnen beschrieben das An- und Absteigen des Infektionsgeschehens in der Pandemie in den vergangenen zwei Jahren als "Wellen". Vier davon hatte Deutschland bis Dezember, dann kam Omikron. Am Donnerstag wurde mit mehr als 200.000 Neuinfektionen und einer Inzidenz von über 1000 schon wieder einen neuen Rekord aufgestellt. Dafür hat sich eigens ein neuer Begriff etabliert.

Mitte Dezember sagten die ersten Experten voraus, dass aus der bereits erwarteten Omikron-Welle eine "Wand" werden würde. Datenjournalist Christian Endt von "Zeit Online" verwendete den Ausdruck im deutschsprachigen Raum, vermutlich als Erster, in einem Tweet, in dem er vor extrem stark steigenden Fallzahlen aufgrund der neuen Virusvariante Omikron warnte. Virologe Christian Drosten teilte diesen neuen Begriff ebenfalls auf Twitter.

Watson hat mit mehreren Wissenschaftlern darüber gesprochen, was diese Sprache der Pandemie bewirkt – ob es also Folgen hat und wenn ja, welche, wenn Ansteckungen, Krankenhauseinweisungen und Menschen auf Intensivstationen mit Wörtern wie "Kurve", "Welle" oder "Wand" bezeichnet werden.

Verhalten in der Pandemie wird auch durch Sprache beeinflusst

Kommunikationswissenschaftler Donges, der an der Universität Leipzig forscht und lehrt, ist überzeugt, dass die Corona-Metaphern der Pandemiebekämpfung schaden. Das Verhalten der Bevölkerung in der Pandemie sei auch "eine Frage der Metapher", erzählt er im Gespräch mit watson.

"Das war früher immer die Welle, man sprach von 'flatten the curve'." Die Infektionskurve sollte also flach gehalten werden. Jetzt spricht man von der Wand. Eine Wand kann man nicht flach halten", sagt Donges. Deshalb würde aktuell eine Alarmstimmung in der Bevölkerung gar nicht erst aufkommen und stattdessen ein "Ach-ja-dann-Moment" erzeugt werden. Also ein Gefühl der Ohnmacht, als könne man nicht viel machen gegen rasant steigende Ansteckungszahlen.

"Das war früher immer die Welle, man sprach von 'Kurve flach halten'. Jetzt spricht man von der Wand. Eine Wand kann man nicht flach halten."
Kommunikationswissenschaftler Patrick Donges über den metaphorischen Wandel von "Welle" zu "Wand"

Befeuert wird dieses Phänomen laut Donges durch Aussagen wie: "Bis Tag X wird sich die Hälfte der Bevölkerung in Europa angesteckt haben." Hinzu komme die Pandemiemüdigkeit der Bevölkerung. "Nach zwei Jahren Stress haben die Menschen einfach keine Lust mehr, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen", fasst Donges zusammen.

Café Le Cirio, Brüssel, Brüsseler Region, Belgien, Europa
Viele Menschen sind pandemiemüde und verdrängen die Angst vor Omikron.Bild: imageBROKER / Kevin Galvin

Aus seiner Sicht verharmlost die Politik das Virus aber nicht – es sei nur enorm schwierig, die verschiedenen Interessen, die im Spiel sind, untereinander auszugleichen. Er fasst das Problem so zusammen:

"Politik denkt über das Virus politisch. Genauso, wie Medizinerinnen und Mediziner über dieses Virus wissenschaftlich denken, Unternehmen wirtschaftlich und Gerichte juristisch. Die Politik muss dann die verschiedenen Ansprüche unter einen Hut bringen, also sowohl die der Medizin als auch die der Wirtschaft beispielsweise. Dabei fordert die Wissenschaft Maßnahmen, um die Welle zu brechen, die Wirtschaft sieht den Zahlungsausfall und die Gerichte müssen urteilen, ob die Maßnahmen rechtmäßig sind."

Das Problem aus Donges' Sicht: Da die Politik diese Ansprüche austarieren müsse und keiner der Gruppen voll gerecht werde, entstehe der Eindruck, sie könne damit nicht umgehen. Bei der Bevölkerung entstehe so ein Eindruck von Uneinheitlichkeit.

"Nach zwei Jahren Stress haben die Menschen einfach keine Lust mehr, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen."
Patrick Donges zur privaten Kommunikation über Omikron

Martens: "Wünsche mir eine Kommunikationskampagne"

Thomas Martens, der an der Medical School Hamburg Pädagogische Psychologie lehrt, sieht das Problem der politischen Kommunikation vor allem in der "Populismus-Falle", in die Politiker oftmals tappen würden. "Die Politik versucht immer, einfache Botschaften zu finden." Dies sei auch richtig, jedoch könne eine zu einfache Botschaft nicht immer die Komplexität der Corona-Pandemie abdecken, erklärt Martens bei watson.

