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Dating-App als Kriegswaffe: So wurde Tinder russische Soldaten zum Verhängnis

South Korean Army Soldier Using Smartphones.
Beim Warten auf den Kriegsbefehl schnell noch ein bisschen tindern? Dies wurde russischen Soldaten zum Verhängnis. Bild: iStockphoto / Im Yeongsik
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Dating-App als Kriegswaffe: Tinder-Spionage gegen russische Soldaten

11.04.2023, 15:4511.04.2023, 18:50
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Dass die Ukrainer:innen durch ihren Erfindungsreichtum geniale Kriegsstrategen sind, bewiesen sie im Verlauf des Angriffskrieges von Russland schon des Öfteren. Für Aufsehen sorgten aufblasbare Fake-Panzer, selbstgebastelte Bombensätze, Code-Wörter zur Entlarvung russischer Spione sowie ukrainische Traktoren, die russische Panzer abschleppten.

Die Ukraine und ihre Unterstützer:innen haben sich darüber hinaus eine weitere kreative Methode einfallen lassen, um an militärische Informationen zu kommen: Sie benutzen Tinder als Kriegswaffe. Laut Berichten der britischen Zeitung "The Sun" öffnen viele Soldaten die Dating-App Tinder selbst während ihres Einsatzes im Kriegsgebiet. Eine riskante Sache.

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Ukrainer:innen aus Charkiew berichteten vor Beginn des russischen Kriegs davon, dass plötzlich unzählige Profile und Anfragen russischer Soldaten in ihrer Tinder-App auftauchten.

Die Ukrainer:innen gaben diese Informationen weiter an das Militär, das aus der Menge der Tinder-Anfragen folgerte, dass ein baldiger russischer Angriff auf die Stadt Charkiw bevorstehen könnte. Den ersten Angriff und den Start des Krieges gegen die Ukraine verrieten russische Soldaten also durch ihre Suche nach Liebe über eine Dating-App.

Landesverrat durch einen Swipe: Tindern kann im Krieg gefährlich werden.
Landesverrat durch einen Swipe: Tindern kann im Krieg gefährlich werden. Bild: E+ / South_agency

Die russischen Männer waren kurz davor, die Stadt zu bombardieren und deren Einwohner:innen zu töten, suchten dort aber gleichzeitig online nach Frauen. Die Zeitung "The Sun" veröffentlicht mehrere dieser russischen Tinder-Profile in ihrem Artikel. Wie sich herausstellte, war die Suche nach Liebe im Krieg jedoch mehr als gefährlich.

Eine tödliche Suche nach Liebe auf Tinder und Badoo

Oft verrieten die russischen Soldaten durch Fotos von sich oder bei einem Gespräch im Chat der Dating-App ihren eigenen Standort. Eine unschätzbar wertvolle Information im Kriegsverlauf.

Die Idee verbreitete sich schnell: Da man bei Tinder und auch der Dating-App Badoo den Standort manuell selbst ändern kann, begannen Zivilistinnen nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit, bei diesem Täuschungsmanöver mitzuwirken. So gaben sich unzählige Menschen selbst als interessierte ukrainische Frauen aus und versuchten, über "Tinder-Spionage" das ukrainische Volk im Verteidigungskrieg gegen Russland zu unterstützen.

Das britische Print- und Online-Magazin "Huckmag" berichtet beispielsweise von einer europäischen Studentin namens Sara, die mehrere Fake-Profile auf Tinder einrichtete. Dafür benutzte sie Fotos von Google und veränderte sie mit dem Fotoprogramm Photoshop, damit ihre Täuschung bei einem Googeln des Fotos nicht auffiel. Selbst wenn die Soldaten nicht selbst ihren Standort preisgaben, konnte Sara herausfinden, wo sich die Soldaten ungefähr befanden.

"Es war schwer, zu wissen, dass ich sie benutzte, dass ich sie verraten würde, dass ich versuchen würde, ihr Scheitern oder sogar ihren Tod herbeizuführen."
Studentin Sara, die Tinder als Kriegswaffe nutzte

Wie das ging? Da Tinder normalerweise anzeigt, wie weit man von einem Match entfernt ist, konnte Sara den genauen Standort ihrer Matches triangulieren. Das heißt, sie erstellte zwei Fake-Profile, stellte die Standorte auf zwei verschiedene Gebiete in der Nähe der ukrainischen Grenze ein und matchte auf beiden Profilen die gleiche Person. Tinder ist jedoch nicht die einzige App, die zu Spionagezwecken eingesetzt werden kann.