Diese Komplexität verlange jedoch eine ständige Anpassung der Maßnahmen und des Verhaltens der Menschen. "Politiker müssten dann also ihre letzte Entscheidung regelmäßig revidieren." Fehler zuzugeben sei in der Politik jedoch nicht üblich. "Deshalb wünsche ich mir vor allem eine Kommunikationskampagne in der Corona-Pandemie, eine Fehlertoleranz in der Politik und generell ein mehrschichtiges Kommunizieren."

"Die Politik versucht immer, einfache Botschaften zu finden. Aber wenn diese zu einfach sind, können sie die Komplexität der Corona-Pandemie nicht abdecken."
Thomas Martens über politische Kommunikation in der Corona-Pandemie

Für Martens ist eine klare Informationspolitik die Grundvoraussetzung dafür, dass die Bevölkerung den Regierenden zutraut, die Krise in den Griff zu bekommen.

Doch warum wurde trotz mehrfacher Warnungen von Wissenschaftlern vor hohen Inzidenzen und einer erhöhten Ansteckungsrate der Virusvariante Omikron nicht reagiert? Martens schreibt die ausbleibende Reaktion der Bevölkerung er hohen Komplexität der Corona-Pandemie zu.

"Omikron löst bei einem Teil der Menschen Angst aus", erklärt der Hamburger Psychologieprofessor. Um diese wieder loszuwerden, verdrängen viele Menschen das unangenehme Gefühl. Was laut Martens wiederum dazu führt, nicht mehr angemessen auf kritische Situationen, wie einen Anstieg der Infektionszahlen, reagieren zu können. Menschen denken also über das aktuelle Pandemiegeschehen nur noch oberflächlich nach.

Ökonomische Interessen tragen zur Verharmlosung von Omikron bei

Soziologe Joost van Loon, der an der Katholischen Universität Eichstätt lehrt, beschreibt gegenüber watson einen Wandel in der Wahrnehmung von Corona. Vor allem zu Beginn der Pandemie sei das Virus noch als Gefährdung wahrgenommen worden. "Zwischen den Wellen" wurde es hingegen immer wieder verharmlost.

Die Verharmlosung von Omikron entsteht laut dem Wissenschaftler vor allem durch die Wechselwirkung aus der schon früher zu Ende geglaubten Pandemie, einer ökonomisch motivierten Medienlandschaft und den wirtschaftlichen Interessen der Regierung.

"Bundeslandübergreifende gemeinsame Regelung" könnte Abhilfe schaffen

Der Medienethiker Christian Schicha fällt ein mildes Urteil über die Kommunikation der Politik in der Corona-Krise.

"Ich glaube nicht, dass es seitens der Politik eine Verharmlosung des Virus gibt – eher eine Differenzierung", erzählt Schicha im Gespräch mit watson. Es werde schließlich von Experten davor gewarnt, dass sowohl die sogenannten vulnerablen Gruppen als auch Ungeimpfte besonders gefährdet seien, sich mit Omikron zu infizieren.

Die Politik müsse immer damit rechnen, dass die Bevölkerung Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht mitträgt. Dabei würden auch "egoistische Gründe" eine Rolle spielen. Als Beispiel führt Schicha die zögerlichen Entscheidungen der Regierung im vergangenen Jahr an: "Wir hatten lange einen Stillstand, auch bedingt durch die Bundestagswahl. Politikerinnen und Politiker machen sich kurz vor einer Wahl natürlich nicht gerne unbeliebt."

Die Schwierigkeit bestehe darin, dass Politikerinnen und Politiker trotz ihrem Wahlkampf auf der einen Seite "Wir haben die Lage im Griff" kommunizieren müssen und auf der anderen Seite für Vorsichtsmaßnahmen plädieren sollen.

Der Medienethiker Christian Schicha, Studienleiter Medienmanagement Standortleiter Düsseldorf MEDIADESIGN HOCHSCHULE University of Applied Sciences, aufgenommen 2010 in Düsseldorf. Foto: Wolfgang Fröh ...
Medienethiker Christian SchichaBild: dpa / Wolfgang Fröhling

Auch ökonomische Gründe spielen laut Schicha bei politischen Entscheidungen eine Rolle: "Durch Einschränkungen aller Art sind viele Branchen dramatisch betroffen. Das hat für eine Volkswirtschaft natürlich dann auch entsprechende Konsequenzen."

Wie die Kommunikationsstrategie der Regierung zu bewerten sei? "Naja, es wäre schön, wenn es eine Strategie geben würde", sagt Schicha. Er wünscht sich eine "bundeslandübergreifende gemeinsame Regelung" im Kampf gegen Corona:

"Natürlich kann es sein, dass aufgrund einer Gefährdung in einzelnen regionalen Bereichen andere Maßnahmen ergriffen werden müssen, aber das Problem war schon, dass die Politik sich nicht einig war. Doch gerade von der Politik will man eine Orientierung haben. Wenn es da so massive Widersprüche gibt, macht das keinen guten Eindruck."
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