Unterstützer weltweit nutzten Fake-Profile auf Tinder, um Russen auszuspionieren.
Unterstützer weltweit nutzten Fake-Profile auf Tinder, um Russen auszuspionieren.Bild: iStockphoto / Paolo Cordoni

Auch Grindr-Spionage war erfolgreich

Bereits zu Beginn des Krieges im Jahr 2022 gab es Berichte der Zeitung "Daily Mail", dass britische Spione die Dating-App Grindr nutzten, um sensible Informationen über die Kriegspläne des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sammeln. Grindr ist vor allem bei homosexuellen Männern beliebt. Zwar ist die App in Russland, wo positive Äußerungen über Homosexualität unter Strafe stehen, seit 2013 offiziell verboten, wird scheinbar aber immer noch genutzt.

Eine Quelle berichtete der "Daily Mail", wie nützlich sich diese Grindr-Spionage erwies:

"Diese Websites waren eine Fundgrube für unsere Spione, insbesondere die Dating-Apps – Soldaten und diejenigen, die an den militärischen Bemühungen beteiligt waren, waren besonders unbewacht. Das bedeutete, dass wir mit den Plänen und dem unmittelbaren Verlauf der Invasion sehr gut vertraut waren, bis hin zu Details wie dem Transport von Blutkonserven zu den russischen Truppen."

Die gewonnenen Informationen teilte der britische Geheimdienst mit der Ukraine, um dem Militär bei der Kriegsführung gegen Russland zu helfen.

Die Art und Intensität der Unterstützung für die Ukraine sei für den britischen Geheimdienst höchst ungewöhnlich, sagt die Quelle der Daily Mail. "Wir geben ihnen im Grunde ungekürzten Zugang zu unseren Informationen, um ihnen so gut wie möglich zu helfen, und halten nur Details zurück, um Quellen zu schützen und einige unserer Methoden zu verschleiern."

Russland ist sich dieser Sicherheitslücke offensichtlich inzwischen bewusst. So werden russischen Soldaten vor einer militärischen Invasion nun die Handys weggenommen, wie die Zeitung "The Sun" berichtete.

Ein falscher Swipe entscheidet über Leben und Tod

Auch Frauen außerhalb der Ukraine rufen dazu auf, das ukrainische Militär über Dating-App-Spionage zu unterstützen. Beispielsweise die litauische Influencerin Agné. Sie erklärt in ihrem Instagram-Profil, wie man mit Badoo oder der kostenpflichtigen Tinder Gold App Fakten über den Krieg mit Russ:innen teilen kann.

Denn in Russland selbst gelangen die Menschen dank Putins Propaganda kaum an unverfälschte Informationen. Agné ruft die User:innen in ihrem Post dazu auf, die Wahrheit über den Krieg in ihre Dating-Bio zu schreiben und zu "swipen, als gäbe es kein Morgen mehr".

Die Studentin Sara selbst teilte ihre gewonnenen Informationen mit den ukrainischen Behörden – auch wenn ihr die Entscheidung schwerfiel. "Es war schwer, zu wissen, dass ich sie benutzte, dass ich sie verraten würde, dass ich versuchen würde, ihr Scheitern oder sogar ihren Tod herbeizuführen", sagt Sara gegenüber "Hauckmag". "Es war wie eine dieser schwierigen moralischen Entscheidungen, die man in Videospielen trifft, es fühlte sich surreal an."

Bis heute weiß Sara nicht, was mit ihren Informationen passiert ist, ob sie zu direkten Angriffen oder sogar dem Tod der jungen Männer geführt haben, mit denen sie gechattet hat.

Denn was man bei aller Unterstützung des ukrainischen Volkes und der Euphorie über clevere Listen in diesem grausamen Krieg nicht vergessen sollte: Es sind keine Tinder-Profile, sondern echte Menschenleben, die hier auf beiden Seiten ausgelöscht werden.

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